Von Krisen betroffene Länder lösen ihre Probleme selbst viel effektiver und effizienter als dies externe Hilfsaktionen könnten. Deshalb unterstützt Deutschland Nigeria bei seinen Anstrengungen, für Stabilität und Sicherheit im eigenen Land und in der Region zu sorgen.
Es stinkt nach Öl. Der Schlamm am Ufer ist schwarz und klebt an den Füßen. Ein Rinnsal zäher Brühe läuft in den Fluss. Es ist noch gar nicht lange her, da wurde am Ende dieses Flussarmes eine illegale Raffinerie betrieben, so lange, bis eine Patrouille des Kommandos der NNSNigerian Navy Ship Pathfinder aus Port Harcourt sie entdeckte und zerstörte.
Ein kleiner Sieg in einem großen Kampf, den die nigerianische Marine entlang der Küste des Golfs von Guinea führt. Im vergangenen Jahr erlebte die Region, deren Öl seit Jahren zwei Drittel der nigerianischen Staatseinnahmen sichert, die schlimmsten Sabotage-Angriffe seit knapp einem Jahrzehnt.
Eine zuvor unbekannte Gruppe namens „Niger Delta Avengers“ (Die Rächer des Nigerdeltas) ließ durch gut ausgebildete Taucher Ölleitungen in die Luft sprengen. Statt 2,2 Millionen Barrel am Tag exportierte Nigeria zeitweise nicht einmal mehr die Hälfte – ein schwerer Schlag für die durch die sinkenden Ölpreise ohnehin schon schwer angeschlagene Wirtschaft des Landes.
Die nationale Währung, der Naira, hat seit dem Sommer 2016 etwa 40 Prozent seines Wertes verloren, die Inflation liegt bei 18,5 Prozent. Die Preise steigen, vor allem für Lebensmittel und Benzin. Im Nigerdelta hat die Zahl der Entführungen zugenommen. Oft sind unbeteiligte Anwohner der umliegenden Dörfer die Opfer. Zudem lauern Piraten Fischerbooten auf und stehlen deren Motoren.
Derweil verschlingt der Kampf gegen Boko Haram im Nordosten des Landes Milliarden. Seit 2009 hat es in diesem Konflikt rund 30.000 Tote gegeben. Zeitweise hatte die Terrormiliz große Teile der nordöstlichen Bundesstaaten Nigerias unter seiner Kontrolle. Das nigerianische Militär hat zwar im vergangenen Jahr viele der besetzten Gebiete zurückerobert, aber die Krise hält an.
Innerhalb des Landes sind mittlerweile rund 2,2 Millionen Menschen auf der Flucht, die Hälfte davon sind Kinder. Die geflohenen Menschen leben nach Angaben der UNOUnited Nations Organization-Flüchtlingshilfe derzeit in 84 Lagern und Siedlungen. Es fehlt vorrangig an Wasser, Nahrung, Unterkünften sowie anderen Hilfsgütern. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEFUnited Nations International Children’s Emergency Fund schätzt, dass knapp eine halbe Million Kinder unter fünf Jahren unter lebensbedrohlicher Mangelernährung leiden. Etwa 200.000 Nigerianer sind in die Nachbarländer Niger, Kamerun und Tschad geflohen. Der Konflikt droht sich auf diese Länder auszuweiten.
Die Sicherheitssituation in den Grenzgebieten ist sehr angespannt. Immer wieder kommt es zu Übergriffen. Auf der Wunschliste, die Nigerias Präsident Muhammadu Buhari bei seinem Besuch des G7Gruppe der Sieben-Gipfels im Juni 2015 in Elmau im Gepäck hatte, stand an erster Stelle internationale Unterstützung für den Sicherheitssektor. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihm damals zugesichert, dass im Kampf gegen Boko Haram konkrete Projekte im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung gemeinsam vom Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium der Verteidigung umgesetzt werden.
Ziel der Initiative ist es, den Partnern deutscher Sicherheits- und Außenpolitik in Krisenregionen zu ermöglichen, selbst die Stabilität und Sicherheit in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft in die Hand zu nehmen. Sie geht davon aus, dass lokale Konflikte besser und vor allem nachhaltiger durch interne Akteure gelöst werden können als durch externe. Eine Lehre, die aus den militärischen Interventionen der Vergangenheit gezogen wurde: NATONorth Atlantic Treaty Organization und EUEuropäische Union können nicht allein alle sicherheitspolitischen Probleme bewältigen. Der Westen braucht Partner und Verbündete, die Verantwortung übernehmen.
