Rede der Bundesministerin der Verteidigung Annegret Kramp-Karrenbauer anlässlich des feierlichen Gelöbnissesam 20. Juli 2021 im Bendlerblock in Berlin.
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Dr. Schuster,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Soldatinnen und Soldaten,
Rekrutinnen und Rekruten,
Wir sind an einem historischen Tag hier am Bendlerblock in Berlin zum Feierlichen Gelöbnis zusammengekommen. Unsere ersten Gedanken und Worte gelten heute aber denen, die in den letzten Tagen auf so furchtbare Art und Weise Opfer der Flutkatastrophe in Deutschland geworden sind - in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz, in Bayern und in Sachsen.
Wir denken an diejenigen, die ihr Leben verloren haben, an die, die ihre Lieben schmerzlich vermissen, an die, die ohne Hab und Gut dastehen, aber wir denken auch an die, die in den letzten Tagen und Stunden geholfen haben und noch immer helfen.
Vor wenigen Tagen sprach ich im Erftkreis in der Nähe von Köln mit Soldatinnen und Soldaten im Krisengebiet. Sie sind ein Teil der Menschen, die Tag und Nacht im Einsatz sind, die nach Vermissten suchen, die Straßen räumen, die Lebensmittel, Wasser und Hilfsgüter bringen. Inmitten der Krise bin ich stolz auf unsere Männer und Frauen in Uniform. Die Soldatinnen und Soldaten stehen den Menschen in schwerster Not zur Seite, sie dienen unserem Land, sie schützen unsere Heimat. Das ist unsere Aufgabe. Und wir werden weiterhin helfen, solange wir gebraucht werden.
Das gilt auch für die noch immer andauernde Corona-Pandemie. Die Bundeswehr leistet im Kampf gegen den unsichtbaren Gegner, gegen das Corona-Virus, den längsten und umfangreichsten Amtshilfeeinsatz ihrer Geschichte. Die Soldatinnen und Soldaten werden überall sehr geschätzt, sie leisten hervorragende Arbeit, sie tragen dazu bei, die Folgen der Pandemie zu mildern und den Menschen in unserem Land die Rückkehr zur Normalität zu ermöglichen.
Soldatinnen und Soldaten!
Die Hilfe der Bundeswehr bei Naturkatastrophen und in der Corona-Pandemie ist nur ein Teil der soldatischen Wirklichkeit, die Sie erwartet.
Wenn ich heute hier in Ihre Gesichter blicke, dann denke ich auch an unsere Kameradinnen und Kameraden, die gerade in Mali im Einsatz sind. Kurz nach dem Selbstmordanschlag auf unsere Truppe traf ich sie in Gao.
Viele von ihnen sind jung, nicht viel älter als Sie, nicht wenige sind zum ersten Mal im Auslandseinsatz. Manchen stand der Schock über das Erlebte noch ins Gesicht geschrieben. Sie sind weit weg von zuhause, sie erleben die Realität bewaffneter Konflikte und des islamistischen Terrorismus. Sie stehen dort in der Sahel-Zone für die Werte und Interessen Deutschlands, Europas und der internationalen Gemeinschaft ein.
Unsere Soldatinnen und Soldaten tun das im Einsatz für uns alle und unser Gemeinwesen, so wie es auch die Kameradinnen und Kameraden in Afghanistan getan haben.
Auch Soldatinnen und Soldaten der Panzergrenadierbrigade 37 aus Sachsen, wo ich gestern war, waren in Afghanistan im Einsatz. In ihrer Kaserne in Frankenberg stand ich an einem Gedenkstein für in Afghanistan ums Leben gekommene Soldaten.
Diese Soldaten haben Deutschland treu gedient. Das Gedenken an sie und alle Gefallenen, der Blick auf den Einsatz in Mali oder die einsatzgleichen Verpflichtungen der Bundeswehr an der Ostgrenze der NATONorth Atlantic Treaty Organization in Litauen führt uns noch einmal ganz deutlich vor Augen, was die eigentliche Aufgabe von Soldatinnen und Soldaten ist: Durch militärische Präsenz und Stärke Raum für politische Lösungen zu schaffen und notfalls dazu bereit sein, für Recht und Freiheit zu kämpfen.
Meine Damen und Herren,
der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist zu Ende. Die Männer und Frauen der Bundeswehr können stolz sein, denn sie haben alle Aufträge erfüllt, die der Deutsche Bundestag ihnen gegeben hat.
