„Homosexualität stellt keinen Grund für Einschränkungen hinsichtlich Verwendung oder Status und somit auch kein gesondert zu prüfendes Eignungskriterium dar“, verfügte die Personalabteilung am 3. Juli 2000. Sie schrieb damit Bundeswehrgeschichte. Mit wenigen Worten war die jahrzehntelange, systematische Diskriminierung von homosexuellen Soldaten beendet worden.
20 Jahre später geht das Verteidigungsministerium auf Initiative von Bundesministerin Kramp-Karrenbauer noch einen Schritt weiter: Es möchte die Soldaten rehabilitieren, die aufgrund der damaligen Diskriminierungspraxis nicht nur unerhebliche dienstrechtliche Nachteile erlitten haben oder die Truppe verlassen mussten. Die wissenschaftliche Grundlage hierfür liefert eine Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr), die heute in Berlin vorgestellt wird: „Tabu und Toleranz. Der Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende“.
Drei Jahre Arbeit hat Oberstleutnant Dr. Klaus Storkmann in die mehr als 400-seitige Studie investiert. Er führte mehr als 60 Interviews mit Zeitzeugen, Betroffenen, Entscheidungsträgern und Mitarbeitern des Militärischen Abschirmdienstes. Er wertete interne Papiere aus dem Ministerium ebenso aus wie die Urteile von Truppendienst- und Verwaltungsgerichten. Am Ende entstand eine Pionierstudie. Sie wird parallel zur Vorstellung im Bendlerblock auf der Webseite des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr veröffentlicht – die Redaktion der Bundeswehr konnte sie vorab auswerten.
Storkmann zufolge erklärt sich der Umgang der Bundeswehr mit ihren homosexuellen Soldaten zumindest bis Ende der 1960er Jahre aus dem damals geltenden Recht und der gesellschaftlichen Situation im Nachkriegsdeutschland. Bis 1969 wurde Sex unter Männern nach § 175 StGB mitunter hart bestraft, auch wenn er einvernehmlich war.
Wurde ein Soldat nach § 175 StGB verurteilt, folgte laut Storkmann regelmäßig eine Anklage durch den Wehrdisziplinaranwalt und eine Verurteilung durch die Wehrdienstgerichte. Die Bundeswehr handelte damit nicht allein – Bund, Länder und Kommunen verfuhren ähnlich: „Bis 1969 zog jede Verurteilung wegen § 175 StGB auch für Beamte des öffentlichen Dienstes zwingend ein Disziplinarverfahren nach sich, das in der Regel zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis führte.“ Bestraft wurden übrigens ausschließlich homosexuelle Handlungen unter Männern – weibliche Homosexualität war nach § 175 StGB nicht strafbar.
In vielen Fällen kam es jedoch gar nicht zu einem Verfahren vor dem Truppendienstgericht. Häufig erfolgte die Entlassung laut Storkmann „schnell und fristlos nach § 55 Absatz 5 Soldatengesetz“. Dieser sieht eine fristlose Entlassung eines Soldaten oder einer Soldatin auf Zeit in den ersten vier Dienstjahren vor, wenn er oder sie seine Dienstpflicht schuldhaft verletzt hat und sein oder ihr Verbleib im Dienstverhältnis eine ernstliche Gefährdung für das Ansehen der Bundeswehr oder die militärische Ordnung darstellt.
Ein Gerichtsurteil brauchte es dazu nicht zwangsläufig. „Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der nach § 55 Absatz 5 SG Entlassenen weitaus höher gewesen sein dürfte als die Zahl der durch Urteil der Wehrdienstgerichte aus dem Dienstverhältnis entfernten Soldaten“, schreibt der Militärhistoriker. Etliche Betroffene kamen ihrer Entlassung zuvor, indem sie selbst den Dienst quittierten.
Der Wandel der gesellschaftlichen Sexualmoral in den späten 1960er Jahren führte zur Entkriminalisierung der Homosexualität im Strafrecht. Ab 1969 wurde einvernehmlicher Sex zwischen Männern nur noch dann bestraft, wenn einer der Beteiligten jünger als 21 Jahre alt war. Die Bundeswehr passte sich diesen Veränderungen an: Solange Homosexualität außerhalb des Dienstes ausgelebt wurde, blieb sie nun straffrei. Auch Entlassungen per Gerichtsentscheid waren nun Vergangenheit.
Dennoch: Homosexualität galt „auch unterhalb der Schwelle des Straf- und Disziplinarrechts in den Streitkräften als ein schwerer Makel“, so Storkmann. Wehrpflichtige wurden bis 1979 vom Dienst bei der Bundeswehr entbunden, wenn sie sich als homosexuell zu erkennen gaben.
Für Offiziere und Offiziersanwärter bedeutete es das Karriereaus, wenn ihre sexuelle Orientierung bekannt wurde. Sie galten als generelles Sicherheitsrisiko; ihnen wurde die Eignung als Vorgesetzter und Ausbilder abgesprochen. „Ausschlaggebend dafür war die Sorge vor einem Autoritätsverlust und damit einer Gefährdung der Disziplin der Truppe“, so Storkmann.
Wer Karriere machen wollte, musste seine sexuelle Orientierung geheim halten – eine belastende Situation für die Männer, die einen Teil ihrer Persönlichkeit verleugnen mussten. „Zeitzeugen berichten eindrücklich von dem hohen psychischen Druck, unter dem sie als homosexuell orientierte Soldaten dienten. Die ständige Angst, entdeckt zu werden, belastete sie psychisch und schränkte auch ihr Privatleben ein“, so Storkmann. Erstaunlich ist, dass viele Befragte sagten, dass die Toleranz unter den Kameraden wesentlich größer gewesen sei, als es die Vorschriften erlaubten.
Die Führung zog dann im Juli 2000 nach. „Wer danach fragt, warum die Bundeswehr ihren homosexuellen Soldaten nach Jahrzehnten plötzlich entgegenkam und alle alten Grundsätze binnen weniger Monate über Bord warf, findet die Antwort vor allem in Europa, im sich wandelnden europäischen Verständnis von Menschenrechten und Diskriminierungsfreiheit“, bilanziert Oberstleutnant Storkmann.
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