Oberstleutnant Anne-Katharina Hölz war von Oktober 2016 bis April 2017 als UNUnited Nations-Militärbeobachterin bei UNMISSUnited Nations Mission in South Sudan im Südsudan eingesetzt. Damals war sie die erst zweite deutsche Militärbeobachterin bei einer UNUnited Nations-Mission. Im Interview erzählt Hölz, was sie im Einsatz erlebt hat und wie künftig mehr Soldatinnen für UNUnited Nations-Missionen gewonnen werden können.
Hanna Jarowinsky: Was hat Sie dazu bewogen, die Ausbildung als UNUnited Nations-Militärbeobachterin zu machen?
Anne-Katharina Hölz: Ich habe mich schon immer für die Vereinten Nationen interessiert. Ich finde es wichtig, dass es mit der UNUnited Nations einen weltweiten Staatenverbund gibt. Ziemlich frühzeitig, nach dem Universitätsabschluss, hatte ich entschieden, die Ausbildung zu machen. Da der Lehrgang mit zwei Monaten ziemlich lange dauert, war es nicht einfach, dafür die Erlaubnis zu bekommen. 2011 hat es dann geklappt. Damals war ich eine der ersten Soldatinnen, die die Ausbildung gemacht hat.
Wie hat Ihnen die UNUnited Nations-Militärbeobachter-Ausbildung gefallen?
Sehr gut. Der Lehrgang war mit einem Grundlagenteil, einer Sanitätsausbildung und einem Praxismodul sinnvoll aufgebaut. Zusätzlich gibt es noch einen Englisch-Kurs. Insbesondere das Praxistraining, bei dem Situationen geübt werden, die im Einsatz vorkommen können, war sehr hilfreich.
Insgesamt finde ich, dass die Militärbeobachter-Ausbildung etwas Spezielles ist und auf eine ganz andere Aufgabe vorbereitet als bei den sonstigen Einsätzen der Bundeswehr. Mit dem Abflug aus Deutschland ist man auf sich allein gestellt. Man hat niemanden. Darauf muss man vorbereitet sein.
Konnten Sie direkt nach der Ausbildung in den Einsatz gehen?
Ich konnte erst fünf Jahre später tatsächlich als Militärbeobachterin in den Einsatz gehen. Eigentlich wollte ich das unmittelbar nach der Ausbildung machen. Aber als Kompaniechefin war ich zu diesem Zeitpunkt nicht entbehrlich.
Wie war die Situation im Südsudan? Wo waren Sie eingesetzt?
Der Südsudan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Als ich dort war, herrschte in dem Land Bürgerkrieg. Dennoch ist der Südsudan ein sehr schönes Land. Überall, wo wir hinkamen, waren die Menschen sehr freundlich. Von irgendwo her wurde ein behelfsmäßiger Stuhl für die Gäste organisiert. Die Kinder kamen angerannt. Sie haben sich gefreut. Das ist schon bewundernswert.
Ich war in einer Region im Norden des Landes eingesetzt – in Northern Bahr al-Ghazal –, wo die Lage aus militärischer Sicht eher ruhig war. Die Hauptprobleme der Menschen dort waren Armut und Hunger. Meine Teamsite war in Aweil. Als Teamsites werden die Außenposten des regionalen UNUnited Nations-Headquarters bezeichnet. Es war ein kleines UNUnited Nations-Camp mit ungefähr 150 Einsatzkräften – überwiegend zivile Mitarbeiter der UNUnited Nations-Organisationen. In meinem Team waren neun Militärbeobachter. Ich war die einzige Frau. Auf der Teamsite war ich im Field Integrated Operations Centre, also in der Einsatzplanungszentrale, eingesetzt. Dort habe ich unter anderem mit den Kollegen der anderen UNUnited Nations-Organisationsbereiche wie der Polizei, der Frauen- und der Menschenrechtsabteilung die wöchentlichen Patrouillen geplant.
Welche Aufgaben haben Militärbeobachter vor Ort?
Eine Aufgabe von Militärbeobachtern ist die Patrouille. Im Zweierteam besuchen sie ein vorher festgelegtes Ziel, zum Beispiel ein Dorf, und interviewen dort die Bewohner. Ein einheimischer Übersetzer ist auch dabei. Wir haben die Menschen im Dorf beispielsweise gefragt, was es in der Umgebung Neues gibt, welche Armeen sich dort befinden, ob es Flüchtlinge gibt, wie es gesundheitlich geht. Die Antworten waren oft die gleichen: Es gebe keine Medikamente, nichts zu essen und nichts zu trinken. Nach jeder Patrouille haben wir die Informationen in einem Bericht zusammengefasst und an die Fachabteilung im UNUnited Nations-Hauptquartier in Dschuba weitergeleitet. Zusätzlich gibt es auch wöchentliche Berichte.
Waren Sie bewaffnet?
