Es gilt das gesprochene Wort
Lieber Stef Blok, Liebe Karin Kneissl, sehr geehrter Professor Paşcu, sehr geehrter Herr Proll, Exzellenzen, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Es ist mir eine große Freude, heute gemeinsam mit dem niederländischen Außenminister die Konferenz zu eröffnen. Dass wir beide hier gemeinsam auftreten, unterstreicht unsere einzigartig enge Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Eine Kooperation, die sich in einer Vielzahl gemeinsamer Initiativen und Projekte manifestiert, und die ihre ganz besondere Festigkeit in einem hat:
Wir folgen dem gleichen inneren Kompass:
Und dieser steht im Titel dieser Konferenz: „Transatlantisch bleiben, Europäischer werden.“ Dies ist mehr als ein griffiges Motto. Es drückt eine sicherheitspolitische Überzeugung aus – eine Notwendigkeit. Und dies ist ein hoher Anspruch - viel leichter ausgesprochen als ins Werk gesetzt. Denn „transatlantisch bleiben, europäischer werden“, das beschreibt Ziel, Interesse und Methode unserer Sicherheitspolitik.
Es beschreibt, dass beides zusammen: die feste Verankerung im atlantischen Bündnis und die wachsende Verantwortung der Europäer in der atlantischen Sicherheitspartnerschaft, unser Interesse ist. Wir brauchen beides, um Europa frei, sicher, tolerant und der Rechtstaatlichkeit verpflichtet zu erhalten.
„Transatlantisch bleiben, europäischer werden“: Dies setzt auch ein Ausrufezeichen dahinter, dass wir Europäer endlich eine Aufgabe annehmen, die seit Langem von uns gefordert wurde: Mehr der transatlantischen Lasten auf unsere europäischen Schultern zu nehmen. Damit unsere Sicherheitspartnerschaft mit den USA und Kanada balancierter wird, oder mit einem anderen Wort: „fairer“.
Mir ist wichtig, dass klar ist und bleibt: Wir sind und bleiben der NATONorth Atlantic Treaty Organization ebenso verpflichtet wie Europa! Die Stärke der Allianz lebt vom gemeinsamen Bekenntnis und Handeln.
Beides muss stimmen.
Dazu trägt ganz maßgeblich das amerikanische und auch kanadische Engagement bei: Wir in Deutschland und Europa wissen sehr zu schätzen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika ihre militärische Präsenz in Europa auf hohem Niveau halten, ja aktuell sogar nochmals erhöht haben. Und wir wissen sehr zu schätzen, wie sich Kanada so sehr für Europa engagiert, dass es beispielsweise eine Battle Group der NATONorth Atlantic Treaty Organization in Lettland führt.
Zu diesem gemeinsamen Bekenntnis und Handeln gehört ebenso das Engagement von uns Europäern. Wir unternehmen seit 2014 erhebliche Anstrengungen um die Allianz zu modernisieren. Dabei geht es auch, aber nicht nur um cash, sondern vor allem um capabilities und committments!
Deutschland zieht bei all dem nicht nur mit, sondern ist vorne dabei: Die Bundeswehr ist seit vielen Jahren an den großen Einsätzen der NATONorth Atlantic Treaty Organization in Afghanistan und auf dem Balkan beteiligt. Seit der Wiedervereinigung waren 420.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen, die meisten von ihnen in Missionen der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Deutschland macht derzeit Air Policing im Baltikum, führt seit zwei Jahren eine Battle Group in Litauen, führt ab Januar bereits zum zweiten Mal die neue Speerspitze der NATONorth Atlantic Treaty Organization, die VJTFVery High Readiness Joint Task Force . Deutschland ist Treiber des Framework Nations Concepts, mit dem 17 Europäer in der Allianz Fähigkeiten stärker bündeln.
Und dass wir unseren Verteidigungshaushalt seit Wales 2014, in NATONorth Atlantic Treaty Organization-Zahlen von 35 Mrd auf 47 Mrd Euro inzwischen erhöht haben, also um gut 36%, das kann sich sehen lassen!
Unser Tempo dabei ist hoch, gerade weil es nicht um die Statistik geht, sondern um Investitionen in eine modern ausgerüstete Bundeswehr als verlässlicher Partner im Bündnis.
