Zuerst war es Mann-gegen-Mann, später folgte die asymmetrische Bedrohung und jetzt ist es die hybride Kriegführung. Intensive Diskussionen, angereichert durch zahlreiche Beispiele, prägten am 23. Juni den fünften Expertenworkshop „Perspektiven Hybrider Kriegführung“. Dabei stellten hochrangige und renommierte nationale und internationale Experten immer wieder fest, wie schwierig eine Definition der hybriden Kriegführung ist.
„Wann beginnt sie und wie stellen wir das fest“ war nur eine der mitunter kontrovers diskutierten Fragen. Die mehr als 80 Teilnehmer, darunter auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, diskutierten dazu Lösungsansätze mit dem Blick auf Reaktions- und Antwortmöglichkeiten. Hierbei erörterten die Fachleute aus Politik, Think-Tanks, Stiftungen, Wissenschaft und dem Militär die Frage nach den Möglichkeiten, hybride Konflikte zu begrenzen ebenso wie die Frage nach der Rolle und den Wirkungsmöglichkeiten des Militärs als Instrument der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge.
Der Workshop ist ein weiteres Element des Entstehungsprozesses des neuen Weißbuchs zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Die breite Streuung von Vertretern unterschiedlicher Institutionen und aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern verdeutlicht den umfassenden und inklusiven Ansatz, der kennzeichnend für die Beteiligungsphase zum Weißbuch 2016 ist.
Bereits hier wird perspektivisch gedacht, um der Zukunftsorientierung des Weißbuchs Rechnung zu tragen. So betrachteten die Teilnehmer die Frage, ab wann ein Ereignis als Mittel hybrider Kriegführung gewertet werden könne oder sogar müsse: „Ist die Drohung, Rohstoffe nicht mehr an ein Land zu liefern bereits ein Schritt der hybriden Kriegführung?“ lautete eine Frage. „Kann die Präsenz von Truppen, ob zeitlich begrenzt übend oder dauerhaft stationiert missverstanden werden? Und, wenn ja: Wie unterscheiden wir zwischen Missverständnis und Bedrohung?“.
Gerade die Nutzung sozialer Medien und der oftmals zweifelhafte Informations- und Wahrheitsgehalt bereite Kopfzerbrechen, mussten die Experten einräumen. Insbesondere dschihadistische Videos seien in diesem Zusammenhang eine wachsende Herausforderung.
Streitkräfte sind eingebunden in die Klaviatur der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge. Daher bedeute „die Existenz von Militär nicht automatisch den Einsatz militärischer Mittel“, lautete ein Leitsatz. Vielmehr sollten auch Soldaten in der Lage sein, Herausforderungen aller Art zu erkennen, zu bewerten und zu meistern. „Deter – Contain – Protect“, also „abschrecken – eindämmen – schützen“, müsse der strategische Ansatz sein. Mit der NATONorth Atlantic Treaty Organization Response Force seien Truppen zudem schnell dort, wo sie benötigt würden. Ein effektives Handeln sei nur noch in einem umfassenden Gesamtansatz und im Bündnis möglich.
Wirksames Mittel gegen Destabilisierung durch Desinformation ist das Beharren auf und Bereitstellen von Fakten. Glaubwürdigkeit sei die zentrale Voraussetzung für Vertrauen, daher sei zu prüfen und darauf zu bestehen, dass Fakten auch Fakten blieben. In Westeuropa herrsche wegen zahlreicher Gründe Misstrauen gegenüber der Politik, eine mögliche Schwachstelle, die hybride Krieger ausnutzen könnten. „Hier hilft einzig das Vertrauen der Bürger in Ihre Regierungen“, das es folglich ständig auszubauen gelte.
Das bedeute, so eine der vielen Lösungen, Abläufe und Entscheidungen „verständlicher (zu) machen und Vertrauen zurück (zu) gewinnen, damit Kommunikation nicht spaltet“. Gerade die Beteiligungsphase zum Weißbuch 2016 trägt dazu bei, sicherheitspolitische Prozesse transparenter und damit verständlicher zu machen. Zudem haben alle Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, sich aktiv in die Diskussion um das oberste sicherheitspolitische Grundlagendokument einzubringen.
Wie schon bei den zurückliegenden Expertenworkshops wurde auch bei der Diskussion um die „Perspektiven Hybrider Kriegführung“ betont, dass der Krisenfrüherkennung zentrale Bedeutung zukomme. Es bestand Einvernehmen, das politische, militärische Akteure gleichermaßen wie Nichtregierungsorganisationen als Sensoren dienen könnten, um möglichst breite und differenzierte Informationen zu gewinnen, was wiederum das Vertrauen in der Bevölkerung verdichte.
Chancen und Risiken von Social Media standen ebenfalls im Zentrum intensiver Diskussionen. Bemerkenswert sei in diesem Zusammenhang die Generationenfrage und das damit eng verknüpfte unterschiedliche Nutzungsprofil neuer Medien. Smartphones seien in diesem Zusammenhang eine zweischneidige Sache: Zwar könne der eigene Informationsdurst sehr schnell und individuell gestillt werden, beispielsweise durch Regierungs-Podcasts oder Tweets. Andererseits sei es gleichermaßen schnell nutzbar, wenn es um gezielte Stimmungsmache bis hin zur Propaganda ginge, wie Rekrutierungen über soziale Netzwerke zeigten. Hier gelte es, sich entsprechend dieser neuen Anforderungen zu positionieren. NATONorth Atlantic Treaty Organization akkreditierte Einrichtungen gebe es bereits, so das Strategic Communications Center of Excellence oder das Cooperative Cyber Defence Center of Excellence zur Abwehr virtueller Angriffe.
Die dichte Abfolge von Vorträgen und Diskussionen schloss mit der Feststellung, dass ein derart weites und nicht abschließend erschlossenes Themenfeld zu bearbeiten sei, als dass alle Sichtweisen und Meinungen zusammengefasst werden konnten. Die Diskussion wird sich vermutlich genauso dynamisch weiterentwickeln wie der Gegenstand der Betrachtung selbst: Treibender Faktor sei die zukünftige Entwicklung hybrider Herausforderungen. „The battlefield is not static“ und „...the fog of hybrid warfare“ (Das Schlachtfeld ist nicht starr und der Nebel der hybriden Kriegsführung) waren zusätzliche Äußerungen. Gerade diese perspektivische Betrachtung des Phänomens dürfte für das Weißbuch zentral sein – eine Sicht, die breite Zustimmung unter den Teilnehmern fand.
Inhalte teilen via