Aufgrund der teilweise angespannten Sicherheitslage im Südsudan hatte ich vor Ort von der Bundeswehr eine Pistole bekommen. Ich konnte selbst entscheiden, ob ich sie trage. Militärbeobachter sind eigentlich unbewaffnet. Da es in der Region, in der ich eingesetzt war, relativ ruhig war, habe ich dann für mich entschieden, keine Waffe zu tragen. Mir war es wichtig, den Einsatz so zu machen, wie ich es gelernt habe, also unbewaffnet. Man wird anders wahrgenommen, je nachdem, ob man eine Waffe dabei hat oder nicht.
Hatten Sie während des Einsatzes als Frau Probleme?
Am Anfang war es auf der Teamsite als Frau nicht so einfach. Viele der männlichen Kollegen kamen aus Ländern mit traditionellen Geschlechtervorstellungen. Die meisten von ihnen hatten mit mir zum ersten Mal eine weibliche Militärbeobachterin gesehen. Aber als sie gemerkt haben, dass ich auch was kann, konnte ich mehr Verantwortung übernehmen. Nach zwei, drei Wochen hatte ich keine Probleme mehr. Dann haben sie mich als vollwertiges Mitglied akzeptiert und mich nicht mehr vorrangig auf mein Geschlecht reduziert.
Schwierig war es hingegen, von den Soldaten der südsudanesischen Armee akzeptiert zu werden. Die Einstellung der Männer gegenüber Frauen ist im Südsudan nicht positiv. Ich musste mir öfter ein paar Sprüche anhören. Die Zusammenarbeit mit dem einheimischen Übersetzer hat dafür sehr gut geklappt.
Wie sind Sie mit schwierigen Situationen wie diesen umgegangen? Hatten Sie Unterstützung vor Ort?
Vor Ort hatte ich in Situationen, die für mich als Frau schwierig waren, keine Unterstützung. Ich konnte mich in diesen Situationen behaupten, indem ich selbstbewusst aufgetreten bin. Aber man hätte sich aus dem Einsatz heraus jederzeit bei der Truppenpsychologin des Einsatzführungskommandos melden können. Sie hat auch bei uns Militärbeobachtern per E-Mail nachgefragt, ob alles okay ist. Während ich im Südsudan war, hatte ich keine Angst. Die habe ich ein bisschen verdrängt. Ich glaube, dass es sonst auch nicht funktionieren würde.
Konnten Sie während der Patrouillen auch mit der weiblichen Zivilbevölkerung sprechen?
Ich hatte mir für den Einsatz als Aufgabe gesetzt, mit der weiblichen Zivilbevölkerung in Kontakt zu kommen. Das war aber oft nicht einfach. Anfangs habe ich auf eigene Faust mit den Frauen im Dorf gesprochen. Das wurde von dem Soldaten der südsudanesischen Armee, der Sudan People's Liberation Army (SPLASudan People's Liberation Army), der unsere Patrouille begleitete, nicht gern gesehen. Deshalb habe ich dann meistens zuerst den örtlichen Bürgermeister und den SPLASudan People's Liberation Army-Soldaten gefragt, ob ich mit den Frauen sprechen darf. Manche haben nein gesagt. Manchmal war es nur möglich, wenn auch ein Mann dabei war. Ein paar Mal konnte ich mit Frauen im Dorf allein sprechen.
Obwohl die stärkere Einbindung der weiblichen Zivilbevölkerung in vielen UNUnited Nations-Resolutionen gefordert wird, gab es vor Ort keine offiziellen UNUnited Nations-Vorgaben für Militärbeobachter, mit den Frauen zu sprechen. Aber ich fand es wichtig und sinnvoll. Die Patrouillen waren eine Möglichkeit, bei der die Frauen mal zur Sprache kommen konnten. Für sie war es wichtig, dass ihnen überhaupt mal jemand zuhört. Ich habe sie ganz normale Sachen gefragt: Wo sie wohnen, wie viele Kinder sie haben, ob sie in die Schule gehen konnten und wie ihr Alltag aussieht.
Was haben Sie von den Frauen erfahren?
Die Frauen waren sehr offen. Was ich beobachtet habe, war, dass die Männer wenig tun, während die Frauen arbeiten. So haben es auch die Frauen vor Ort erzählt. Frauen sind im Südsudan zwar per Verfassung gleichberechtigt, aber ihre tatsächliche Situation ist teilweise sehr schlecht. Viele Mädchen dürfen nicht zur Schule gehen. Sie werden jung verheiratet und bekommen viele Kinder. Polygamie ist verbreitet, Verhütungsmittel gibt es nicht. Vergewaltigungen werden strafrechtlich nicht verfolgt.
