Ein Interview mit Ministerialrat Dr. Frank Müller-Ehlen über Grundsätze und Probleme im Rüstungsmanagement. Der Interviewpartner ist stellvertretender Leiter des Stabs Operative Steuerung im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBwBundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr).
Wo liegen ganz allgemein die Probleme bei der Beschaffung von Militärgerät, insbesondere Großgerät in Anbetracht einer sich verändernden Sicherheitslage?
Seit Beginn der 1990er Jahre wurde die Bundeswehr Schritt für Schritt verkleinert. Nicht nur die Zahl der Soldaten und zivilen Beschäftigten wurde verringert, auch ihr Materialbestand wurde konsequent abgebaut. In logischer Folge ist die wehrtechnische Industrie den gleichen Weg gegangen. Sie hat im In- und Ausland ihre Strukturen angepasst, sich bei Neuentwicklungen und bei der Produktion auf die zurückgehenden Umsätze eingestellt.
Wenn sich nun die Aufgabenstellungen der deutschen Streitkräfte angesichts der veränderten Sicherheitslage weiterentwickeln und umfangreicher werden, bedeutet das auch für die Beschaffungsorganisation den Beginn eines Veränderungsprozesses. Dieser muss die Voraussetzungen schaffen, die wieder steigenden Bedarfe der Bundeswehr in der geforderten Zeit wirtschaftlich zu decken.
Neben dieser ressourcengetriebenen Herausforderung der kommenden Jahre, gilt es zum Beispiel auch, mit den technologischen Innovationen besser Schritt zu halten, da sich die technologische Komplexität neuer Produkte ständig erhöht. Daher müssen wir die Art und Weise, wie wir Projekte realisieren, welche Methoden und Werkzeuge wir anwenden, kontinuierlich hinterfragen. Dabei kann es auch sinnvoll sein, Produktkomplexität bewusst zurückzuführen und zu beschränken, um beispielsweise die „Verwundbarkeit“ von ITInformationstechnik-Systemen zu reduzieren.
Was bedeutet dies in der Praxis?
Wichtiger als alle Theorien und Überlegungen ist sich bewusst zu werden, dass Entwicklung und Beschaffung in einem stetig wandelnden Umfeld durchgeführt werden. Wir müssen gewährleisten, dass die Rüstungsorganisation, ihre Funktionsträger wie auch die industriellen Partner die notwendigen Lern- und Anpassungsprozesse in der Praxis vollziehen können.
Ein Beispiel: Die völlige Neuentwicklung langlebiger Rüstungsgüter wird nur alle 20 oder 30 Jahre gestartet. Im Vergleich hierzu haben Produkte für Verbrauchermärkte erheblich kürzere Entwicklungszyklen, was das Sammeln und Weitergeben der Erfahrungen in die Folgeprojekte begünstigt.
Bei Rüstungsgütern kommt es teils zu einer sehr hohen Konzentration von Marktmacht. Verhandlungen mit Monopolisten über Preise und Leistungsinhalte sind erfahrungsgemäß nur sehr eingeschränkt möglich. Ferner ist die Erwartung an die Fähigkeiten und Funktionalitäten von wehrtechnischen Produkten wegen der recht schnell veränderlichen Sicherheitslage einer großen Dynamik unterworfen. Dieser kann man bei Projektlaufzeiten von 10 oder 15 Jahren nur in Grenzen Rechnung tragen.
Welche Vorteile bietet der neue Beschaffungsprozess aus Sicht der Bundeswehr? Inwieweit sollen dadurch die Probleme angegangen werden?
Wir haben jetzt rund fünf Jahre Erfahrung mit dem novellierten Customer Product Management gesammelt und stellen fest, dass das Verfahren Einiges bewirkt hat, dass wir es aber weiterentwickeln müssen.
Die Einrichtung Integrierter Projektteams hat sich als wirksames Arbeitsinstrument herausgestellt. Sie bündelt die für die erfolgreiche Projektdurchführung erforderliche Expertise unter einheitlicher Führung und verbessert die Kommunikation deutlich – und das über den gesamten Lebensweg von Produkten und Dienstleistungen.
Gibt es Erkenntnisse zum Nachsteuern?
Gewachsen ist die Erkenntnis, dass der Aufwandsreduzierung mehr Beachtung geschenkt werden muss. Der dem Verfahren innewohnende Grundsatz „One fits all“ ist für die Fülle der unterschiedlichen Bedarfe nicht ausreichend.
Für kleine, wenig komplexe Bedarfe muss es einen weniger aufwändigen Weg zur Deckung geben, wie er bereits mit der sogenannten „Busspur“ erprobt wird. Hier setzen Leistungsbeschreibung und Vertrag mehr oder weniger direkt auf der durch das Planungsamt der Bundeswehr bewerteten Initiative des Nutzers auf, was enormes Beschleunigungspotenzial bietet. In einer immer komplexer werdenden Welt nehmen auch die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den Projekten zu. Kein Projekt ist wirklich autark.
