Oberstleutnant Jens Gliemann ist in Kaduna, 200 Kilometer nördlich von Abuja. Sein Team baut hier am Militärkrankenhaus ein Rehabilitationszentrum – das erste im ganzen Land. In Kaduna werden Verletzte aus den Kämpfen gegen Boko Haram behandelt. Mit dem Reha-Zentrum können sie bald auch therapiert werden, erklärt Stabshauptmann Bernd Groenewald, der das Projekt betreut. Die Pläne haben es in sich: moderne Geräte und Therapien bis hin zu Sonnenkollektoren auf dem Dach. Mitte des Jahres wird das Zentrum übergeben und in die gesamte Region ausstrahlen, ist sich Groenewald sicher.
„Unser Ziel ist es, etwas zu bewegen“, sagt Gliemann. Seit 2016 leitet er die Beratergruppe der Bundeswehr in Nigeria (German Technical Advisory Group, GTAG). „Wir können Nigeria nicht retten, aber wir können vielen Menschen helfen, wir wollen zur Entwicklung im Land beitragen.“ Das Reha-Zentrum ist eins von sieben Projekten, um die Streitkräfte zu stärken und die Sicherheitslage zu verbessern. Schon in den Achtzigern gab es ein Team in Nigeria, bis ein Militärputsch es zum Abzug zwang. Seit 2001 ist GTAG wieder da und mit neun Soldaten mittlerweile die größte aller Beratergruppen in Afrika.
Gliemann fährt weiter zur Infanterieschule des Heeres in Jaji. GTAG erhält viel Zuspruch, erzählt er. Einfach sei die Arbeit aber nicht. Sein Team müsse Überzeugungsarbeit leisten, die Partner vor Ort mitnehmen und dürfe sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen. Die größte Herausforderung ist die Sicherheitslage. Die Berater sind unbewaffnet. Ihr Schutz ist ihre Erfahrung und ein Kürzel auf dem Nummernschild, das hier jeder kennt: DHQ – das Hauptquartier der Streitkräfte. GTAG arbeitet eng mit der militärischen Führung zusammen und hat die wichtigen Personen schnell am Telefon, sagt Gliemann.
Beratergruppen sind Generalisten. Sie leiten Bauvorhaben, helfen bei der Umsetzung und bilden Fachkräfte aus, die die Verantwortung übernehmen. In der Regel bleiben sie drei bis fünf Jahre, die Leiter oft noch länger. Grundlage ist das Ausstattungshilfeprogramm der Bundesregierung, auf das sich Staaten bewerben können. Das Auswärtige Amt hat die Federführung und stellt die Finanzmittel. Das BMVgBundesministerium der Verteidigung entsendet Berater, um die Projekte vor Ort durchzuführen.
In Jaji betreut GTAG vier Projekte. Stabsfeldwebel Christoph Schneider-Biel bildet Radarexperten aus. Die Streitkräfte haben durch die Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung drei Radargeräte erhalten, die Beratergruppe unterstützt die Ausbildung. Das bereitgestellte Gebäude hat sie renoviert, als Trainingsgelände dient eine Landebahn. Die Ausstattung des Schulraums und die Werkbänke sind aus Deutschland. Mitten im Raum steht ein großer Sandkasten. „Wir nennen ihn Wühlkiste“, erzählt Schneider-Biehl, „hier werden die praktischen Übungen durchgespielt.“ Bislang haben 30 Soldaten das Training durchlaufen. Ziel ist es, rund 200 Spezialisten auszubilden, die ihr Wissen selbstständig weitergeben, so der Stabsfeldwebel: „Train the Trainer“.
Die anderen Projekte befinden sich im Peacekeeping Centre, in dem Soldaten für Friedensmissionen trainiert werden. Das mobile Feldlazarett ist nicht zu übersehen. In zwölf Zelten findet sich alles, was es auch in einem Kreiskrankenhaus gibt – vom Röntgengerät bis zum OP-Tisch. Mit einem Unterschied: Alle Geräte können verpackt und verlegt werden. Ein Feldlazarett ist im Norden schon im Einsatz und unterstützt die Streitkräfte, aber auch die Zivilbevölkerung und Flüchtlinge. Es ist im Umkreis von 50 Kilometern die einzige medizinische Anlaufstelle in der Region. Das zweite Lazarett soll Ende des Jahres folgen, erklärt Claudia Ehemann. Der Stabsfeldwebel bildet mit Hauptfeldwebel Mathias Dorn Personal aus, das die Lazarette betreiben soll, damit die Streitkräfte ihre Verwundeten, aber auch Zivilisten besser versorgen können.
