Der damalige deutsche Botschafter bei der NATONorth Atlantic Treaty Organization, Rüdiger König, hatte im Interview mit der Redaktion der Bundeswehr am 13.06.2023 auf die schnelle Reaktionsfähigkeit der Allianz angesichts der neuen Herausforderungen hingewiesen. Seit Russlands Überfall auf die Ukraine habe sich das Bündnis zielgerichtet auf die aktuelle Bedrohungslage in Europa ausgerichtet.
Wie empfinden Sie gegenwärtig die Dynamik der Allianz seit den tiefgreifenden Veränderungen für die europäische Sicherheitsarchitektur durch Russlands Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022?
Seitdem ist alles noch dynamischer geworden, als es ohnehin schon war. Dieser Tag war für uns im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Hauptquartier eine fundamentale Wende. Und zwar in der Art und Weise, wie wir arbeiten, was wir tun, in der Häufigkeit, in der Intensität und in der Fülle der Themen, die uns in der gesamten Bandbreite beschäftigen. Lassen Sie es mich in ein Bild fassen: Das NATONorth Atlantic Treaty Organization-Hauptquartier ist ein Bienenstock, der noch mehr brummt als ohnehin schon bisher. Dieses Datum war für uns alle hier ein tiefer Einschnitt.
Inwiefern?
Wir haben seit dem 24. Februar 2022 die NATONorth Atlantic Treaty Organization Stück für Stück kontinuierlich und sehr zielgerichtet auf die neuen Herausforderungen ausgerichtet. Es ist eine große Qualität der Allianz, wie reaktionsfähig und wie wandelbar sie ist. Mit dem NATONorth Atlantic Treaty Organization-Beitritt Finnlands sind wir mittlerweile 31 Mitglieder. Wir arbeiten im Konsens – und diesen Konsens müssen wir organisieren, wenn wir zu den Ergebnissen gelangen wollen, die wir anstreben. Damit hat sich die Arbeit nochmal ganz deutlich intensiviert.
Hat sich im Kontext der „Zeitenwende“ die Rolle des deutschen Anteils im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Hauptquartier verändert?
Ich kann sagen, dass seit dem 24. Februar 2022 die Rolle Deutschlands hier im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Hauptquartier – wie in einem Brennglas – in ihren Konturen noch deutlicher geworden ist als bisher. Damit meine ich die Erwartungen der Partner an uns. Ich meine damit aber auch unser eigenes Engagement in den Diskussionen, die wir im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Hauptquartier führen. Über alle innenpolitischen Debatten, die über Ausrüstung und Ausstattung der Bundeswehr geführt werden, wird hier in Brüssel von den Partnern der Beitrag, den Deutschland und die Bundeswehr im Bündnis leisten, außerordentlich geschätzt. Deutschland ist einer der ganz wichtigen Partner hier im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Hauptquartier. Deshalb steht auch Deutschlands Beitrag ganz besonders im Fokus. Die Erwartungen sind da und wir werden ihnen gerecht.
Mit welchen Erwartungen werden Sie vor dem Hintergrund der „Zeitenwende“ im Bündnis konfrontiert?
Die gesamte Bandbreite der Reaktionen der NATONorth Atlantic Treaty Organization auf Russlands Überfall auf die Ukraine zeigt, dass Deutschland dabei in jedem einzelnen Bereich eine wichtige Rolle spielt. So beispielsweise bei der materiellen Ausrüstung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland. Da schauen die Partner auf uns und sie nehmen wahr, dass Deutschland einen herausragenden Beitrag leistet. Es ist sehr genau registriert worden, dass die Bundesregierung von ihrem Prinzip, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, in diesem besonderen Fall bewusst abgewichen ist. Deutschland hat dabei seinen Weg gefunden, übrigens auch im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Kontext.
Welche Rolle spielt in diesem Kontext die NATONorth Atlantic Treaty Organization?
Auch die NATONorth Atlantic Treaty Organization hat bei der Unterstützung der Ukraine ihre Rolle. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die Allianz sich auf nicht letale Unterstützung der Ukraine konzentriert. Das ist eine politische Entscheidung, welche die Mitglieder der Allianz gemeinsam getroffen haben. Wir stimmen uns darüber übrigens auch bilateral und im Verbund mit unseren EUEuropäische Union-Partnern ab.
Und darüber hinaus?
Ich möchte politisch-strategisch das Versprechen hervorheben, das sich alle NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mitglieder mit dem Artikel 5 des NATONorth Atlantic Treaty Organization-Vertrages gegeben haben. Nämlich dass wir jeden Zentimeter des NATONorth Atlantic Treaty Organization-Territoriums verteidigen werden, wenn es nötig ist. Auch dazu leistet Deutschland – neben der Unterstützung der Ukraine – einen weiteren Beitrag mit der Unterstützung unserer östlichen Alliierten an der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke. Dabei spielt die Bundeswehr eine ganz wichtige Rolle. Deutschland hat mit den Beschlüssen beim NATONorth Atlantic Treaty Organization-Gipfel in Madrid konzeptionell dazu beigetragen, wie die Allianz gestärkt werden muss. Das Modell der enhanced vigilance activities (eVAenhanced Vigilance Activities), das wir mit unseren litauischen Partnern entwickelt haben, kann sich sehen lassen.
