Rede der Bundesministerin der Verteidigung Ursula von der Leyen anlässlich der Umbenennung der „Emmich-Cambrai-Kaserne“ in „Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne“ am 28. März 2018 in Hannover.
Es gilt das gesprochene Wort!
Vor vier Tagen stand ich in Afghanistan im Ehrenhain von Mazar-e-Sharif. Wir gedachten unserer gefallenen Soldatinnen und Soldaten. Am Ende der Andacht bin ich mit meinem Feldjägerkommando noch einmal zur Gedenktafel von Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein gegangen. Es war ein eindrücklicher, ein bewegender Moment, die Tafel im Schein der Fackeln zu sehen.
Viele Kameraden haben Andenken neben diese schlichte Platte gelegt. Tobias Lagenstein ist nicht vergessen. Neben mir stand ein Feldjägerkamerad, der nur sagte: „Eine Woche vorher haben wir noch zusammen auf der Schießbahn geübt.„ Er ist in Afghanistan nicht vergessen. Er ist hier in der Heimat nicht vergessen.
Heute ist die Familie von Tobias Lagenstein bei uns. Kameradinnen und Kameraden, die mit ihm dienten – hier in Hannover oder im Einsatz. Auch einige von denen, die damals, vor sieben Jahren, bei dem schrecklichen Anschlag dabei waren und selbst schwer verwundet wurden. Ihre Anwesenheit zeigt eindrücklich, wie die Bundeswehr zusammensteht: im Gedenken an Kameraden, die gefallen sind, die in Ausübung ihres Dienstes zu Tode gekommen sind. Oder die an Leib und Seele verwundet wurden. Wir alle stehen dabei an der Seite der Angehörigen von Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein. Sie, liebe Angehörige, können sicher sein: Tobias Lagenstein bleibt in der Bundeswehr, bleibt im Kreise seiner Kameradinnen und Kameraden unvergessen.
Meine Damen und Herren,
Sie, die Soldatinnen und Soldaten der Schule für Feldjäger und Stabsdienst, haben die heutige Umbenennung dieser Kaserne auf den Weg gebracht. Das ist ein starkes Zeichen der Verbundenheit. Ein Zeichen dafür, dass das Band der Kameradschaft trägt, selbst über den Tod hinaus. Es ist aber auch Ausdruck der hohen Wertschätzung der soldatischen Tugenden, die Tobias Lagenstein verkörperte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die heutige Benennung dieser Kaserne nach Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein bietet einen würdigen Anlass, das Ergebnis unserer Diskussion über die Grundfeste unserer Bundeswehr vorzustellen.
Ich habe heute unseren neuen Traditionserlass gezeichnet. Der letzte stammte aus dem Jahr 1982. Deutschland war geteilt, unsere Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt durch die Blockkonfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion. Die Bundeswehr war eine Wehrpflichtarmee, fokussiert auf die Landesverteidigung gegen die Armeen des Warschauer Paktes.
Der alte Traditionserlass wusste noch nichts von der Armee der Einheit und
von der Armee im Einsatz. Er wusste noch nichts vom Kampf gegen heutigen Terrormilizen, die mit brutaler Gewalt Schreckensherrschaften errichten,
von hybriden Bedrohungen, von Auseinandersetzungen im Cyber- und Informationsraum. Es war daher überfällig, dass wir uns wieder einmal ganz grundlegend mit den Fragen beschäftigen:
Gerade weil sich die Herausforderungen heute so schnell verändern, brauchen wir ein gemeinsames Verständnis von unserer Vergangenheit. Wir müssen wissen, woher wir kommen, um mit Gewissheit in die Zukunft zu gehen. Wir müssen uns immer wieder selbst vergewissern, auf welchem Grund wir stehen. Daher waren uns bei der Erarbeitung des neuen Traditionserlasses zwei Aspekte besonders wichtig:
Erstens wollten wir die deutsche Militärgeschichte in ihrer ganzen Breite in den Blick nehmen, aus ihr schöpfen, bewerten, was daraus für uns heute vorbildlich
und sinnstiftend ist. Denn natürlich gab es herausragende soldatische Persönlichkeiten, außergewöhnliches soldatisches Handeln
zu allen Zeiten unserer Geschichte – und zwar soldatisches Handeln, das auf Werten gründete, die wir heute als Fundament unseres Grundgesetzes betrachten. Solche Persönlichkeiten, solches Handeln ist daher für uns auch heute noch sinnstiftend.
Und es ist auch dieser Wertebezug, der die Aufnahme der Wehrmacht als Institution in unseren Traditionskanon grundsätzlich ausschließt. Dieser Maßstab unserer Werte gilt auch für die Nationale Volksarmee und schließt sie daher als traditionsstiftende Institution aus.
Gleichwohl können aber einzelne Angehörige traditionswürdige Vorbilder für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sein. Es kommt auf die einzelne Person an, und wir müssen immer sorgfältig abwägen. Dieses Abwägen muss auch die Frage nach persönlicher Schuld stellen.
Und die Aufnahme in unser Traditionsgut muss zudem eine Leistung zur Bedingung machen, die vorbildlich und sinnstiftend in die Gegenwart wirkt; etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NSNationalsozialismus-Regime oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr oder die Auflehnung gegen die SED-Herrschaft
oder besondere Verdienste um die Deutsche Einheit.
Militärische Exzellenz allein genügt jedenfalls nicht. Sie mag als Beispiel für Lehre und Ausbildung dienen. Tradition ist etwas anders: Sinn- und traditionsstiftend für unsere Bundeswehr, die freiheitlichen und demokratischen Zielsetzungen verpflichtet ist, kann nur ein soldatisches Selbstverständnis sein, das auf dem Wertefundament unseres Grundgesetzes ruht.
Wir sind die Streitkräfte einer gereiften, weltweit geachteten Demokratie. Und daher gilt es, zweitens, die eigene über 60-jährige, reiche Geschichte der Bundeswehr in den Mittelpunkt unserer Erinnerungskultur zu stellen. Sie wird zum zentralen Bezugspunkt unserer Tradition. Es ist eine Geschichte, auf die wir stolz sein können.
Eine Geschichte, auf die unsere Bürgerinnen und Bürger stolz sein können. Eine Geschichte, die erzählt von einer Bundeswehr, die an der Seite ihrer Partner im Kalten Krieg Freiheit und Frieden wahrte; die einen vorbildlichen Beitrag zur Verwirklichung der Deutschen Einheit leistete; die seit einem Vierteljahrhundert zum internationalen Krisenmanagement beiträgt und sich dabei in Einsätzen und im Gefecht bewährt; deren Soldaten immer wieder aufs Neue Mut, Tapferkeit und ihre Bereitschaft bewiesen, auch mit dem höchsten Gut für ihren Auftrag einzustehen;
die für die Menschen in unserem Land da ist, wenn sie gebraucht wird; die seit mehr als sechs Jahrzehnten einsteht für das Recht und die Freiheit unseres Landes.
Auf diese Geschichte darf die Bundeswehr unendlich stolz sein! Sie ist sinnstiftend. Sie ist unser Fundament für die Zukunft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Traditionen zu pflegen, bedeutet Vorbilder für das Heute und das Morgen zu setzen. Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein ist ein solches Vorbild. Ich kann mir deswegen keinen besseren Namensgeber für diese Kaserne denken. Seine Haltung, sein Dienst sind uns Anspruch und Verpflichtung.
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