Für die Grundversorgung der Soldaten, die in Jaji vorbereitet werden, hat GTAG ein Sanitätszentrum gebaut. In den beiden Gebäuden gibt es auch ein Labor, Krankenzimmer und eine Apotheke. Vor Kurzem hat ein weiterer Arzt angefangen, erzählt Hauptfeldwebel Marcus Bartsch. Die Versorgung wird von den Streitkräften bereits selbstständig organisiert. Bartsch kümmert sich um die Ausbildung von Sanitätern. Neben Schulungen erhalten sie auch eine Ausrüstung – verpackt in Rucksäcken und basierend auf Standards der Bundeswehr.
Das letzte Projekt befindet sich in der Umsetzung: ein erweiterbarer Sanitätscontainer, der auf einem LKWLastkraftwagen montiert ist. Mit diesem verfügen Nigerias Streitkräfte zukünftig auch über eine medizinische Einheit, die überall hin verlegt werden kann. Zusammen mit dem Reha-Zentrum in Kaduna bildet GTAG das gesamte Spektrum der mobilen medizinischen Einsatzunterstützung ab. „Unsere Projekte erweitern die Fähigkeiten des Militärs“, sagt Oberstleutnant Gliemann. Erstmals erhalten die Soldaten eine volle medizinische Betreuung.
Nicht jeder eignet sich zum Berater, Vorausgesetzt werden Expertise, Auslandserfahrung und Durchsetzungsvermögen, so Gliemann. Die Arbeitstage sind lang, die Belastung ist hoch. Auch für die Familien, die mit dabei sind und oft kleine, soziale Projekte verfolgen. Wer zu Einschränkungen bereit ist und Gestaltungswillen mitbringt, dem verspricht er eine wertvolle Erfahrung: „Wir können hier all unsere erlernten Fähigkeiten einbringen und tun etwas Gutes.“
Tags drauf ist Gliemann in den Mogadischu Barracks, der größten Kaserne Abujas. Hier hat die Arbeit von GTAG angefangen. Mit einer Autowerkstatt, die im Zeitverlauf zu einem Instandsetzungszentrum ausgebaut wurde, an dem staatlich anerkannte Mechatroniker ausgebildet werden. Aktuell werden zwei Klassen mit 15 Schülern unterrichtet, erklärt der Schulleiter, Major OAOffizieranwärter Ilekendi, der in Deutschland auf seine Aufgabe vorbereitet worden ist. Der Projektverantwortliche von GTAG, Stabsfeldwebel Thomas Müller, hält sich mittlerweile im Hintergrund. Das Niveau ist hoch, sagt er: „Wir bilden Fachleute aus, die nicht nur Teile austauschen, sondern Fehler erkennen und beheben.“ Der Gebäudekomplex soll erweitert werden, um dem Interesse im Militär nachzukommen. Geplant ist auch eine Öffnung der Ausbildung für die Bevölkerung. „Die Zusammenarbeit mit GTAG ist sehr gut“, erklärt Ilekandi. Wenn es nach ihm geht, soll es noch mehr Zentren geben, um im ganzen Land Mechatroniker auszubilden.
In einem Lager hat Hauptmann Olaf Hoppe Werkzeuge ausgelegt. Eigentlich arbeitet er in Markudi, vier Stunden entfernt von Abuja. Hoppe bildet Kräfte zur Kampfmittelabwehr aus. Aktuell bereitet er die Übergabe von Counter-IEDImprovised Explosive Device-Sets vor, die von GTAG zusammengestellt worden sind. Sprengfallen sind die größte Gefahr im Kampf gegen Boko Haram. Es geht, so Hoppe, nicht nur um Ausrüstung, sondern um die Ausbildung einer Fähigkeit. Seit 2017 wird jeder Pionier in der Kampfmittelabwehr ausgebildet. „Wir setzen uns dafür ein, dass die gesamte Infanterie geschult wird, um die Zahl der Todesopfer im Norden zu senken“, erklärt Gliemann auf dem Rückweg. Er ist optimistisch, dass sein Team die Partner von den Plänen überzeugen wird.
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