Aktuell gehören die Länder Irak, Jordanien, Mali, Nigeria und Tunesien zu den Partnern der deutschen Ertüchtigungsinitiative – demnächst soll Niger hinzukommen. Die jeweils bilateral vereinbarten Projekte orientieren sich am Bedarf der Partner. Sie sind Teil ihrer eigenen Strategien und liegen letztlich auch in ihrer Verantwortung.
Die Vereinbarung mit Nigeria umfasst unter anderem die Ausstattung mit drei Bodenradargeräten zur stationären Grenzüberwachung sowie mit 180 Minensuchgeräten für den Einsatz im Nordosten des Landes. Begleitet werden die Projekte der Ertüchtigungsinitiative vom Militärattachéstab der deutschen Botschaft in Abuja. Dabei arbeitet dieser auch mit Partnern auf der politischen Ebene zusammen.
So finden seit 2016 gemeinsame Konferenzen, Seminare und Round-Table-Gespräche mit der Konrad-Adenauer-Stiftung statt. Hier geht es darum, mit inländischen sicherheitspolitischen Akteuren und den Nachbarländern die aktuellen Herausforderungen der Region zu diskutieren. Terrorismus, bewaffnete Konflikte und fragile Staatlichkeit betreffen nicht nur Nigeria, sondern sind regionale Probleme, die nur in enger Zusammenarbeit mit den angrenzenden Staaten gelöst werden können.
„Ziel der Kooperation ist es, Experten und Entscheidungsträger aus Politik, Militär und Zivilgesellschaft zusammenzubringen, um so langfristig Netzwerke zu etablieren, die einen echten Dialog ermöglichen“, sagt Tinko Weibezahl, Leiter des KASKonrad Adenauer Stiftung-Programmes „Sicherheitspolitischer Dialog Subsahara-Afrika“. So wurde beispielsweise Anfang Dezember 2016 auf Einladung der KASKonrad Adenauer Stiftung und des deutschen Militärattachés für Westafrika, Oberst Thomas Brillisauer, eine Konferenz in Abuja durchgeführt mit dem Titel „Sicherheit und regionale Integration in Westafrika“. Teilnehmer aus 13 Staaten diskutierten aktuelle sicherheitspolitische Themen und tauschten sich über ihre Arbeit aus.
Unfälle in Waffendepots gehören zur traurigen Realität in vielen afrikanischen Ländern. Das wohl schwerste Unglück ereignete sich im März 2012 in Brazzaville, Kongo. Mehrere Explosionen in unzureichend gesicherten Munitionslagern machten einen ganzen Stadtteil dem Erdboden gleich. Fast 300 Menschen starben und mehr als 1.000 wurden verletzt.
Eine wichtige Komponente der Ertüchtigungsinitiative sind daher Schulungen zur sicheren Aufbewahrung von Schusswaffen und Munition – gemeinsam durchgeführt vom Verifikationszentrum der Bundeswehr und dem Internationalen Konversionszentrum in Bonn (BICCBonn International Center for Conversion). Dabei werden auch ostafrikanische Trainer eingesetzt, die im Rahmen eines früheren Projekts am International Peace Support Training Centre in Nairobi in Kenia ausgebildet wurden. „Dass wir in Ostafrika ausgebildete Trainer jetzt in Westafrika einsetzen, ist einmalig“, sagt Wolf-Christian Paes, Leiter Beratungsvorhaben am BICCBonn International Center for Conversion. Das entspricht genau den Wünschen der Afrikanischen Union nach dem Aufbau lokaler Kapazitäten für Ausbildung und Schulung.
Die nigerianische Marine hofft auf eine konkrete Vereinbarung in diesem Jahr. „Mehr Schiffe bedeuten mehr Sicherheit in den Bächen und Flüssen des Deltas“, sagt Konteradmiral J. O. Oluwole, Kommandeur des Eastern Naval Command in Calabar, beim Truppenbesuch durch Oberst i. G. Brillisauer. Die Ausstattung der nigerianischen Marine sei veraltet und bei Weitem nicht ausreichend, um den Herausforderungen in dem großen und teilweise schwer zugänglichen Flussdelta im Süden Nigerias angemessen begegnen zu können. „Wir sind daher sehr froh über das deutsche Engagement.“
Den Bedarf könne er nachvollziehen, sagt der deutsche Militärattaché. Sein Stab erwäge, für die nächste Phase der Ertüchtigungsinitiative vorzuschlagen, der nigerianischen Marine Flachboote zum Einsatz gegen die Ölpiraterie im Nigerdelta zur Verfügung zu stellen. Die Boote könnten in einer lokalen Werft in Port Harcourt gebaut werden, die jetzt schon Lieferant der nigerianischen Marine ist.