Organisatorische Nähe der Projekte insbesondere während ihrer Realisierung innerhalb einer Organisation wie dem sowie Abstimmungsmechanismen zwischen den Projektleitern waren bisher die Mittel der Wahl, um die Abhängigkeiten zu beherrschen. Dies reicht jedoch nicht in allen Fällen aus. Daher gehen die Überlegungen dahin, mit der Einrichtung eines Programmanagements im eine wirksame Koordinierungsinstanz zu etablieren, wenn es notwendig erscheint.
Was können ausschlaggebende Kriterien dafür sein, dass überhaupt eine Beschaffung eingeleitet wird?
Das ausschlaggebende Kriterium ist die Fähigkeitslücke, die geschlossen werden muss. Fähigkeitslücken können zum einen im Top-Down-Ansatz aus der Betrachtung des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr (Soll-Ist-Vergleich) abgeleitet werden. Sie können sich aber auch aus einer Initiative aus den Organisationsbereichen ergeben (Bottom-Up-Ansatz).
Welche Anforderungen hat die Bundeswehr an ihr Material? Wie kann sie sie gegenüber den Auftragnehmern durchsetzen?
Die Bundeswehr benötigt für ihre Aufgabenerfüllung - insbesondere zur Gewährleistung der bestmöglichen Sicherheit sowie von Ausbildungs- und Einsatzfähigkeit der Soldaten - eine Ausrüstung mit hohen Ansprüchen an Qualität und Zuverlässigkeit. Unsere Qualitätsanforderungen verlangen vom Auftragnehmer eine Null-Fehler-Zielsetzung, verbunden mit dem Anspruch einer kontinuierlichen Verbesserung der Leistungen.
Die Verträge müssen diese Ansprüche juristisch absichern. Der öffentliche Auftraggeber hat dabei keine Sonderrechte. Er muss quasi wie eine Privatperson oder ein Unternehmen seine Interessen vertraglich absichern. Maßstab vertraglichen Handelns ist daher die konsequente Umsetzung der gesetzlich zustehenden Rechtspositionen, sollten Leistungshindernisse in Bezug auf Zeit und Qualität auftreten. So kann im Bedarfsfall nachgesteuert werden.
Was sind die Kriterien dafür, welcher Anbieter einen Zuschlag bekommt?
Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Dieses wird regelmäßig durch das beste Preis-Leistungsverhältnis bestimmt. Hierfür müssen Zuschlagskriterien definiert werden, die auftragsbezogen, diskriminierungsfrei und willkürfrei sind. Beispiele für solche Kriterien sind Qualität, Preis, Interoperabilität und Eigenschaften im Einsatz, Lebenszykluskosten, Lieferfrist bzw. Ausführungsdauer oder Versorgungssicherheit.
Welche Nachsteuerungsmöglichkeiten hat das BAAINBwBundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, wenn sich bei Erprobungen herausstellt, dass Mängel vorhanden sind oder gewisse Vorgaben durch die Industrie noch nicht in Gänze erfüllt wurden?
Wenn eine solche Nachsteuerung erforderlich wird, ist etwas schief gelaufen. Denn grundsätzlich muss sich die Vergabestelle vor Beginn des Vergabeverfahrens insbesondere mit folgenden Fragen auseinandersetzen:
Um ein hohes Maß an Qualität der angebotenen Leistung zu erzielen, empfiehlt es sich, möglichst konkrete Anforderungen an die Leistung festzulegen (zum Beispiel bestimmte technische Spezifikationen). Ferner ist möglichst konkret festzulegen, welche Anforderungen an die technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der potenziellen Bewerber/Bieter zu stellen sind. Wenn trotz aller Vorkehrungen die Leistung nach Vertragsschluss Mängel aufweist beziehungsweise Vorgaben nicht erfüllt, kann der Auftraggeber grundsätzlich die Beseitigung des Mangels innerhalb einer bestimmten Frist fordern.
Falls die Beseitigung nicht geschieht, kann der Auftraggeber abhängig vom Einzelfall den Preis mindern, von Vertrag zurücktreten oder Schadenersatz fordern. Sofern vertraglich vereinbart, kann auch eine Vertragsstrafe fällig werden. Die öffentliche Hand nimmt insoweit keine Sonderrechte für sich in Anspruch, sondern nutzt die jedem Auftraggeber zustehenden Instrumente des Zivilrechts. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, ob die Anforderungen an die zu beschaffende Leistung und die vertraglichen Regelungen diesbezüglich möglichst klar und eindeutig festgelegt sind.
Die Fragen stellte Stefan Rentzsch.
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