Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Generalinspekteur Eberhard Zorn haben zum Auftakt der Bundeswehrtagung 2022 die Herausforderungen der Streitkräfte im Zuge der Zeitenwende eingeordnet. Die Ministerin sagte der Ukraine zwei weitere Raketenwerfer MARSMittleres Artillerieraketensystem II zu, verbunden mit 200 Raketen und deutscher Ausbildung, sowie 50 Dingos.
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Bei der Bundeswehrtagung 2022 in Berlin verkündete Lambrecht weitere Unterstützungsleistungen an die Ukraine. Demnach wird die Bundeswehr zwei weitere Mehrfachraketenwerfer vom Typ MARSMittleres Artillerieraketensystem II mit 200 Raketen liefern, verbunden mit Ausbildung durch die Bundeswehr. Zudem liefert die Bundeswehr 50 Allschutz-Transport-Fahrzeuge vom Typ Dingo.
Lambrecht versicherte, dass diese Lieferungen die Bundeswehr nicht schwächten. Weiter zeigte sie sich zuversichtlich, dass im Zuge des Ringtausches mit Griechenland 40 griechische Schützenpanzer sowjetischer Bauart an Kiew und dafür 40 Schützenpanzer Marder aus deutschen Industriebeständen an Athen gehen werden.
Lambrecht gab vor rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, Spitzenpersonal der Bundeswehr sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verbänden und Thinktanks die Schwerpunkte und Leitlinien vor. Die zweitägige Tagung stand unter dem Motto „Die Bundeswehr in der Zeitenwende – eine kritische Bestandsaufnahme in Zeiten des Krieges in Europa“.
Die Ministerin machte in ihrer Rede deutlich, dass diese Zeiten des Ukrainekrieges neue Antworten verlangten, auch für die Bundeswehr. „Denn wir stehen inmitten einer sicherheitspolitischen Zeitenwende. Genau darüber wollen wir heute und morgen reden.“ Deutschland müsse über seine Verantwortung in der Welt, über seine militärische Stärke neu und kritisch nachdenken sowie schließlich auch danach handeln.
Jetzt gehe es um konkrete Schritte hin zu einer vollständig einsatzbereiten Bundeswehr. Was Deutschland brauche, sei eine Bundeswehr, die in der Lage sei, Einheiten und Verbände kurzfristig verlegen zu können. Diesem Ziel müsse sich noch viel mehr als bisher jeder Einzelne in der Bundeswehr täglich widmen. „Das bedeutet Zeitenwende“, so Lambrecht.
Neben der lang erhofften Beschaffung von Großgerät für die Bundeswehr – auch mit Hilfe des Sondervermögens - sei die Beschaffung der persönlichen Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten besonders wichtig, so Lambrecht. „Das haben unsere Soldatinnen und Soldaten mehr als verdient.“
Die Ministerin bezeichnete die Beschaffung von Ausrüstung als den entscheidenden Faktor für die Einsatzbereitschaft der Truppe. „Genau hier haben wir angesetzt und bereits wichtige Weichen gestellt.“ Konkret sei mit dem Bundeswehr-Beschaffungs-Beschleunigungsgesetz ein umfassendes Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht worden. Die Zeiten der „Goldrandlösungen“ bei der Beschaffung seien aber vorbei.
Die Ministerin unterstrich, dass es bei dem Mentalitätswechsel in der Bundeswehr vor allem um die Menschen gehe. Sie sagte: „Zeitenwende ist jedoch – parallel zu allem anderen – eine Frage der inneren Einstellung. Sie muss dort stattfinden, wo wir uns mit Veränderungen häufig sehr schwertun: in den Köpfen.“ Zugleich sei sie über die Motivation und Kreativität in der Truppe immer wieder aufs Neue beeindruckt.
Es müsse künftig noch mehr als zuvor darum gehen, qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten. Diese Herausforderung reiche von der Bewerberansprache bis zur Personalführung insgesamt. „Die Bindung unseres Personals an den Arbeitgeber Bundeswehr ist eine Daueraufgabe für uns alle.“
Lambrecht betonte nachdrücklich, dass gerade für den notwendigen Wandel der Bundeswehr in Gesellschaft und Politik so viel Verständnis da sei wie lange nicht. „Die Menschen in unserem Land haben in großer Mehrheit erkannt: Wir brauchen militärische Stärke, damit unser Frieden erhalten bleibt – und mit ihm unsere Freiheit, unsere Lebensweise und unser sozialer Wohlstand.“
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, brachte es in seiner Rede auf den Punkt: Schnelles, abgestimmtes und entschlossenes Handeln sei für die Streitkräfte nun das Gebot der Stunde. Vor dem Hintergrund des Sondervermögens für die Bundeswehr erklärte er: „Es ist nun an uns, für die Truppe geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, Prozesse und Strukturen zu überprüfen und anzupassen und radikal Bürokratiehemmnisse und eigene, selbstgemachte Regeln abzubauen.“ Besonnenheit und eine kontinuierliche Analyse der Lage seien gefragt.