Wir werden diesen Einsatz der Soldatinnen und Soldaten aller Kontingente am 31. August gemeinsam würdigen: mit einem Gedenken für die Gefallenen und Getöteten, die körperlich und seelisch Verwundeten am Ehrenmal der Bundeswehr, mit einem Abschlussappell hier am Bendlerblock mit einer Rede des Bundespräsidenten, mit einem Empfang durch den Bundestagspräsidenten und einem Großen Zapfenstreich vor dem Deutschen Bundestag, an dem auch die Bundeskanzlerin teilnehmen wird.
Liebe Rekrutinnen und Rekruten,
Mit diesem klarem Blick auf alle Aspekte der soldatischen Wirklichkeit in Afghanistan, in Mali und Litauen, im Kampf gegen die Corona-Pandemie und der Hilfe in der Flut werden Sie heute geloben, der Bundesrepublik Deutschland „treu zu dienen“ und das „Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Ich danke Ihnen ganz persönlich für diesen Schritt.
Es ist sehr schade, dass wegen der Corona-Pandemie und der dadurch geltenden Regeln für die Bundesregierung Ihre Eltern, Familien und Freunde, Abgeordnete des Bundestages und Ehrengäste heute an diesem besonderen Tag nicht persönlich hier sein dürfen.
Ich kann Ihnen aber versichern: Ihre Eltern, Ihre Familien und Freunde, wir alle sind sehr stolz auf Sie.
Denn Sie stehen bei diesem Feierlichen Gelöbnis beispielhaft für alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr,
Sehr geehrte Damen und Herren, Soldatinnen und Soldaten,
wir feiern das Gelöbnis heute an einem besonderen Tag, dem 20. Juli.wir feiern das Gelöbnis heute an einem besonderen Tag, dem 20. Juli.
Heute vor 77 Jahren fand hier, an dem Ort, an dem wir heute stehen, ein verzweifelter und später Versuch statt, Deutschland von der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus zu befreien.
Oberst Claus Schenck Graf von Stauffenberg und seine Mitverschwörer wollten Adolf Hitler, den Diktator, auf den sie persönlich vereidigt waren, töten.
Die Männer des 20. Juli wollten einen Umsturz herbeizuführen, der Deutschland eine neue Regierung geben und den Krieg beenden sollte.
Dieser Versuch scheiterte. Die Befreiung vom Nationalsozialismus gelang den Deutschen nicht aus eigener Kraft. Andere haben uns befreit.
Es bleibt dennoch der Triumph Stauffenbergs und seiner Mitverschwörer, dass der 20. Juli bis heute Sinn stiftet. Der 20. Juli und der Widerstand gegen Hitler gehören zur DNA der Bundeswehr.
Henning von Tresckow, der Kopf des militärischen Widerstandes, ahnte diese historische Wirkung voraus. Er hielt die Chancen des Umsturzversuches auf Erfolg für gering. Doch Tresckow sah allein in dem Versuch einen hohen moralischen Wert.
Seine Gedanken wurden berühmt: Es komme nicht mehr darauf an, ob das Attentat gelinge, sondern nur noch darauf, dass der deutsche Widerstand den Versuch gewagt habe, um vor der Geschichte zu bestehen.
Wörtlich schrieb Tresckow: „Wir müssen es tun, auch wenn es nicht glückt. Denn es darf später nicht heißen: Es ist niemand gegen dieses Unrecht aufgestanden.“
Tresckow wusste, dass ein zukünftiges Deutschland nach der vollständigen Katastrophe, dem moralischen Bankrott und der kaum ermesslichen Schuld eines Tages eigene Quellen brauchen würde, um daraus Kraft für ein Weiterleben zu schöpfen. Für ein Weiterleben in Frieden mit sich selbst und anderen.
Tresckow ahnte, dass wir hier eines Tages stehen würden. Der 20. Juli ragt aus dem Grauen des sogenannten Dritten Reiches heraus, damit wir uns daran aufrichten können.
Rekrutinnen und Rekruten,
wenn Sie heute geloben, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, dann besteht eine direkte Verbindung zu Stauffenberg und Tresckow.
Auch auf Sie ganz persönlich können schwierige Fragen zukommen. Auch Sie werden als Staatsbürger in Uniform in manchen Situationen ihr Gewissen prüfen müssen. Auch von Ihnen erwarten wir Charakterstärke, Kenntnisse der Geschichte und politische Bildung.
Denn: Gehorsam in der Bundeswehr steht immer unter dem Vorbehalt des Gewissens.
Ihre Treue geloben Sie heute nicht einer Person, sondern unserem demokratischen, freiheitlichen Gemeinwesen und seiner Rechtsordnung.
Das ist das Erbe des 20. Juli, das Ihnen nun anvertraut wird. Bewahren Sie es fest und gut in Ihren Köpfen und in Ihren Herzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wenn heute am 20. Juli Vergangenheit und Zukunft zusammentreffen, dann entsteht Spannung.
