Von insgesamt 16 UNUnited Nations-Friedensmissionen finden allein neun in Afrika statt. Auch der Großteil der Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Europa machen, kommt aus Afrika. Seit einiger Zeit sind die Länder Afrikas bestrebt, ihre Krisen selbst zu bewältigen. Im UNUnited Nations-Stabsoffizier-Lehrgang in Ghana bereiten Offiziere der Führungsakademie der Bundeswehr Militärs und Zivilisten aus zwölf Nationen auf die Planung und Führung von UNUnited Nations-Missionen vor.
32 Grad Celsius und eine Luftfeuchtigkeit von 60 Prozent. Das Klima Ghanas fühlt sich an wie eine Bio-Sauna. Ganz weit weg von Wellnes und Spa-Erlebnissen zeigt sich dagegen Jamestown, einer der ärmsten Stadtteile der ghanaischen Hauptstadt Accra. Hier leben 5000 Menschen in einfachen Holzhütten mit Wellblechdächern. Das Viertel ist eines der ärmsten Accras. Hunderte alte Fischerboote liegen entlang des Strandes. In der Nacht fahren die Ghanaer damit aufs Meer und werfen ihre Fischernetze aus. Den Fang räuchern und frittieren die Frauen vor ihren Hütten. Trotz der offensichtlichen Armut zählt Ghana zu den stabilsten Ländern Afrikas.
Ghana ist eins von 15 Mitgliedern der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWASEconomic Community of West African States) und engagiert sich in besonderem Maße in deren Friedens- und Stabilisierungsprozessen. 2017 war Ghana mit etwa 2.800 Soldaten und Polizisten der fünftgrößte afrikanische Truppensteller und der zehntgrößte Truppensteller weltweit für Einsätze der Vereinten Nationen (UNUnited Nations). Eine wichtige Rolle spielt das Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre (KAIPTC) in Accra. Hier bereiten sich Soldaten, Polizisten und Zivilisten aus ECOWASEconomic Community of West African States-Ländern auf die Teilnahme an internationalen Friedensmissionen vor.
Erstmals bildeten vor Kurzem dort Dozenten der Führungsakademie der Bundeswehr aus Hamburg (FüAkBw) 30 zivile und militärische Teilnehmer aus zwölf Nationen im UNUnited Nations-Stabsoffizier-Kurs aus. Das Ziel: Friedensmissionen planen und führen. „Angesichts der Vielzahl an Herausforderungen in den Krisenregionen werden wir nicht allen mit eigenen Kräften begegnen können“, schreibt die Bundeskanzlerin Angela Merkel im Weißbuch 2016. „Deshalb müssen auch unsere Partner in anderen Regionen dieser Welt ihren Beitrag leisten. Dazu gehört, dass wir sie durch eine breite Palette von Maßnahmen dazu befähigen, Krisen und Konflikte eigenständig zu lösen.“ Die Teilnehmer des Lehrgangs kommen überwiegend aus Afrika, unter anderem aus Nigeria, Ghana, Gambia, Guinea, Südafrika und der Demokratischen Republik Kongo.
Ellen Margrethe Løj führte zwei Jahre die UNUnited Nations Friedensmission im Südsudan. Die Dänin stellte während des Lehrgangs die UNUnited Nations-Sonderbeauftragte dar. „Es ist essentiell, dass der Lehrgang hier stattfindet. Die meisten UNUnited Nations Missionen sind in Afrika. Sie müssen lernen, Eigenverantwortung zu tragen und dafür müssen sie Führungspositionen besetzen können“, betont Løj.
Die Herausforderung: Je komplizierter ein Konflikt, desto komplexer ist seine Lösung. Das gilt auch für die zahlreichen bewaffneten Konflikte dieser Welt. Ursachen sind Hunger, schwache staatliche Strukturen, fehlendes Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit und ein großes Einkommensgefälle. Sie führen dazu, dass ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt werden und schaffen ein Klima der Perspektivlosigkeit. Die Menschen werden empfänglicher für Gewaltstrategien. Das ist nicht nur die Geburtsstunde von bewaffneten Konflikten, sondern auch der Beginn einer Abwärtsspirale, denn die Folgen der Konflikte verstärken gleichzeitig deren Ursache. Flucht und Vertreibung führen dazu, dass Bauern ihre Felder nicht mehr bestellen können. Straßen und landwirtschaftliche Infrastruktur werden zerstört. Saatgut, Dünger und Treibstoff sind nur eingeschränkt verfügbar. Der noch verbliebene Handel leidet, die Wirtschaft kommt zum Erliegen. Armut und Hungersnöte breiten sich aus. Der Konflikt verschärft sich weiter. Die Menschen müssen um ihr Überleben kämpfen. Vor diesem Leben sind mehr als 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Die meisten von ihnen kommen aus Afrika. Viele von ihnen wollen nach Europa. So werden aus anfänglich regionalen Konflikten schnell globale Krisen. Afrikas Problem ist nicht mehr nur Afrikas Problem.