Transatlantisch bleiben – europäischer werden: weil wir alle nur eine Streitkraft haben, one single set of forces, mit der wir unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen, in der NATONorth Atlantic Treaty Organization, in der EUEuropäische Union, Blauhelmeinsätze der Vereinten Nationen oder auch Missionen von Koalitionen wie gegen den IS„Islamischer Staat“ in Syrien und im Irak, weil dies so ist, kommt alles, was wir derzeit in der Europäischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik aufbauen, auch der NATONorth Atlantic Treaty Organization und der Atlantischen Sicherheitspartnerschaft zugute.
Nötig aber ist der Aufbau auch eigener Europäischer Verteidigungsfähigkeiten allemal: Europa muss eigenständig handeln können, wo Europa eigenständig handeln muss: Denken Sie an die schwelende Krise im ehemaligen Jugoslawien Anfang der 90er und die damalige Unfähigkeit der Europäer, auf dem eigenen Kontinent, für Stabilität zu sorgen.
Denken Sie ganz an Westafrika, Mali 2013, wo die Brisanz der Lage für Europa evident war, die NATONorth Atlantic Treaty Organization keinen Grund sah, sich zu engagieren, aber die EUEuropäische Union über keine Strukturen verfügt hat, um rasch und wirkungsvoll das Schlimmste zu verhindern.
Es brauchte die Franzosen, die eingreifen mussten! Die Aufgabe an die EUEuropäische Union ist klar und keineswegs neu: Seit 2003 wurden bereits 35 zivile und militärische Missionen der EUEuropäische Union zumeist auf dem Balkan und in Afrika initiiert, alle souverän von der EUEuropäische Union entschieden. „Strategische Autonomie Europas“ ist also schon lange keine Frage des „ob“ mehr, sondern des „wie“. Denn die Instrumente der EUEuropäische Union sind bislang ungenügend gewesen und über Jahrzehnte waren die Europäer in diesem Bereich politisch blockiert: Zum einen, haben uns die USA ständig aufgefordert, endlich in der Verteidigung die Kräfte zu bündeln, effizienter zu werden, zum anderen haben wir uns intern ständig ausgebremst.
Um genau dieses Dilemma zu durchbrechen, haben wir im vergangenen Jahr – 25 europäische Staaten - die „Europäische Verteidigungsunion“ aus der Taufe gehoben. Herzstück ist die PESCOPermanent Structured Cooperation, die in 14 Tagen ihren ersten Geburtstag feiert. Sie spannt quasi den Rahmen um die Verteidigungsunion – verbindlich und ambitioniert. Verbindlich sind die anspruchsvollen Verpflichtungen, die wir untereinander eingegangen sind. Ambitioniert sind die Projekte selbst – Nunmehr seit vergangener Woche 34, alle mit dem Fokus auf die drei großen Bereiche Ausbildung, Fähigkeiten und Einsatz - alle so ausgesucht, dass sie Lücken füllen, auch Lücken der NATONorth Atlantic Treaty Organization, und dass sich keine Duplizierungen zur NATONorth Atlantic Treaty Organization ergeben.
Deutschland und die Niederlande sind bei vielen dieser Projekte beteiligt, nur eines möchte ich erwähnen, das von unseren niederländischen Freunden geführt wird: „Military Mobility“ - ein Paradebeispiel, das zeigt, wie Interessen und Instrumente von EUEuropäische Union und NATONorth Atlantic Treaty Organization ineinandergreifen und sich gegenseitig verstärken.
Und wir arbeiten an weiteren Bausteinen der Europäischen Verteidigungsunion: CARDCoordinated Annual Review on Defence, der Mechanismus zur Koordinierung unserer Verteidigungsplanung, er hat seine Testphase erfolgreich abgeschlossen. Und das ist mehr als überfällig. Wir wissen doch alle, dass die Fragmentierung der Waffensysteme in den europäischen Streitkräften unerträglich ist – wir müssen Entwicklung und Beschaffung unserer europäischen militärischen Fähigkeiten besser abstimmen können – auch mit der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Dazu dient CARDCoordinated Annual Review on Defence.