Bei kaum einem Thema begegnet uns diese Spannung so intensiv wie bei der Frage nach den soldatischen Tugenden - bei Begriffen wie Heimat, Pflicht, Ehre, Stolz und Treue, die auch für die Verschwörer des 20. Juli eine große Bedeutung hatten.
Diese Worte sind in der Geschichte von jenen, die auch Stauffenberg und Tresckow ermordeten, auf das Schrecklichste missbraucht und in ihr Gegenteil verkehrt worden. Manche Extremisten nutzen diese Begriffe auch heute als Signale für bösartige und zerstörerische Absichten. Vielleicht lösen diese Worte bei einigen heute auch deshalb noch Unbehagen aus.
Doch wir dürfen und wir werden das nicht zulassen.
Denn:
Diese Werte, diese elementaren Bestandteile des menschlichen Miteinanders leiten uns in der Bundeswehr.
Jeder einzelne von uns ist dafür jeden Tag mit seiner Haltung und seinem Handeln gefragt. Der Inspekteur des Heeres wies erst gestern treffend darauf hin: Es ist wichtig, wofür wir dienen. Und es macht den Unterschied, wie wir dienen. In der Bundeswehr gibt es für Extremismus, sexuelle Übergriffe und Mobbing keinen Platz.
Und wir lassen im Übrigen auch den Begriff „Widerstand“ nicht umdeuten, sondern halten ihn in Ehre für diejenigen, die gegen ein verbrecherisches Regime aufbegehrt haben und dafür ihr Leben gelassen haben.
Meine Sehr geehrte Damen und Herren, Soldatinnen und Soldaten,
am vergangenen Sonntagabend leuchtete das Rathaus in Tel Aviv in Israel in den deutschen Farben Schwarz-Rot-Gold. Was für ein starkes Zeichen der Solidarität mit den Flutopfern! Und im Angesicht unserer Geschichte ein kleines Wunder!
Heute stieß ich im Internet zufällig auf ein kleines Bild, dass mich in diesem Zusammenhang sehr bewegt hat. Auf dem alten Foto aus dem Jahr 1916 sind etwa 50 junge jüdische Soldaten in der deutschen Armee zu sehen. Stolz und freundlich sehen sie aus. Sie haben um eine Channukia herum Aufstellung genommen, einen festlichen, geschwungenen Kerzenleuchter. Sie begehen in Uniform gemeinsam das Channuka-Fest. Vermutlich haben diese jungen jüdischen Soldaten dieses Foto ihren Eltern und Angehörigen mit der Feldpost geschickt.
Dieses kleine alte Foto erinnert uns daran, dass für die vielen Juden, die damals in der deutschen Armee dienten, ihre deutsche Heimat und die Begriffe Pflicht, Ehre, Stolz und Treue etwas ganz Selbstverständliches waren. Viel unfassbar Böses und Grauenvolles ist passiert, seitdem dieses Foto aufgenommen wurde: Ausgrenzung, Hass, Gewalt und Mord.
Der Historiker Joachim Fest wies später darauf hin, dass auch für viele der Verschwörer des 20. Juli der grausame Massenmord an den Juden ein Beweggrund für ihr Handeln war.
Heute hat Antisemitismus in der Bundeswehr keinen Platz. Und wo er versucht, Fuß zu fassen, treten wir ihm entschieden entgegen. Jüdinnen und Juden gehören ganz selbstverständlich zu uns – in Deutschland und deswegen auch in der Bundeswehr.
Ich freue mich sehr, dass wir nach mehr als 100 Jahren wieder eine jüdische Militärseelsorge in der Bundeswehr haben. Eine Menora, ein festlicher Kerzenleuchter, ganz ähnlich wie auf dem Foto der jungen jüdischen Soldaten von 1916, sieht man im Mittelpunkt der Fotos aus der Leipziger Synagoge, wo wir im Juni den ersten neuen Militärrabbiner ins Amt einführten.
Ich danke den jüdischen Glaubensgemeinschaften und Dr. Schuster persönlich für das Vertrauen. Und ich freue mich sehr, dass er als Ehrengast heute persönlich zu uns sprechen wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
77 Jahre nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler stehen heute auf den Schultern Stauffenbergs und Tresckows hier junge Menschen, die geloben werden, einem anderen, einem besseren Staat zu dienen und ihn zu schützen. Einem Staat, der seine Kraft auch aus dem 20. Juli schöpft.
Rekrutinnen und Rekruten,
Ich wünsche Ihnen für Ihren Dienst für unser Land und für Ihre Laufbahnen in der Bundeswehr von ganzem Herzen allzeit Soldatenglück und Gottes Segen.
Vielen Dank.
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