Von der politischen Integration zu gemeinsamen Rüstungsprojekten: In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die europäische Kooperation im Bereich Sicherheit und Verteidigung weiter intensiviert.
Die Europäische Union schätzt, dass aktuell rund 80 Prozent der Verteidigungsgüter auf nationaler Basis beschafft werden. Die Folgen: Der europäische Verteidigungsmarkt ist fragmentiert. Die parallele und unkoordinierte Entwicklung militärischer Fähigkeiten erhöht die Kosten auf allen Seiten, die industrielle Zusammenarbeit der Staaten ist unzureichend. Zudem fehlt häufig die erforderliche Interoperabilität, sodass vorhandene Fähigkeiten nicht im Verbund genutzt werden können. Die fehlende Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich Verteidigung und Sicherheit wird von der EUEuropäische Union mit jährlichen Kosten zwischen 25 und 100 Milliarden Euro beziffert. Das Einsparpotenzial ist enorm angesichts der insgesamt rund 190 Milliarden Euro, die EUEuropäische Union-Staaten insgesamt jährlich für Verteidigung ausgeben.
Die Vorteile und Synergien gemeinsamer Entwicklung, Beschaffung und Nutzung liegen auf der Hand: Die teilnehmenden Nationen müssen ihre Kapazitäten nicht breit aufstellen, sondern können sich auf spezifische Stärken bei Ausbildung, Betrieb oder Instandsetzung konzentrieren. Spezialwerkzeuge, Anlagen und auch Personal oder technische Expertise können gemeinsam und gezielter eingesetzt werden, um Wartungs- oder Instandsetzungsarbeiten durchzuführen. Darüber hinaus profitieren alle Kooperationspartner von einer besseren Auslastung ihrer Kapazitäten und schaffen mit einer möglichen gemeinsamen Nutzung des Ersatzteilpools die Voraussetzungen für eine verbesserte Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft des Gesamtsystems.
Aber nicht nur aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und der Effizienz wird die Rüstungskooperation auf europäischer Ebene immer weiter intensiviert. Sie ermöglicht auch Synergien bei Einsatz, Versorgung und Weiterentwicklung der Projekte. So können zum Beispiel Regularien bei der Zulassung, Ersatzteilbeschaffung, Logistik und Exportkontrolle reduziert und harmonisiert werden. Auch die Datenabfrage wird erleichtert, da bei importierten Systemen viele Daten der Geheimhaltung unterliegen und nicht herausgegeben werden. Schließlich wird auch die Interoperabilität im Einsatz gesteigert sowie der gegenseitige Austausch von Einsatzerfahrungen mit dem System gefördert. Dies alles zusammen stärkt die europäische Handlungsfähigkeit.
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Aktuelle Beispiele europäischer Rüstungsprojekte in der Entwicklung sind das „Next Generation Weapon System“ (NGWSNext Generation Weapon System) in einem „Future Combat Air System“ (FCASFuture Combat Air System) und das „Main Ground Combat System“ (MGCSMain Ground Combat System), die Deutschland gemeinsam mit Frankreich angestoßen hat. Das System NGWSNext Generation Weapon System soll bis 2040 den Eurofighter der Bundeswehr sowie die Rafale-Maschinen der französischen Luftwaffe ersetzen. Das deutsch-französische Kampfpanzersystem MGCSMain Ground Combat System soll bis 2035 fertiggestellt sein. Das Vorhaben hat das Potenzial, mittelfristig das größte europäische, landbasierte Rüstungsprojekt zu werden, an dem zudem auch andere Mitgliedstaaten der NATONorth Atlantic Treaty Organization und weitere Nationen beteiligt werden sollen. Es soll die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik und damit den europäischen Pfeiler in der NATONorth Atlantic Treaty Organization stärken. Beide Projekte werden essentiell dazu beitragen, dass sich die europäische Kooperation auch auf industrieller Seite weiter vertiefen wird. Die Eurodrohne ist ein weiteres aktuelles Leuchtturmprojekt. Sie wird gemeinsam von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien in Zusammenarbeit mit der gemeinsamen Organisation für Rüstungskooperation OCCAROrganisation Conjointe de Coopération en Matière d’Armement entwickelt.
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer sagte anlässlich des Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates am 5. Februar 2020: „Deutschland und Frankreich werden gemeinsam dazu beitragen, die Handlungsfähigkeit der EUEuropäische Union für unsere Sicherheit zu stärken.“ Und weiter: „Unser Europa muss stärker werden. Dazu brauchen wir eine europäische Strategiefähigkeit bei Zukunftstechnologien – gerade im Sicherheitsbereich. Deutschland und Frankreich stärken mit der Eurodrohne, FCASFuture Combat Air System und MGCSMain Ground Combat System die europäische Handlungsfähigkeit ganz konkret. Diese Projekte sind deutsch-französisch und gleichzeitig offen für andere europäischen Partner.“
Im Dezember 1991 hat der Europäische Rat im niederländischen Maastricht das Fundament für eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik gelegt. Dort wurde eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASPGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik) geschaffen – als zweite Säule des Vertrags von Maastricht. Im November 1993 ist der Vertrag in Kraft getreten. Seitdem sind weitere Meilensteine in der europäischen Zusammenarbeit erreicht worden. Seit 1996 existiert die OCCAROrganisation Conjointe de Coopération en Matière d’Armement. Die Organisation verwaltet und betreut bestehende europäische Rüstungsprojekte. Sie trägt zum effizienten Management von Rüstungsvorhaben bei. Ihre Mitgliedsländer sind derzeit: Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Belgien und Spanien.
