Frau Oberstleutant Nancy W.* ist derzeit als Militärbeobachterin bei der UNUnited Nations-Friedensmission im Südsudan eingesetzt. Im Interview erzählt die Bundeswehr-Offizierin, wie die aktuelle Situation im Land ist, was die UNUnited Nations-Truppe zum Friedensprozess beitragen kann und warum es wichtig ist, Frauen in UNUnited Nations-Missionen stärker zu beteiligen.
Was war Ihre Motivation, sich als UNUnited Nations-Militärbeobachterin ausbilden zu lassen und in den Einsatz zu gehen?
Im Magazin „Der Spiegel“ hatte ich 2018 einen Bericht gelesen, dass Soldatinnen in UNUnited Nations-Friedensmissionen stärker eingebunden werden sollen, darunter auch Militärbeobachterinnen. Für mich schien die Beteiligung an einer UNUnited Nations-Mission ein interessantes neues und sinnstiftendes Aufgabenfeld zu sein. Auch wollte ich aktiv einen Beitrag dazu leisten, die Lage in Konfliktgebieten zum Besseren zu verändern. Nach dem Aufruf des Generalinspekteurs 2019 an alle Soldatinnen, sich für UNUnited Nations-Missionen ausbilden zu lassen, habe ich mich sofort für die Ausbildung beworben.
Wo sind Sie im Südsudan eingesetzt?
Nach der Quarantäne in der Hauptstadt Dschuba und den Ausbildungen zu Beginn des Einsatzes wurde ich in Torit im Süden des Landes eingesetzt. In dem relativ kleinen UNUnited Nations-Camp dort wohne ich in einem Einzelcontainer. Im UNUnited Nations-Einsatz muss man sich grundsätzlich selbst versorgen. In meinem Team sind noch 15 weitere Militärbeobachter aus elf verschiedenen Ländern, darunter auch zwei Militärbeobachterinnen aus Ghana und Ruanda.
Welche Aufgaben haben Sie als Militärbeobachter in der Mission?
Wir führen jeden Tag Ortspatrouillen in Torit und regelmäßig auch längere Patrouillen in unserem Einsatzgebiet – der Region Ost-Äquatoria – durch. Als Militärbeobachter haben wir den Auftrag, die Sicherheitslage vor Ort zu beobachten und zu bewerten. Wir fragen die örtliche Bevölkerung nach Sicherheitsvorfällen, aber auch, ob Schulen vorhanden sind und wie die medizinische Versorgung ist. Unsere Informationen fließen dann bei der Erstellung des regionalen Lagebildes mit ein.
Sind bei den Patrouillen nur militärische UNUnited Nations-Einsatzkräfte beteiligt?
Die längeren Patrouillen führen wir in der Regel gemeinsam mit anderen UNUnited Nations-Organisationen durch: etwa den Abteilungen für Menschenrechte (Human Rights) und für zivile Angelegenheiten (Civil Affairs), der Gender-Unit, der UNUnited Nations-Polizei (UNPOLUnited Nations Police) und dem Welternährungsprogramm (World Food Programme). Je nach den aktuellen Herausforderungen einer Region – beispielsweise Nahrungsmittelknappheit aufgrund von Überflutungen oder Überfälle auf Hauptversorgungsrouten – werden verschiedene UNUnited Nations-Bereiche an den Patrouillen beteiligt. Während dieser Patrouillen findet immer ein Treffen mit lokalen Amtsinhabern und Vertretern der Zivilbevölkerung, beispielsweise von Jugend- und Frauenorganisationen, statt. Alle UNUnited Nations-Teams haben dabei ihre eigenen Themenschwerpunkte.
Die zivil-militärisch gemischten Patrouillen sind sehr sinnvoll. Einerseits ist dadurch der Frauenanteil deutlich höher, sodass wir einfacher Zugang zur weiblichen Bevölkerung finden. Andererseits gibt es in den zivilen UNUnited Nations-Teams mehr südsudanesische Mitarbeiter, welche die verschiedenen Landessprachen beherrschen. Da viele Einheimische kein Englisch sprechen, kann es ansonsten zu Sprachbarrieren kommen. Bei größeren Patrouillen ist zusätzlich auch ein Sprachmittler dabei.