Die Informationen aus den Gesprächen mit den Frauen habe ich in meine Berichte mit aufgenommen. Ein Feedback dazu habe ich nicht bekommen. Wie die Informationen ausgewertet wurden, kann ich nicht sagen. Auf der Teamsite habe ich mich auch mit anderen UNUnited Nations-Organisationen ausgetauscht, die für die Belange der Frauen zuständig sind. Dazu gehörten UNUnited Nations Women und die Abteilungen für zivilgesellschaftliche Angelegenheiten, die Civil Affairs Division, und für den Schutz der Menschenrechte, die Human Rights Division. Die Kollegin der Menschenrechtsabteilung leitete zum Beispiel eine Ansprechstelle für Opfer geschlechtsbezogener und sexueller Gewalt.
Was war die größte Herausforderung während Ihres Einsatzes?
Im Südsudan sieht man täglich Armut und Hunger, sodass man mit der Zeit etwas „abstumpft“. Gegen Ende des Einsatzes hat mich dennoch eine Situation ziemlich mitgenommen. Wir hatten ein Dorf besucht, in dem die Menschen buchstäblich nur die Blätter der Bäume zu essen hatten. Das war schwer zu ertragen. Ich habe dann einen Bericht darüber geschrieben und bin zum UNHCRUnited Nations High Commissioner for Refugees (Hoher Flüchtlingskommissar der UNUnited Nations) gefahren, um die Situation der Menschen in diesem Dorf zu schildern. Ich wollte die Informationen wenigstens weiter geben und habe gehofft, dass die Kollegen etwas unternehmen.
Militärbeobachter schreiben normalerweise nur Berichte. Man bekommt nicht unmittelbar mit, ob man den Menschen durch die eigene Tätigkeit helfen konnte. Man muss damit klarkommen, dass man meistens nicht sieht, dass sich etwas bewegt. So ist der Job. Jeder muss sich selbst motivieren und sich sagen, dass man durch seine Arbeit etwas beigetragen hat.
Wie würden Sie Ihren Einsatz im Nachhinein bewerten?
Für mich war der Einsatz eine Lebenserfahrung, die ich nicht missen möchte. Ich sehe dadurch die Welt ein bisschen anders, vieles auch leichter und entspannter. Aber ich kann zum Beispiel kein Essen mehr wegwerfen, weil ich weiß, dass es anderen Menschen viel schlechter geht.
Ich würde jederzeit wieder als Militärbeobachterin in den Einsatz gehen, weil ich es wichtig finde, dass sich die UNUnited Nations in der Friedenssicherung engagieren. Ich glaube, dadurch, dass die UNUnited Nations in Konfliktgebieten präsent sind, kann einiges verhindert werden, zum Beispiel Vergewaltigungen. Die Präsenz der UNUnited Nations hat eine Wirkung. Auch wenn man es nicht immer gleich sehen kann. Allein, dass die UNUnited Nations im Südsudan sind und die Mission durchführen können, ist schon ein Erfolg.
Die UNUnited Nations fordern in mehreren Resolutionen eine stärkere Beteiligung von Frauen in Peacekeeping-Missionen. Finden Sie diese Forderung sinnvoll?
Ja! Aber die Chance, dass Frauen in der Mission sind, sollte auch stärker wahrgenommen werden. In UNUnited Nations-Missionen sollte mehr Fokus darauf gelegt werden, die Frauen vor Ort mit einzubinden. Dafür sollte es zusätzlich konkrete frauenbezogene Aufgaben für Militärbeobachter im Einsatz geben.
Was hält Soldatinnen Ihrer Ansicht nach davon ab, sich für UNUnited Nations-Missionen ausbilden zu lassen und in den Einsatz zu gehen?
Frauen sind häufig eher zurückhaltend und fragen sich, schaffe ich das? Dazu kann ich sagen: Habt Mut! Ihr werdet das schaffen! Wer die Militärbeobachter-Ausbildung macht und weiß, was auf einen zukommt, ist gut auf den Einsatz vorbereitet.
Grundsätzlich sollten die Informationen zu Einsatzmöglichkeiten im Rahmen der UNUnited Nations transparenter gemacht werden. Informationen zur Militärbeobachter-Ausbildung könnten beispielsweise in die Offiziersausbildung integriert werden. Auch die Idee eines Peacekeeper-Netzwerks finde ich gut. So ein Netzwerk könnte angehenden Militärbeobachtern dabei helfen, sich zu informieren und miteinander in Verbindung treten zu können. Das fehlte bisher.
Ich habe Eigeninitiative gezeigt und konnte so die Ausbildung machen und dann auch in den Einsatz gehen. Aber es sollte für Soldatinnen einfacher gemacht werden. Es wird gefordert, dass mehr Frauen in UNUnited Nations-Missionen und UNUnited Nations-Organisationen gehen. Aber die Frauen müssen dabei auch unterstützt werden. Der Tagesbefehl des Generalinspekteurs im vergangenen Jahr war diesbezüglich schon ein guter Anfang.
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