Wie würden Sie Deutschlands Beitrag hier beschreiben?
Deutschlands Beitrag ist substanziell, nachhaltig und schnell. Und ich kann der Bundeswehr nur meinen Dank und meine Bewunderung dafür ausdrücken, wie sie das alles in dieser Kürze der Zeit auf die Beine stellt. Weiter möchte ich die Leistung der Bundeswehr bei der Unterstützung unserer baltischen Partner, aber auch in anderen Teilen der Ostflanke ganz besonders hervorheben. Das wird hier im Bündnis ausdrücklich anerkannt.
Bekommen die Kooperationsbeziehungen zwischen NATONorth Atlantic Treaty Organization und EUEuropäische Union angesichts der veränderten Sicherheitslage in Europa einen neuen Stellenwert – und wie beurteilen Sie den Stand der europäischen Verteidigung komplementär zur NATONorth Atlantic Treaty Organization?
Die Kooperation zwischen der Europäischen Union und der NATONorth Atlantic Treaty Organization ist seit dem 24. Februar 2022 enger geworden. Sie ist besser geworden. Wir haben auf der strategischen Ebene eine dritte Erklärung zur NATONorth Atlantic Treaty Organization-EUEuropäische Union-Kooperation verabschiedet. Hier sind die Arbeitskontakte sehr gut. Die Europäische Union hat bei der Unterstützung der Ukraine beispielsweise mit der European Peace Facility Mechanismen entwickelt, die extrem hilfreich sind, und vieles mehr. Die NATONorth Atlantic Treaty Organization sieht ihren Part bei der Unterstützung der Ukraine bekanntermaßen bei der nicht letalen Unterstützung. Die Beiträge von EUEuropäische Union und NATONorth Atlantic Treaty Organization machen beide zusammen Sinn. Sie ergänzen sich dann in dem größeren strategischen Rahmen, dem Ramstein-Format. Das ist gut.
Über alle innenpolitischen Debatten, die über Ausrüstung und Ausstattung der Bundeswehr geführt werden, wird hier in Brüssel von den Partnern der Beitrag, den Deutschland und die Bundeswehr im Bündnis leisten, außerordentlich geschätzt. Deutschland ist einer der ganz wichtigen Partner hier im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Hauptquartier. Deshalb steht auch Deutschlands Beitrag ganz besonders im Fokus. Die Erwartungen sind da und wir werden ihnen gerecht.Rüdiger König, ehemaliger Deutscher Botschafter bei der NATONorth Atlantic Treaty Organization
Wollen Sie zu NATONorth Atlantic Treaty Organization-EUEuropäische Union noch etwas ergänzen?
Ja. Deutschland ist als Teil der NATONorth Atlantic Treaty Organization für den Ausbau der Verteidigungsfähigkeit der Europäischen Union. Wir wollen auch die europäische Verteidigungsindustrie stärken, damit die EUEuropäische Union in die Lage versetzt wird, ihre Verteidigung selbst in die Hand zu nehmen. Aber – das alles darf nicht zu Lasten der NATONorth Atlantic Treaty Organization gehen. Es gibt nur eine Armee. Insofern muss die Entwicklung der europäischen Verteidigung komplementär zur NATONorth Atlantic Treaty Organization geschehen – das ist auch im Großen und Ganzen der Fall.
Welche wichtigen transatlantischen Impulse auf Ihre Arbeit nehmen Sie in diesen Zeiten hier in Brüssel wahr?
Die derzeitige US-Regierung in Washington ist so transatlantisch wie lange nicht. Das tut unseren Beziehungen sehr gut. Die Zusammenarbeit ist hervorragend. Aber das sollte gerade uns Europäern ein Ansporn sein, für ein partnerschaftliches Miteinander auch in Zukunft. Das heißt, was uns die USA im Bündnis geben, sollten wir Europäer den transatlantischen Partnern auch nach unseren Möglichkeiten zurückgeben. Dieses Miteinander läuft derzeit wirklich gut. Aber wir wissen aus der jüngeren Geschichte der transatlantischen Beziehungen auch, dass sich ein solcher Zustand ändern kann.
Worauf kommt es also an?
Wichtig ist, dass Europa damit fortfährt, dieses transatlantische Verhältnis zu vertiefen und zu verstärken. Und das, was die Werte und Interessen dieser beiden Kontinente ausmacht, weiter eng miteinander zu verschränken. Es gilt sowohl auf der strategischen als auch auf der operativen Ebene Konvergenz der Positionen herzustellen.
Was sind für Sie aus deutscher Sicht die wichtigsten Vorteile durch das neue NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mitglied Finnland und hoffentlich bald auch Schweden?