Seit Ende der 1980er Jahre führen die Vereinten Nationen (UNUnited Nations) in Afrika vermehrt „Peace Making Operations“, also friedensschaffende Einsätze, und „Peace Keeping Operations“, das heißt friedenssichernde Missionen, durch. Von insgesamt 16 Friedenssicherungseinsätzen auf der ganzen Welt finden neun in Afrika statt. Die Erfolgsaussichten von Friedensmissionen hängen immer von sehr vielen Faktoren ab. „UNUnited Nations Missionen sind keine reinen Militärmissionen“, erklärt Løj den Teilnehmern. „Es sind multidimensionale Missionen, das heißt Politik, Polizei, Logistik, Entwicklung und Militär müssen in Friedensmissionen zusammenarbeiten. Und um Kooperation geht es in diesem Lehrgang.“ Oberstleutnant Dieter Lußem von der FüAkBw ergänzt: „Das Militär ist bei UNUnited Nations-Einsätzen, anders als bei der NATONorth Atlantic Treaty Organization, Dienstleister für die anderen Bereiche. Es stellt die Sicherheit her, damit die anderen Komponenten arbeiten können.“ In zwei Wochen lernen die Teilnehmer rechtliche Grundlagen, Organisation und Arbeitsweise der UNUnited Nations kennen. In der dritten Woche müssen sie selbst eine Friedensmission planen. „Es ist wichtig, dass alle Militärs das System der UNUnited Nations und die hohe Komplexität, die dahinter steckt, verstehen“, sagt Lußem. Beispielsweise sei der logistische Bereich bei der UNUnited Nations zivil geführt und nicht militärisch. Das mache zahlreiche Absprachen, aber auch Kompromisse zwischen den Bereichen, notwendig. „Deshalb haben wir auch immer Zivilisten mit im Lehrgang, um die unterschiedlichen Perspektiven abzubilden.“
Anhand eines Konfliktszenarios im fiktiven Land Carana planten die Teilnehmer beispielsweise den Einsatz der Polizei, den Bau von Flüchtlingslagern, Straßen und Brücken, sowie die Unterstützung der Wahlen. „„Das Militär würde möglicherweise, um seinen Auftrag erfüllen zu können, lediglich eine Straße räumen. Die Minen links und rechts der Straße spielen erstmal keine Rolle. Für den Bereich Entwicklung und Humanitäte Hilfe aber schon. Menschen, die dort leben, können durch die Minen verletzt oder getötet werden. Das muss abgestimmt werden“, erklärt Lußem den vernetzten Ansatz. „Bei der Polizei geht es unter anderem darum, Sicherheitsstrukturen wieder aufzubauen, Konfliktparteien zu entwaffnen und Kriminalität zu unterbinden. Auch das steht nicht für sich allein.“ Kriminelles Verhalten sei nur dann nicht mehr nötig, wenn entsprechende wirtschaftliche Strukturen und damit die Möglichkeit Geld zu verdienen, vorhanden seien. „Das betrifft wiederum den Bereich Entwicklung aber auch Politik“, so der 58-Jährige.
Immer wieder trugen die Gruppen der fiktiven UNUnited Nations-Sonderbeauftragten Løj ihre Planungsergebnisse vor. „Wir benötigen Polizeistrukturen im Westen Caranas. Dort sind derzeit keine Sicherheitsstrukturen. Wir müssen Polizisten ausbilden“, sagt eine ghanaische Polizistin. Løj gibt zu bedenken: „Denken sie daran, sie können nur die zukünftigen Ausbilder ausbilden und beraten. Die Ausbildung der Polizei ist und bleibt nationale Aufgabe. Die vorhandenen Polizisten müssen, auch wenn sie noch nicht zertifiziert sind, auf die Straße und arbeiten. Unser Mandat erlaubt uns nicht, polizeiliche Aufgaben wahrzunehmen.“
Lußem meint: „Das sind gute Leute hier, gute Offiziere, aber es fehlt noch an Erfahrung bei Planung und Zusammenarbeit in einer UNUnited Nations-Friedensmission.“ Am Ende der Woche haben die 30 Teilnehmer dennoch gemeinsam eine Friedensmission auf die Beine gestellt. Borris Maelezo, Teilnehmer und Parlamentarier der demokratischen Republik Kongo, zieht für sich Bilanz: „Der Lehrgang ist sehr wichtig. Wir haben die größte Mission im Kongo. Bevölkerung und Regierung beschuldigen sich gegenseitig, haben kein Verständnis füreinander. Hier lernt man zusammenzuarbeiten. Was ist die Aufgabe? Warum sind wir da? Und wie vermittelt man zwischen Bevölkerung und Regierung?“
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