Das größte deutsch-nigerianische Projekt im vergangenen Jahr hat Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen am vierten Advent persönlich ihrem nigerianischen Amtskollegen Mansur Dan-Ali übergeben: Ein mobiles Feldlazarett, das auf der Wunschliste stand, die Präsident Buhari beim G7Gruppe der Sieben-Gipfel in Elmau vorgelegt hatte. Umso größer ist die Freude, dass das Lazarett nun einsetzbar ist.
Es wurde gemeinsam mit dem nigerianischen Partner gemäß den Richtlinien der Vereinten Nationen geplant. Das Lazarett basiert auf einer mobilen Zeltplattform mit 13 Zelten und elf medizinischen Fachbereichen, ist wetterbeständig und besticht durch seine einfache, stabile und verständliche Aufbauweise. Das System hat sich bei Bundeswehreinsätzen bestens bewährt.
Die deutsche Beratergruppe in Nigeria hat Ende 2015 im Nigerian Army Peacekeeping Centre in Jaji sowohl Soldaten für den Aufbau und Betrieb ausgebildet als auch Ärzte und Sanitäter als Trainer weitergebildet. Mitte Januar 2016 wurde es nach Maiduguri im Nordosten des Landes verlegt, um dort die nigerianischen Truppen in ihrem Kampf gegen Boko Haram zu unterstützen.
Die Ertüchtigungsinitiative ist ein Instrument der Bundesregierung, die seit 2016 das Prinzip der vorbeugenden Sicherheitspolitik verfolgt. Dieser liegt die Idee zugrunde, regionale Akteure in Krisenregionen in die Lage zu versetzen, selbst für Sicherheit und Stabilität in ihrer Nachbarschaft zu sorgen. Von der Krisenprävention über die Krisenbewältigung und -nachsorge bis hin zur Friedenskonsolidierung.
2016 standen 100 Millionen Euro für Projekte zur Verfügung, die das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung gemeinsam verwalten. Für 2017 sind 130 Millionen Euro vorgesehen. Das Geld aus dem sogenannten Ertüchtigungstitel kann inhaltlich, geografisch und zeitlich frei eingesetzt werden.
Aktuell gehören die Länder Irak, Jordanien, Mali, Nigeria und Tunesien zu den Partnern der deutschen Ertüchtigungsinitiative. In diesem Jahr soll Niger hinzukommen. Im Sinne des vernetzten Ansatzes werden unterschiedliche Projekte unterstützt, beispielsweise Reformen des Sicherheitssektors, Hilfe bei der Grenzsicherung sowie Maßnahmen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle. Neben Schulung und Ausbildung schließt das deutsche Konzept auch die Bereitstellung von Ausrüstung ein.
Die Bundesregierung verfolgt die Ertüchtigungsinitiative in erster Linie national und auf europäischer Ebene, aber auch im Rahmen der NATONorth Atlantic Treaty Organization, der G7Gruppe der Sieben sowie der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWASEconomic Community of West African States.
Wie bewährt sich die Ertüchtigungsinitiative in der Praxis?
Sie ist eine wirkungsvolle Ergänzung zu bewährten Instrumenten der militärpolitischen Zusammenarbeit. In Nigeria gilt das natürlich vor allem für den Kampf gegen die Terrormiliz Boko Haram im Nordosten des Landes.
Wie nachhaltig sind die Maßnahmen?
Die Maßnahmen der Ertüchtigungsinitiative sollten mit den langfristig angelegten Ansätzen anderer Instrumente verknüpft werden. Beispielsweise mit dem Ausstattungshilfeprogramm der Bundesregierung, das durch die Beratergruppen der Bundeswehr umgesetzt wird.
Welche Herausforderung gibt es in der Umsetzung?
Bislang wurden die Projekte von den Militärattachéstäben umgesetzt. Das ging zulasten anderer Aufgaben. Wenn kein Einsatzkontingent vor Ort ist, werden die Projekte von den Militärattachéstäben in direkter Absprache mit dem BMVgBundesministerium der Verteidigung umgesetzt.
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