Das Nigerdelta ist ein unsicherer Ort. Es zieht viele Kriminelle an. Die Soldaten tragen Sturmgewehre, an den Booten sind schwere Maschinengewehre montiert. Fünf Boote der Marine sind vom Hafen in Port Harcourt aufgebrochen, um auf Patrouille zu gehen. Als sie den Hafen verlassen haben, drücken sie aufs Gas und lassen eine Benzinwolke hinter sich.
Im „Delta“ liegen die Ölvorkommen Nigerias. Die Exporte machen 90 Prozent der Staatseinnahmen aus. Ohne Öl, kein Staat. An den Ufern und unter dem Fluss verlaufen Pipelines von Shell, Chevron und ExxonMobil. An der Küste, im Golf von Guinea, befinden sich Raffinerien. Der Ölreichtum ist Fluch und Segen: Die Region leidet unter Verteilungskämpfen, Korruption und einer großen Umweltzerstörung. Seit Jahren geht das Militär gegen Milizen vor. Die bekannteste, die Niger Delta Avengers, kämpft für eine Abspaltung der Region und den Zugriff auf die Ölvorkommen.
Die vielen Abzweigungen und Flussläufe des Nigers, sogenannte „Creeks“, erschweren die Überwachung des Deltas. Die Patrouillenboote sind neu, Deutschland hat sie aus Mitteln der Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung finanziert. Diese stellt 130 Millionen Euro im Jahr bereit, um Staaten zu unterstützen, Sicherheit in ihren Gebieten zu schaffen – Hilfe zur Selbsthilfe. Das Auswärtige Amt und das BMVgBundesministerium der Verteidigung bestimmen gemeinsam über die Verwendung der Mittel. Die Ertüchtigungsinitiative reicht von Ausbildung und Ausstattung über Infrastrukturmaßnahmen bis hin zur Lieferung von militärischem Gerät – zugeschnitten auf die jeweiligen Bedürfnisse. Nigeria ist ein Schwerpunktland: Die Streitkräfte erhalten moderne Ausrüstung für den Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität: Radargeräte, Spezialwerkzeug zur Kampfmittelbeseitigung und auch Flachboote.
Der deutsche Generalkonsul in Lagos, Ingo Herbert, und der deutsche Militärattaché aus Abuja, Oberst Thomas Brillisauer, haben die Boote am Morgen übergeben. Sie wurden in Nigeria hergestellt, ihr Design ist mit der Marine abgestimmt. Generalkonsul Herbert lobt die „Kooperation mit starkem lokalen Kontakt“, von der auch die lokale Wirtschaft profitiere. Laut Numo Lele Aaron von der Epenal Group, die die Flachboote produziert hat, erfüllen sie alle Anforderungen: GPSGlobal Positioning System, Radar, Sirene, Kommunikationssysteme, aber auch gepanzerte Aufbauten und Lafetten für Waffen. Die Boote werden aus Fiberglas gebaut und sind flach, leicht und wendig, um auch die engen Creeks zu befahren. „Der Tank reicht bis zu zehn Stunden“, erklärt Aaron, „bis zu 70 Kilometer pro Stunde können sie fahren.“
Der Niger ist der drittlängste Fluss Afrikas. Das Mündungsgebiet ist so groß wie Bayern und liefert ein Bild der Zerstörung: Auf dem Wasser schwimmen Ölteppiche. Die Mangroven an den Ufern sind schwarz. Tiere gibt es kaum noch. 2016 eskalierte hier die Gewalt. Die Regierung hatte ein Amnestieprogramm beendet, das den Milizen ein Einkommen versprach, wenn sie ihre Waffen niederlegten. Oberst Brillisauer erinnert sich: „Pipelines und Pumpstationen wurden gesprengt, um die Einnahmen des Staates zu sabotieren. Nigeria stand vor dem Bankrott.“ Die Ölexporte gingen in kurzer Zeit um die Hälfte zurück. Der Einsatz des Militärs blieb ohne Erfolg. „Das Nigerdelta ist zu groß und unübersichtlich, um es militärisch in den Griff zu kriegen“, erklärt Brillisauer. Noch im gleichen Jahr legte die Regierung ein neues Amnestieprogramm auf. „Im Moment herrscht relative Ruhe. Aber es kommt immer noch zu Angriffen und Sabotageakten, um den Druck auf die Regierung hochzuhalten.“ Eine politische Lösung ist nicht in Sicht. Die Lage bleibt instabil und gefährlich, so der Militärattaché, der mit an Bord ist.
Nach einer Stunde wird es auf den Booten plötzlich hektisch. Hinter einer Flussbiegung wird ein Kahn mit Fässern und Kanistern entdeckt: Ölschmuggler! Der illegale Handel ist ein weiteres Problem im Delta. In den Creeks zapfen Schmuggler die Pipelines an und leiten den Inhalt in ihre Boote um, um ihn auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. An den Ufern liegen zurückgelassene Schläuche. Oft spürt das Militär auch illegale Raffinerien auf, die von bewaffneten Kämpfern beschützt werden. Viel Öl läuft in den Fluss. Die Hintermänner werden selten gefasst, die Strukturen bleiben im Verborgenen. Ehe die Patrouille den Kahn erreicht, flüchten die beiden Diebe durch die Mangrovensümpfe. Ihr Holzboot lassen sie zurück. Die Soldaten fordern Unterstützung an, damit der Kahn konfisziert wird und setzen die Fahrt fort.
„Das Militär hat nicht genügend Kräfte, um alle Creeks zu überwachen“, erklärt Konteradmiral James Oluwole vom Hauptquartier der Marine. Deshalb habe es die Strategie geändert und neben Patrouillen auch „Choke Points“ errichtet, um den Zugang zur Hochsee zu bewachen. An neun Außenposten werde mittlerweile kontrolliert, welche Schiffe das Delta zum Golf von Guinea passieren. Manche Außenposten sind mobil, andere fest verankert. Choke Point 23 ist ein „Hausboot“, eine schwimmende Wachstation, die rund um die Uhr besetzt ist. Die Patrouillen und Außenposten sollen sich ergänzen, sagt Konteradmiral Oluwole: „Wir brauchen beides, um die Region möglichst weiträumig zu kontrollieren.“
Nach dem Stopp am Hausboot spürt die Patrouille erneut einen verdächtigen Kahn auf. Zwei Männer und eine Frau werden auf frischer Tat ertappt. Als sie eingekreist sind, heben sie die Hände und lassen sich festnehmen. Ein Soldat springt auf ihr Boot, um es am Ufer festzumachen, damit es abgeschleppt werden kann. Wenige Abzweigungen später der nächste Zwischenfall: Auf einem Boot sind drei Männer dabei, Öl in Fässer abzufüllen. Ein anderes Boot ergreift hektisch die Flucht. Auch sie versuchen zu fliehen, der Fahrer kriegt den Motor aber nicht an, ehe sie umzingelt sind. Fünf Festnahmen, drei konfiszierte Boote – schon bei ihrer ersten Fahrt zeigen die Flachboote Wirkung. Oberst Brillisauer ist zufrieden, die Marine habe gute Arbeit geleistet. Illusionen macht er sich aber nicht: „Das Delta ist ein umkämpfter Ort. Die erhöhte Präsenz der Marine ist nur ein Anfang, um die Region zu stabilisieren.“
Inhalte teilen via