Die größte gemeinsame Aufgabe der Bundeswehr sei, die personelle wie materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu verbessern. Das gelte für die gesamte Breite des Aufgabenspektrums, bei gleichzeitigem Aufwuchs der Bundeswehr. Viel sei bereits bei der materiellen Einsatzbereitschaft des Großgerätes erreicht worden.
Die neue Lage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine verlange nun aber von allen, erneut anzupacken und die Bundeswehr gemeinsam nach vorn zu bringen. Dazu gehöre auch, Stabsstrukturen zu verschlanken, zu entbürokratisieren. „Dabei müssen wir auf den schlimmsten Fall vorbereitet sein – und nicht auf den günstigsten“, machte Zorn unmissverständlich deutlich.
Auch wenn die Bundeswehr noch nicht alle Ziele erreicht habe, so sei es ihr in der Vergangenheit doch gelungen, alle Forderungen, die an sie von der NATONorth Atlantic Treaty Organization, in den Auslandseinsätzen oder bei der Amtshilfe im Lande gestellt worden seien, zu erfüllen. „Dafür Danke an alle, es ist Ihr Verdienst und das Ihrer Soldatinnen und Soldaten sowie zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, so General Zorn an die Führungskräfte der Bundeswehr.
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine habe für Deutschland die Landes- und Bündnisverteidigung besondere Priorität. Die gesamte Bundeswehr müsse kaltstartfähig werden, diese müsse erlebbar und belastbar sein. Kaltstartfähigkeit bedeute voll ausgebildetes, einsatzbereites Personal inklusive einer starken Reserve. Kaltstartfähigkeit bedeute zudem materielle Vollausstattung, inklusive Munition, Ersatzteilen und Verbrauchsgütern im großen Umfang.
Das Mindset Landes- und Bündnisverteidigung erfordere eigenständiges Handeln, Risikobereitschaft und Entscheidungsfreude – auch und gerade von jungen Vorgesetzten. „Wir müssen das Mindset Landes- und Bündnisverteidigung auf allen Ebenen durchgängig leben.“ So führte der Generalinspekteur hin auf die Paneldiskussion zum Thema „Mindset Landes- und Bündnisverteidigung im Fokus: Welchen Mentalitätswechsel erfordert die Zeitenwende in der Bundeswehr – und in der Bevölkerung?“
Dabei wurden die Themen des Tages vertieft. Unter der Moderation von Oberstleutnant der Reserve, Klaus Schweinsberg, diskutierten Siemtje Möller und Thomas Hitschler, Parlamentarische Staatssekretärin und -sekretär bei der Verteidigungsministerin, sowie Generalleutnant Hans-Werner Wiermann, ehemaliger Director General of the NATONorth Atlantic Treaty Organization International Military Staff im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Hauptquartier, mit Florence Gaub, Leiterin Thinktank „Futurate Institute“, und Lorenz Hemicker von der ,,Frankfurter Allgemeinen Zeitung''.
Staatssekretärin Siemtje Möller sagte, der Ukrainekrieg sei eine Drohung Russlands an uns alle, an die westliche Weltordnung. Das mache die Zeitenwende aus. Generalleutnant Hans-Werner Wiermann führte nochmals vor Augen, dass das neue strategische Konzept der NATONorth Atlantic Treaty Organization die Bedeutung der Landes- und Bündnisverteidigung untermauere. Die Landes- und Bündnisverteidigung habe für Deutschland eine ganz neue Bedeutung bekommen.
Staatssekretär Thomas Hitschler formulierte, er merke im Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern mehr und mehr, wie das Interesse der Bevölkerung an Sicherheits- und Verteidigungspolitik zunehme. Florence Gaub mahnte an, es dürfe bei der Beschreibung der Zeitenwende nicht nur darum gehen, Szenarien zu beschreiben, sondern Handlungsanleitungen zu geben. Lorenz Hemicker erklärte: Zeitenwende bedeute auch, dass sich Deutschland und die Bundeswehr ehrlich machen müssten.
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