1999 wurde die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVPEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ) eingeleitet, drei Jahre später dann die Berlin-Plus-Vereinbarung unterzeichnet. Damit wurde ermöglicht, Strukturen, Mechanismen und Kapazitäten der NATONorth Atlantic Treaty Organization für europäische Missionen, zum Beispiel durch die Einrichtung eines operativen Hauptquartiers im NATONorth Atlantic Treaty Organization Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPESupreme Headquarters Allied Powers Europe), zu nutzen.
2003 wurde die erste Europäische Sicherheitsstrategie veröffentlicht. Ihr Ziel war es, ein sicheres Europa zu schaffen. Sie legte erstmals Grundsätze und klare Ziele für die Förderung der Sicherheitsinteressen der EUEuropäische Union auf der Grundlage zentraler Werte fest. Bedrohungen mit denen die EUEuropäische Union konfrontiert ist wurden identifiziert und strategische Ziele bestimmt. Der Bedarf, nicht nur auf politischer Ebene immer enger zusammenzuarbeiten, stieg seitdem weiter an.
2004 wurde die Europäische Verteidigungsagentur (EDAEuropäische Verteidigungsagentur) gegründet, um die europäische Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten zu harmonisieren und zu koordinieren. Die EDAEuropäische Verteidigungsagentur soll die Kooperation der EUEuropäische Union-Staaten intensivieren und den Grundstein für Kooperationsprojekte legen.
Mit dem Vertrag von Lissabon in 2009 wurde die ESVPEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik in die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EUEuropäische Union (GSVPGemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik) überführt und als feste Säule im EUEuropäische Union-Vertrag verankert.
Der Europäische Rat erörterte 2013 zum ersten Mal den Verteidigungsbereich und ermittelte vorrangige Maßnahmen für eine stärkere Zusammenarbeit: Steigerung der öffentlichen Wahrnehmung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und Intensivierung der Fähigkeitsentwicklung.
Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Krisen wurde 2016 die Sicherheitsstrategie der EUEuropäische Union aktualisiert und auf dem EUEuropäische Union-Gipfel in Brüssel die „Globale Strategie der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ vorgestellt. Die Strategie mit dem Titel „Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa“ ist Ausdruck der gemeinsamen Ansichten und bietet erstmals eine strategische Vision der globalen Rolle der EUEuropäische Union.
Noch im selben Jahr stellte die Europäische Kommission den Europäischen Aktionsplan im Verteidigungsbereich vor. Der europäische Verteidigungsfonds soll effizientere Ausgaben der Mitgliedstaaten bei gemeinsamen Verteidigungsfähigkeiten unterstützen und eine innovative industrielle Basis sowie Investitionen in die gemeinsame Forschung und Entwicklung von Rüstung und Technologie fördern.
2017 wurde mit der Ständigen Strukturierte Zusammenarbeit PESCOPermanent Structured Cooperation ein weiterer Meilenstein bei der europäischen Kooperation im Bereich Sicherheit und Verteidigung erreicht. Mit der PESCOPermanent Structured Cooperation sind die Mitgliedstaaten 20 weitergehende Verpflichtungen zur Fähigkeitsentwicklung eingegangen. Darin enthalten sind auch Zusagen zu einer besseren Koordination und Ausbau der militärischen Fähigkeiten im Rahmen konkreter Projekte. Die Initiative ist ein wichtiger Schritt dahin, die europäischen Streitkräfte organisatorisch und ausrüstungstechnisch kompatibler zu machen, damit sie gemeinsam sicherheits- und verteidigungspolitische Verantwortung übernehmen können. Mit einer harmonisierten europäischen Fähigkeitsentwicklung soll die heute bestehende Fragmentierung aufgelöst, Mehrfachstrukturen abgebaut und Bürokratie auf das Nötigste beschränkt werden.
All diese Initiativen und Projekte der vergangenen Jahre haben dazu beigetragen, die Instrumente und Fähigkeiten der EUEuropäische Union im Bereich Sicherheit und Verteidigung auszubauen sowie die europäische Handlungsfähigkeit zu stärken. Was bisher fehlte war, abgeleitet aus der EUEuropäische Union Globalstrategie von 2016, die Klarheit darüber, wann, wo und wie die EUEuropäische Union die Instrumente und Fähigkeiten prioritär nutzen will. Dieser Strategieprozess wurde von Deutschland mit der Erarbeitung des Strategischen Kompasses der EUEuropäische Union letztes Jahr angestoßen und während der deutschen EUEuropäische Union-Ratspräsidentschaft vorangetrieben. Mit dem Strategischen Kompass, der 2022 abgeschlossen werden soll, wird die EUEuropäische Union der GSVPGemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine gemeinsame Richtung für zukünftiges Handeln geben.
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