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Die deutschen Streitkräfte bekennen sich zu Toleranz und Vielfalt. Das war nicht immer so. Offen homosexuelle Soldatinnen und Soldaten sind von der Gründung der Bundeswehr bis ins Jahr 2000 hinein systematisch diskriminiert worden. Sie galten als Sicherheitsrisiko und hatten keine Chance auf eine Karriere, wenn ihre sexuelle Orientierung bekannt wurde. Die Streitkräfte haben dieses Kapitel in ihrer Vergangenheit aufgebarbeitet und betroffene Soldatinnen und Soldaten können rehabilitiert und entschädigt werden.
Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften hat drei Jahre an der Studie „Tabu und Toleranz. Der Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende“ gearbeitet. Autor der Studie ist Oberstleutnant Klaus Storkmann. Der Militärhistoriker sprach dafür mit mehr als 60 Zeitzeugen, wertete Gerichtsurteile aus und sichtete Archivunterlagen. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse und die mehr als 400-seitige Studie findet sich hier.
Einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Männern waren in Deutschland bis 1994 strafbar. Erst dann wurde der § 175 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Die Bundeswehr beendete die Diskriminierung Homosexueller im Jahr 2000: Seitdem stellt Homosexualität keinen Grund für Einschränkungen hinsichtlich Eignung, Verwendung oder Status eines Soldaten oder einer Soldatin mehr dar.
Mit einer Verfassungsbeschwerde fing alles an – zwei Jahrzehnte später gibt es die erste offizielle Rehabilitierung eines homosexuellen Soldaten. Ermöglicht hat das ein ehemaliger Luftwaffenoffizier. Im Interview teilt er seine Erfahrungen.
Und Leutnant Sven Bäring, Vorsitzender von QueerBw, der Interessenvertretung der sexuellen Minderheiten in der Bundeswehr, spricht im Interview über Diskriminierung, Akzeptanz und die Bedeutung des Gesetzes zur Rehabilitierung homosexueller Soldaten für die queere Gemeinschaft in den Streitkräften.
Die Studie „Tabu und Toleranz“ zum Umgang der Bundeswehr mit homosexuellen Soldatinnen und Soldaten ist am 17. September vorgestellt worden. Homosexuelle seien jahrzehntelang ausgegrenzt worden, so das Ergebnis – ihre Rehabilitierung wird vorbereitet. Im Anschluss gingen eine Vielzahl an Nachfragen im Ministerium ein. Hier sind die Antworten.
Ich diene als Offizier. Meine Sexualität habe ich weder versteckt noch zu einem Thema gemacht. Dennoch erfahre ich durch meine Vorgesetzten eine andere Behandlung. Der Dienst ist dadurch für mich ein Martyrium. Sind Sie der Ansicht, dass eine Diskriminierung von Soldatinnen und Soldaten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in der Bundeswehr nicht mehr vorkommt? Sollte es andere Strukturen, etwa einen sicheren Ort für Soldatinnen und Soldaten, geben?
Entscheidend ist, ein Klima zu schaffen, in dem Diskriminierung, gleich welcher Form, ausgeschlossen und geahndet wird und in dem sich Betroffene vertrauensvoll an ihre Vorgesetzten wenden können. Die Vorgesetzten sind aufgefordert, als Vorbilder zu wirken. Ein vollständig diskriminierungsfreier Raum wird sich aber vermutlich nicht erreichen lassen. So werden wir auch in der Bundeswehr nur eine möglichst große Annäherung anstreben können. Das Ministerium hat im Februar 2017 die Ansprechstelle „Diskriminierung und Gewalt in der Bundeswehr“ eingerichtet. Sie steht allen aktiven und ehemaligen Bundeswehrangehörigen zur Verfügung, die Mobbing, Diskriminierung, körperliche oder seelische Gewalt in der Bundeswehr erfahren oder erfahren haben. Das gilt auch im Zusammenhang mit Benachteiligungen aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. Die Ansprechstelle ist unter anderem per E-Mail unter BMVgPChgVIDiskriminierung@bmvg.bund.de erreichbar.
Kann man sich vorstellen, in Zukunft einen Queerbeauftragten in Nebenfunktion auf Divisions-, Brigade- oder Bataillonsebene einzuführen – ähnlich wie die Gleichstellungsbeauftragten?
Eine solche Ansprechstelle ist grundsätzlich denkbar, wenn es entsprechenden Bedarf gibt. Noch wichtiger ist es jedoch, dass Betroffene sich vertrauensvoll an ihre Vorgesetzten wenden können und Unterstützung von diesen erfahren.
Wie wird die Wiedergutmachung konkret aussehen?
Das Verteidigungsministerium hat sich für das Gesetzgebungsverfahren das Ziel gesetzt, die jahrzehntelangen Benachteiligungen homosexueller Soldaten aufzugreifen und ein deutliches, auch für den einzelnen Betroffenen spürbares Zeichen der Rehabilitierung zu setzen. Dies geschieht in dem Wissen, dass vergangene Vorgehensweisen bei der Personalführung nicht ungeschehen gemacht werden können. Vorgesehen ist ein pauschaliertes Entschädigungsmodell, welches eine zügige Bearbeitung der Ansprüche ermöglicht. Da viele Benachteiligungen lange zurückliegen, soll eine einfache Glaubhaftmachung als Nachweisschwelle vorgesehen werden.
Welche Möglichkeiten sieht die Verteidigungsministerin, das „Archiv der anderen Erinnerungen“ der Bundestiftung Magnus Hirschfeld zu unterstützen? So könnten ehemalige homosexuelle Angehörige der Bundeswehr für das Archiv und damit für Bildung und Forschung in Videointerviews befragt werden.
Ehemaligen Angehörigen der Bundeswehr steht es schon heute frei, das Archiv der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld zu unterstützen. Darüber hinaus bietet das Verteidigungsministerium der Bundesstiftung an, die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr auszuwerten und für die eigene Arbeit zu nutzen.
Die Studie deckt auf, dass die Bundeswehr in der Vergangenheit vieles nicht perfekt gehandhabt hat. Ist die Veröffentlichung der Studie ein Ansporn, jetzt erst recht als Vorbild zu agieren? Die Bundeswehr steht als einer der größten Arbeitgeber Deutschlands bei Weitem nicht an vorderster Stelle, was das Engagement für Vielfalt angeht. Die Charta der Vielfalt wurde zwar unterzeichnet, Mitglied im gleichnamigen Verein sind Bundeswehr oder BMVgBundesministerium der Verteidigung jedoch nicht. Warum nicht?
Das Verteidigungsministerium hat die Charta der Vielfalt für die Bundeswehr unterzeichnet, um ein klares Signal für die Förderung und Wertschätzung von Vielfalt zu setzen. Die Bundeswehr nimmt aktiv an Projekten und Veranstaltungen teil, die alle Dimensionen der Vielfalt inklusive der sexuellen Identität und Orientierung betreffen. Für die Bundesregierung ist die Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration Mitglied des Vereins. Die Bundeskanzlerin ist zudem Schirmherrin.
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