Ich teile Ihre Hoffnung, dass wir bald 32 NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mitglieder sind. Der bereits erfolgte Beitritt Finnlands ist natürlich für die NATONorth Atlantic Treaty Organization ein großer Gewinn und so wäre es auch, wenn Schweden hoffentlich in nächster Zeit beitreten würde. Und umgekehrt ist der Beitritt sicher auch für die beiden Staaten ein großes Plus, sonst hätten sie nicht der Allianz beitreten wollen. Der große Vorteil ist, die NATONorth Atlantic Treaty Organization bekommt zwei Wertepartner an den Tisch. Je größer diese Allianz der Gleichgesinnten ist, desto besser. Die NATONorth Atlantic Treaty Organization bekommt zudem zwei neue Mitglieder, die militärisch sehr leistungsfähig sind. Das sind gut ausgestattete, gut trainierte und hochmoderne Armeen. In der Ostseeregion ist die Präsenz Finnlands und hoffentlich bald auch Schwedens von enormer Wichtigkeit. Darüber hinaus bringen beide Länder neue Verteidigungsindustrien mit.
Und 1.000 Kilometer mehr Grenze zu Russland...
Ja, 1.000 Kilometer mehr Grenze. Aber deswegen müssen wir uns keine schlaflosen Nächte machen. Diese 1.000 Kilometer Grenze hat es vorher auch gegeben. Unsere neuen finnischen Partner stehen dort mit einem durchaus begründeten Selbstbewusstsein. Deshalb ist Finnlands Beitritt – und hoffentlich auch bald Schwedens – für die beiden neuen Partner und für die NATONorth Atlantic Treaty Organization, also für beide Seiten, ein großer Gewinn.
Welche Rolle spielen für Sie das gestiegene Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger und deren Erwartungen an die Allianz – und welchen Einfluss haben diese Aspekte auf Ihre tägliche Arbeit?
Ich merke dieses gestiegene Sicherheitsbedürfnis zum Beispiel in Diskussionen. Früher musste ich vorher erklären, warum es die NATONorth Atlantic Treaty Organization eigentlich gibt, warum wir Militär brauchen und warum das soviel Geld kostet. Das alles ist seit dem 24. Februar 2022 nicht mehr nötig. Daran merke ich ganz deutlich, dass in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger ein fundamentaler Wandel stattgefunden hat.
Wie sieht dieser Wandel konkret aus?
Nun muss nicht mehr gerechtfertigt werden, warum es die NATONorth Atlantic Treaty Organization gibt – im Gegenteil! Jetzt fragen die Menschen draußen im Lande: „Warum geht das nicht schneller? Warum macht ihr nicht mehr?“ Anhand dieser Erfahrung kann ich die Veränderungen aus meiner ganz persönlichen Perspektive festmachen. Deshalb nehme ich das Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach Sicherheit und Schutz sehr ernst. Denn am Ende des Tages geht es immer um Menschen. Es geht um die originäre Aufgabe des Staates: den Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger. Und diesen Schutz organisiert die NATONorth Atlantic Treaty Organization mittlerweile seit fast 75 Jahren äußerst erfolgreich. Das wiederum ist ein Antrieb für mich bei der täglichen Arbeit hier im Hauptquartier der Allianz in Brüssel.
Vita Ex-NATONorth Atlantic Treaty Organization-Botschafter Rüdiger König |
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Der damalige NATONorth Atlantic Treaty Organization-Botschafter Rüdiger König, geboren am 8. April 1957 in Bonn, war von August 2020 bis Juli 2023 der Ständige Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Nordatlantikrat in Brüssel. Zuvor war er von 2015 bis 2020 Abteilungsleiter der Abteilung Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt in Berlin. Von 2014 bis 2015 war er Krisenbeauftragter des Auswärtigen Amts. Von 2013 bis 2014 war Rüdiger König Beauftragter für die Vereinten Nationen im Auswärtigen Amt. In den Jahren 2010 bis 2013 war er Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan. Zuvor war er von 2008 bis 2010 Leiter des Sonderstabs Afghanistan-Pakistan im Auswärtigen Amt. In den Jahren 2006 bis 2008 war er Leiter der Politischen Abteilung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der NATONorth Atlantic Treaty Organization in Brüssel. Davor war Rüdiger König von 2004 bis 2006 Leiter des Büros von Bundespräsident a.D.außer Dienst Johannes Rau in Berlin. Bis dahin leitete König von 2002 bis 2004 das Persönliche Büro von Bundespräsident Johannes Rau. 2001 war Rüdiger König Mitglied der deutschen Delegation auf der Petersberg-Konferenz zum Thema Afghanistan. Zuvor hatte er im Auswärtigen Amt diverse Referententätigkeiten inne. Vor seinem Eintritt in den Auswärtigen Dienst im Jahre 1986 studierte Rüdiger König nach dem Abitur Politikwissenschaften, Staats- und Völkerrecht und Soziologie an der Universität Bonn (Magister artium). |
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