Wo steht die Bundeswehr in der Umsetzung der Zeitenwende? Wie real ist ein Angriff Russlands auf NATONorth Atlantic Treaty Organization-Territorium? Braucht Deutschland wieder eine Wehrpflicht? Diese und weitere Fragen beantwortete Verteidigungsminister Boris Pistorius bei „Meet the Minister“, einem Gesprächsformat auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2024.
Zahlreiche Interessierte aus Militär und Zivilgesellschaft ergriffen die Chance, mit dem Verteidigungsminister in den direkten Dialog zu treten. Moderiert von Prof. Dr. Carlo Masala, dem Direktor des Metis-Institutes für Strategie und Vorausschau, Ausrichter dieser Veranstaltung, ging es im Schwerpunkt um die Unterstützung der Ukraine und das Konzept der Gesamtverteidigung. Im Anschluss an das Gespräch mit Masala war das Publikum an der Reihe und stellte dem Minister Fragen.
Wo steht die Bundeswehr nach einem Jahr mit Pistorius im Amt als Verteidigungsminister in der Umsetzung der Zeitenwende, wollte Masala vom Minister zu Beginn der Veranstaltung wissen. Die Bundesregierung sei in dieser Frage geschlossen und habe sich deutlich positioniert, erklärte Pistorius. Es gebe klare Bekenntnisse zum Zwei-Prozent-Ziel der NATONorth Atlantic Treaty Organization, zu mehr Kooperation und internationaler Verantwortung. „Klarer geht’s eigentlich nicht“, so Pistorius.
Die Bundesregierung habe in den Umfragen zudem nach wie vor hohe Zustimmungswerte hinsichtlich der Unterstützung der Ukraine einer besseren Ausstattung der Bundeswehr. Mit der künftigen Brigade Litauen an der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke habe man ein starkes Signal an die Verbündeten in der Allianz gesendet. „Viele haben gezweifelt, dass wir es hinkriegen. Alle werden sehen, dass es dieses Jahr sichtbar wird mit den ersten Soldaten vor Ort“, kündigte Pistorius an.
Auch beim Thema Beschaffung seien erhebliche Fortschritte gemacht worden. Insgesamt 55 25-Millionen-Euro-Vorlagen habe man dem Parlament 2023 zur Genehmigung vorgelegt, so viele wie nie zuvor innerhalb eines Jahres. In 2024 werde man voraussichtlich in den dreistelligen Bereich kommen. Das sei zum einen Ausdruck für beschleunigte Beschaffung und schlankere Entscheidungsprozesse.
Zum anderen zeige es, dass das Sondervermögen investiert werde. Damit steige zwar das Risiko, dass Entscheidungen getroffen würden, die nicht immer Zustimmung fänden. Dass vielleicht ein teureres Produkt gekauft werde, weil es schneller verfügbar ist, nehme er aber in Kauf, denn: „Jetzt zählt Zeit. Jetzt zählt schnelle Beschaffung, schnelle Aufstockung der Bestände in allen Bereichen – und das hat Priorität.“
Mit Blick auf die russische Vollinvasion der Ukraine bekräftige der Verteidigungsminister zudem erneut, dass Deutschland der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine nach den Vereinigten Staaten sei. Deutschland leiste alleine mehr als doppelt so viel wie alle anderen europäischen Partner zusammen.
Die Luftverteidigung der Ukraine ruhe ganz wesentlich auf Lieferungen aus Deutschland, abgesehen von den zahlreichen Leopard-Kampfpanzern, Artilleriesystemen und -munition. „Vielleicht sollten wir in der Tat die Diskussion ab und zu mal wieder vom Kopf auf die Füße stellen und uns auch vergewissern: Ja, wir machen echt wahnsinnig viel“, plädierte Pistorius.
In einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren könnte Russland zu einem Angriff auf das NATONorth Atlantic Treaty Organization-Territorium fähig sein, heißt es aus Expertenkreisen. Wie real ist diese Bedrohung tatsächlich und was bedeutet das für Deutschland? Pistorius verwies dazu auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der zu diesem Thema stets sage, dass die Ukraine seit 2014 Zeit gehabt habe, sich darauf vorzubereiten, was im Februar 2022 geschehen ist. Pistorius machte deutlich: „Wenn wir einem Angriff etwas entgegensetzen wollen, ihn am besten durch Abschreckung verhindern wollen, dann müssen wir jetzt damit beginnen.“
Den Begriff Kriegstüchtigkeit habe er gezielt benutzt, um der Diskussion „eine Note Chili zu geben“, nicht um zu provozieren, erklärte der Minister und führte aus: „Alle reden immer von Verteidigungsfähigkeit, alle reden immer von Wehrhaftigkeit. Aber eigentlich meint es immer dasselbe, nämlich: Wir müssen in der Lage sein, einen Krieg führen zu können, also die Tauglichkeit, die Tüchtigkeit dafür zu besitzen, um ihn nicht führen zu müssen. Also: Prinzip Abschreckung.“ Er stehe mit dieser Haltung fest mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz: „Die Bundesrepublik stellt Streitkräfte zu ihrer Verteidigung auf – Punkt. Mehr nicht.“
Man müsse jetzt raus aus der Komfortzone der vergangenen 30 Jahre und sich darauf einstellen, dass es wieder eine Bedrohung gibt: „Jetzt ist sie wieder da. Und jetzt gibt es keine Alternative dazu, sich ihr zu stellen.“ Es gehe hierbei um die Kriegstüchtigkeit von Streitkräften, aber auch der Industrie und des Zivilschutzes. Dazu gehöre eine Gesellschaft, die das mittrage.
Wehrpflicht – ja oder nein? Die Diskussion wird auch in Deutschland geführt. Immer wieder kommt dabei das schwedische Modell zur Sprache. „Wie könnte das in Deutschland aussehen?“, fragte Carlo Masala den Minister. Die erste Frage, die man dafür beantworten müsse, sei die nach dem „Wofür?“ – dann könne man sich darüber unterhalten, welches Modell in Frage komme und in unseren Rechtsrahmen passe, so Pistorius.
Daraus würden weitere Fragen folgen: Was lassen unsere Kapazitäten und Strukturen zu? Wen holen wir? Wer muss, wer darf, wer nicht – und warum? Was ist mit Frauen? Die Wehrpflicht sei keine banale Debatte, keine Entscheidung, die man mal eben so treffe.
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