Aber auch der dritte Baustein - der Europäische Verteidigungsfonds - dieser EVFEuropäische Verteidigungsfonds ist ein echter „game changer“. Zum ersten Mal gibt es europäisches Geld für gemeinsame Erforschung, Entwicklung und Beschaffung. Die Europäische Kommission plant mit 13 Mrd. Euro im EVFEuropäische Verteidigungsfonds bis zum Jahr 2027. Der EVFEuropäische Verteidigungsfonds setzt den Anreiz für uns Europäer, die nächste Generation der Systeme - sei es im Cyberbereich, der in der Digitalisierung landbasierter Systeme, in der unbemannten Luftfahrt oder der Marine - gemeinsam zu entwickeln.
Dann werden wir nicht nur gemeinsam beschaffen, sondern auch Ersatzteilmanagement und Instandhaltung gemeinsam organisieren, und gemeinsam ausbilden, üben und in Missionen gehen.
Das ist ein Meilenstein!
Und die Aufmerksamkeit, die so manch ein Drittstaat dem EVFEuropäische Verteidigungsfonds gibt, spricht für das Potential, das darin steckt.
Meine Damen und Herren,
Die Europäische Verteidigungsunion ist im Werden.
Und in all unseren Initiativen, ist angelegt, eine immer engere Verzahnung unserer Streitkräfte, mit immer mehr gemeinsamen Fähigkeiten:
Es ist angelegt der Weg zu einer „Armee der Europäer“.
Dieser Weg ist anspruchsvoll, aber er passt zu Europa, mit seiner einzigartigen Bestimmung von Einheit und Vielfalt, und er ist für Europa notwendig.
Dazu 4 Anmerkungen:
1. Wenn wir uns immer stärker verzahnen,
wie mit den gegenseitigen Unterstellungen deutscher und niederländischer Truppenteile, oder wie mit der deutsch-französischen Brigade, dann werden wir auch als Europäer das entwickeln müssen, was Präsident Macron eine „europäische Strategische Kultur“ genannt hat. Dabei dürfen wir uns nicht scheuen, beides einzubringen: Zum einen unser spezifisch europäisches Denken: Das ist der vernetzte Ansatz, also das Einordnen des Militärischen in Diplomatie und Entwicklungspolitik.
Zum anderen unsere Bereitschaft, als Europäer auch, wenn nötig, robust in Konflikte einzugreifen. Derartige Aufgaben dürfen wir nicht nur einigen von uns überlassen. Nur beides zusammen, ehrlich formuliert und umgesetzt, gibt uns Europäern gemeinsam Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit.
2. Ein Europa, das schützt, muss handeln wollen – und können!
Wir müssen den Prozess der Entscheidung erheblich beschleunigen. Wenn eine schwere Krise ausbricht, wie zum Beispiel 2013 in Mali dann kann es nicht angehen, dass Europa Monate braucht, um zu reagieren. Es dauert einfach zu lange vom europäischen Beschluss über die Kabinettsbefassungen der Regierungen bis hin zu den Abstimmungen in den Parlamenten.
Wohlgemerkt und damit ich nicht missverstanden werde: Ich bin der Überzeugung, dass es ein hohes Gut ist, dass die Parlamente fest eingebunden sind.
Soldatinnen und Soldaten in gefährliche Missionen zu schicken, ist eine schwere Entscheidung – sie muss breit getragen und immer wieder auch gegenüber unserer Bevölkerung begründet und erklärt werden. Dazu braucht es die Abgeordneten unserer europäischen Länder. Aber mit der stärkeren Nutzung gemeinsamer Fähigkeiten und mehr europäischen Einsätzen wird auch die Art der parlamentarischen Befassung angepasst werden müssen. Würde beispielsweise ein Ausschuss von Sicherheitspolitikern aus den nationalen Parlamenten in Brüssel - regelmäßig über zukünftige Krisenszenarien auf dem Laufenden gehalten, - dann würde die Orientierung unserer parlamentarischen Experten früher ansetzen, der parlamentarische Diskurs würde belebt und Entscheidungen könnten schneller fallen, -ohne den deutschen Parlamentsvorbehalt zu schmälern.