Wie ist die aktuelle Lage im Südsudan?
Die Menschen in den ländlichen Regionen betreiben hauptsächlich Landwirtschaft zur Selbstversorgung. Handel findet kaum statt. Neben den sesshaften Stämmen gibt es auch Nomadenstämme, die von Viehwirtschaft leben. Insbesondere in den Dürreperioden ziehen sie mit ihren Viehherden dorthin, wo das Land fruchtbar ist, und zerstören dadurch den landwirtschaftlichen Anbau der lokalen Bevölkerung. Das führt oft zu Konflikten. Auch zwischen den Nomadenstämmen kommt es aufgrund von Viehdiebstählen zu Konflikten.
In meiner Einsatzregion leben viele unterschiedliche Ethnien. Teilweise bestehen zwischen ihnen Konflikte, die geschichtlich und kulturell gewachsen sind. Zudem hat die breite Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Auch die Nahrungsmittel sind knapp, da teilweise das Fachwissen zum effizienten Feldanbau fehlt und die Menschen aus Sorge vor Diebstählen nur für den Eigenbedarf anbauen.
Eine weitere Herausforderung ist, dass nach dem Bürgerkrieg bisher auch keine Entwaffnung stattgefunden hat. Vieles wird immer noch mit Waffengewalt geregelt. Wenn in Folge von Dürren oder Fluten die Nahrungsmittel knapp werden, kommt es zu Überfällen auf Hauptversorgungsrouten oder gegenüber bestimmten ethnischen Gruppen. Die Polizei ist nicht flächendeckend im Einsatz oder nur unzureichend ausgerüstet. So werden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen und es kommt zu Selbstjustiz zwischen den ethnischen Gruppen.
Wie gehen Sie und Ihr Team mit diesen Herausforderungen um?
Grundsätzlich sprechen wir die Probleme bei Treffen mit den lokalen Amtsinhabern offen an. Aber wir können sie nicht immer unmittelbar beheben. Es ist auch nicht hilfreich, mit dem Ziel ranzugehen, die Strukturen und die Menschen innerhalb von kurzer Zeit verändern zu wollen. In erster Linie haben die Menschen im Südsudan die Verantwortung dafür, ihr Land zu gestalten. Werte können nicht nur von außen vorgegeben werden, sondern müssen auch aus der Bevölkerung kommen. Unverhandelbar bleiben in diesem Prozess aber geltende Menschenrechtenkonventionen und das humanitäre Völkerrecht.
Mit welchen Maßnahmen wollen die UNUnited Nations zur Verbesserung der Lage im Südsudan beitragen?
Die UNUnited Nations-Organisationen führen sehr gute Projekte mit der lokalen Bevölkerung durch. Dabei ist auch der kleinste Schritt immer ein Schritt nach vorn. Es gibt unter anderem sogenannte ,,quick-impact projects'', schnell wirksame Projekte mit einem Budget von bis zu 30.000 Dollar. Dadurch wurde beispielsweise der Bau von ,,safe houses'' für bedrohte Frauen und Kinder finanziert. Das ,,civil affairs team'' initiiert und moderiert zudem den Friedensdialog zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen mit dem Ziel, gewaltfreie Konfliktlösungsansätze zu finden.
Auch bilden die UNUnited Nations und Nichtregierungsorganisationen die Menschen darin aus, Landwirtschaft effizienter zu betreiben. Der Boden ist fruchtbar und man kann das ganze Jahr über ernten. Die Bevölkerung wäre grundsätzlich dazu in der Lage, sich selbst zu versorgen.
Während einer gemeinsamen Patrouille mit UNPOLUnited Nations Police und dem ,,human rights team'' haben wir Militärbeobachter die örtlichen Sicherheitskräfte darin unterrichtet, wie sie ihren Dienst unter Einhaltung der Menschenrechte ausüben können, beispielsweise bei der Durchsuchung verdächtiger Personen. Dabei haben wir die Beteiligten sensibilisiert, dass alle Personen ein Recht auf faire Behandlung sowie ein ordentliches Gerichtsverfahren haben.