Im Gegenteil, er würde moderner ausgestaltet. Anknüpfen könnte ein solcher Ausschuss etwa an die Arbeit der interparlamentarischen Konferenz der GASPGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik/GSVPGemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
3. Die EUEuropäische Union muss eigene Führungsfähigkeiten aufbauen.
Gerade weil wir alle einen single set of force haben, für die wir auf Seiten der NATONorth Atlantic Treaty Organization über hervorragende Hauptquartiere verfügen, ist es doch evident, dass wir für Missionen der EUEuropäische Union auch eigene Führungsfähigkeiten aufbauen müssen.
Wohlgemerkt: Ohne Duplizierungen mit der Allianz. Aber wir müssen als Europäer doch fähig sein, europäische Missionen selbständig zu führen, allein schon, weil wir im vernetzten Ansatz diplomatisches, zivil-polizeiliches, militärisches und entwicklungspolitisches Engagement quasi aus einer Hand haben. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal! Denn über Instrumente all dieser Art verfügt die EUEuropäische Union. Und all dies muss sinnvoll aufeinander abgestimmt und zusammengebunden zur Wirkung gebracht werden.
Schließlich 4.
Was seit einem Jahr in der Europäischen Verteidigungspolitik gelungen ist, braucht dringend ein außenpolitisches Pendant: Denn militärische Mittel können nur Zeit gewinnen, und den Rahmen ermöglichen für die Politik und Diplomatie, die die Lösungen bringen muss: Europäische Entscheidungen in der Außenpolitik, die von der großen Mehrheit getragen werden, müssen möglich sein. Die bisherige Einstimmigkeit verlangsamt, ja verhindert oft ein hörbares, kraftvolles und wirkungsvolles Europa, weil vielleicht nur ein einzelnes Land den Rest in Schach hält.
Meine Damen und Herren,
Als NATONorth Atlantic Treaty Organization und als EUEuropäische Union sind wir verbunden durch gemeinsame Prinzipien und Werte, wie zum Beispiel die regelbasierte Ordnung.
Diese ist wertvoll, aber auch verletzlich. Das sehen wir seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Im Osten der Ukraine sterben bis heute Menschen. Noch sind nicht alle Umstände der jüngsten Vorfälle in der Straße von Kertsch geklärt. Trotzdem muss uns allen klar sein, worum es hier leider erneut geht: Es geht um den Respekt für die territoriale Unversehrtheit und um den Willen, Dispute nicht eskalieren zu lassen.
Und nicht zuletzt geht es um die zivilisatorische Errungenschaft, Konflikte zwischen Staaten mit völkerrechtlichen und rechtsstaatlichen Mitteln zu beruhigen und zu lösen. Der Kreml hat in den vergangenen Jahren mit diesen Regeln und Prinzipien gebrochen. In dieser aktuellen Situation müssen beide Seiten zeigen, dass sie zur Deeskalation beitragen. Die festgesetzten Schiffe und Matrosen sind freizusetzen. Die Ukraine muss Belege zum genauen Hergang vorlegen. Russland muss die freie Durchfahrt durch die Wasserstraße sicherstellen und es darf nicht unverhältnismäßig handeln.
Ja, Europa ist immer wieder bereit, Russland die Hand zu reichen, aber das erfordert ein Russland, das sich zu Regeln und Werten bekennt und nach diesen handelt.
Transatlantisch bleiben – europäischer werden.
Mit dem Blick auf unsere Sicherheitslage und auf die großen geostrategischen Tendenzen sollten wir uns immer wieder klarmachen: Verharren wir in im rein nationalen Denken, werden wir jeder für sich stolz bleiben, aber irrelevant.
Vielleicht käme dies einigen außerhalb Europas gut zu pass – unser Interesse kann es nicht sein.
Tun wir uns jedoch zusammen, dann gewinnen wir gemeinsam Relevanz – und wir werden fähig, europäische Interessen auch durchzusetzen. Wenn wir mit Worten und Taten überzeugen, anstatt durcheinander zu reden wenn wir konsequent unseren euro-atlantischen Weg gehen, anstatt uns verunsichern oder spalten zu lassen, wenn wir Schritt für Schritt eine Europäische Verteidigungsunion bauen mit einer modernen Armee der Europäer, anstatt uns vor gemeinsamer Verantwortung zu drücken, dann wird aus der heutigen Vision – eine veritable, dem Frieden auf unserem Kontinent und in der Welt verpflichteten Europäische Armee.
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