Konnten Sie auch Kontakt mit der weiblichen Zivilbevölkerung aufnehmen?
Während der Patrouillen sprechen wir auch mit den Frauen über Sicherheitsvorkommnisse. Es kann passieren, dass die Frauen nicht alles erzählen wollen, wenn ein männlicher Übersetzer dabei ist. Bei den offiziellen Meetings während der Patrouillen sind auch immer Vertreterinnen von Frauengruppen dabei. Auch sie können nicht immer offen sprechen, da sie teilweise im Nachhinein mit Bestrafungen in ihren Gemeinden rechnen müssen.
Als Militärbeobachter haben wir eigentlich nicht den Auftrag, speziell mit Frauen in Kontakt zu treten. Vor allem die UNUnited Nations-Organisationen für Menschenrechte und für Kinderschutz sowie die Gender-Unit konzentrieren sich darauf, Gewalt gegen Frauen zu dokumentieren und die Rolle von Frauen in der Gesellschaft zu stärken. In diesen Units arbeiten häufig mehr Frauen als Männer. Sie führen auch Workshops und Weiterbildungen mit den Frauen vor Ort durch.
Die UNUnited Nations fordern, den Frauenanteil in Friedensmissionen zu erhöhen. Kann eine stärkere Beteiligung von Frauen dazu beitragen, UNUnited Nations-Missionen bei der Mandatserfüllung erfolgreicher zu machen?
Ja, ich denke schon. Ein Teil des Mandates von UNMISSUnited Nations Mission in South Sudan ist es, die weibliche Zivilbevölkerung stärker am Friedensprozess zu beteiligen. Wenn nur Männer in den Prozess eingebunden sind, prägen sie die Strukturen nach ihren Interessen und die Bedürfnisse von Frauen finden keine Berücksichtigung. Studien belegen aber, dass Friedensverträge erfolgreicher sind, wenn Frauen im Verhandlungsprozess und bei der Ausgestaltung der Verträge beteiligt waren.
Mit Einsatzteams, die aus Frauen und Männern bestehen, können wir mit der Zivilbevölkerung teilweise einfacher ins Gespräch kommen. Frauen vertrauen sich zu bestimmten Themen eher weiblichen UNUnited Nations-Einsatzkräften an als den männlichen Kollegen. Soldatinnen und Polizistinnen können gleichzeitig als Vorbilder für einheimische Frauen fungieren und mögliche Betätigungsfelder außerhalb der Familienarbeit aufzeigen.
Wichtig ist es meiner Ansicht nach, dass weibliche UNUnited Nations-Einsatzkräfte insbesondere in Führungspositionen daran mitarbeiten, die Strukturen und Prozesse so zu verändern, dass die Bedürfnisse von Frauen stärker berücksichtigt werden. Deshalb ist es sinnvoll, den Frauenanteil genau in diesen Positionen zu erhöhen.
Haben Sie im Einsatz als Soldatin Benachteiligungen erlebt?
Nein, ich hatte insgesamt den Eindruck, dass Geschlechterfragen im täglichen Umgang miteinander keine Rolle spielen. Kürzlich habe ich in meinem Team das Techniktraining an unseren Patrouillenfahrzeugen durchgeführt: Nutzung der Seilwinde, Reifenwechsel oder Fremdstart. Dabei hatte niemand ein Problem damit, dass ich eine Frau bin. Bei den Patrouillen werden wir abwechselnd als Verantwortlicher und als Stellvertreter eingeteilt. Das klappt sehr gut.
Auch in der Zusammenarbeit mit der Zivilbevölkerung und den anderen UNUnited Nations-Organisationen habe ich als Frau keine Ablehnung erfahren. Das Miteinander ist sehr kooperativ.
*Name zum Schutz der Soldatin abgekürzt.
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