Die Nationale Rüstungskontrolltagung 2020 der Abteilung Politik ist am Montag in Berlin erstmalig mit einer Auftaktveranstaltung eröffnet worden. Sie stand unter dem Titel: „Sicherheitspolitik in der Krise – Neue Perspektiven für die Rüstungskontrolle?“
Dieser Auftakt führte in das zweitägige Symposium Referat Politik II 5 ein, an dem militärische und zivile Angehörige der Bundeswehr teilnehmen, die national und international Rüstungskontrollaufgaben wahrnehmen. Damit wird jedes Jahr eine Standortbestimmung vorgenommen, wo das Bundesministerium der Verteidigung (BMVgBundesministerium der Verteidigung) operativ in dem breiten Spektrum der Rüstungskontrolle steht. Die hochkarätige sicherheitspolitische Tagung soll informieren und Orientierung geben.
Der Referatsleiter Politik II 5, Ernst-Christoph Meier, erklärte in seiner Einführung, dieses Veranstaltungsformat sei ein Signal für den Dialog mit Fachinstituten und Think Tanks. Dieser Dialog solle intensiviert werden. Die Auftaktveranstaltung sei Ausdruck des Bewusstseins, dass die komplexen Herausforderungen auf dem Feld der Rüstungskontrolle einen Diskurs zwischen Regierung und externen Experten aus Denkfabriken des In- und Auslands erforderten, um voranzukommen.
In seiner Keynote sagte der Beauftragte des Politischen Direktors im BMVgBundesministerium der Verteidigung, Karl-Heinz Kamp, dass die diesjährige Nationale Rüstungskontrolltagung mit einer Auftaktveranstaltung verknüpft werde, sei auch Ausdruck der Relevanz, die das BMVgBundesministerium der Verteidigung Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung in schwierigen Zeiten der globalen Sicherheit zumesse.
Kamp betonte: Rüstungskontrolle könne und dürfe niemals Selbstzweck sein, sie müsse Teil „unserer Sicherheitspolitik sein“ – national und im Bündnisrahmen. Die Bedingungen für Rüstungskontrolle seien aktuell zweifellos schwieriger geworden. Das hänge mit den Verwerfungen der internationalen Sicherheit, aber auch mit neuen technologischen und militärischen Entwicklungen zusammen.
Passend zum Raum „Moskau“, in dem die Auftaktveranstaltung im Maritim Hotel Berlin stattfand, hob Kamp die Rolle Russlands hervor. Europa sehe sich einem außenpolitisch revisionistischen Russland gegenüber. Die Annexion der Krim und die Ukraine-Krise belasteten jede Normalisierung der Beziehungen mit dem Westen. Das russische Vertragsverhalten in der Rüstungskontrolle, so der Bruch des INFIntermediate Range Nuclear Forces-Vertrags bis hin zur Implementierung des Vertrags über den Offenen Himmel, fördere nicht das Vertrauen zu Moskau.
Der Vertrag über den Offenen Himmel als rechtsverbindliches Instrument der Vertrauensbildung im OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa-Raum sei unter Druck geraten. Auch, weil die US-Administration eine umfassende Überprüfung mit der Möglichkeit eines Ausstiegs eingeleitet habe. Deutschland habe hohes Interesse am Erhalt des Vertrags. Die Bundeswehr bekam 2019 einen Airbus A319 CJ übergeben, mit dem ab 2021 reguläre Flüge im Rahmen des OHOffener Himmel-Vertrags durchgeführt werden können.
Rüstungskontrolle sei politisch federführend zumeist in den Außenministerien der Staaten beheimatet, so auch in Deutschland. Aber Rüstungskontrolle sei ohne die Verteidigungsressorts, in Deutschland das BMVgBundesministerium der Verteidigung, nicht denkbar, gehe es doch um die Streitkräfte des Landes. Daher sei engste Zusammenarbeit geboten, um die militärischen Interessen zu berücksichtigen und in den politischen Prozess einzubringen. Dies gelte gerade dann, wenn es darum gehe, die Auswirkungen neuer Technologien für die Streitkräfte zu bewerten.
Der vernetzte Ansatz sei und bleibe Richtschnur deutschen Regierungshandelns. In diesem Kontext sei die von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer Münchner Grundsatzrede aufgenommene und langfristig orientierte Idee eines Nationalen Sicherheitsrats zu sehen. Gerade in Bezug auf eine engere Ressortzusammenarbeit habe die Bundesregierung in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Was jedoch fehle, sei ein Format der Koordinierung und Vernetzung zu strategischen Grundlinien auf der Spitzenebene, auch als Forum der Entscheidungsfindung. Daher sei der Bundessicherheitsrat ein sehr guter Ausgangspunkt für weitere Überlegungen.
Im Rückgriff auf das Weißbuch der Bundesregierung 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr sagte Kamp, erfolgreich vereinbarte Rüstungskontrolle bedeute letztlich immer mehr Sicherheit und Stabilität. Das BMVgBundesministerium der Verteidigung und die Bundeswehr spielten dabei eine wesentliche Rolle, indem sie unverzichtbare militärische Expertise zur Verfügung stellten – bei der Implementierung und Verifikation. Weiter gestalten BMVgBundesministerium der Verteidigung und Bundeswehr die Rüstungskontrolle konzeptionell mit, dies unter Wahrung der verteidigungspolitischen Interessen Deutschlands, so Kamp.
Bei dem Panel unter der Fragestellung „Neue Ansätze für die Rüstungskontrolle?“ befasste sich Sibylle Bauer vom Stockholm International Peace Research Institute (SIPRIStockholm International Peace Research Institute) mit dem Aspekt „Ganzheitliche Rüstungskontrolle“. Sie sagte, in einer sich sicherheitspolitisch rasant verändernden Welt würden neue Instrumente der Rüstungskontrolle gebraucht. Daher forderte sie im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes mehr Interaktion zwischen den Akteuren und Ressorts. Dabei sollten – bei allen Meinungsverschiedenheiten der Kontrahenten – ihre häufig doch vorhandenen gemeinsamen Interessen stärker beachtet werden. So etwa, kostspielige Rüstungswettläufe zu vermeiden, in Zeiten, in denen Waffensysteme immer teurer würden. Auch gelte es, gemeinsame Zeitfenster für Entscheidungen zu nutzen. Eine zeitgemäße, ganzheitlich orientierte Rüstungskontrolle benötige mehr Expertise, mehr Kreativität und mehr strategische Empathie. Zu wissen, wie der Kontrahent denke, könne der Schlüssel zum Erfolg sein, so Bauer.
Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) erörterte beim Thema „Neue nukleare Rüstungskontrolle“ mögliche neue Ansätze in diesem Feld. So etwa zu einer „Rüstungskontrolle Light“. Das bedeute, dem langwierig ausgehandelten Vertrag in gewissen Situationen durchaus mal die weitaus schneller getroffene Vereinbarung vorzuziehen. Deutschlands Rolle könne die eines Laboratoriums für neue Ansätze in der Rüstungskontrolle sein, sagte Kühn. Deutschland könne darüber hinaus Brückenbauer zwischen den Mächten sein. Es gelte, die Rüstungskontrolle als strategisches Instrument wiederzuentdecken.
Oberst a.D.außer Dienst Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWPStiftung Wissenschaft und Politik) konstatierte zum Themenfeld „Konventionelle Rüstungskontrolle“, diese erodiere spätestens seit 2001. So entspreche beispielsweise der KSEKonventionelle Streitkräfte in Europa-Vertrag heutigen Anforderungen und Bedrohungsperzeptionen nicht mehr. Auch das Wiener Dokument komme mit seinem eingeschränkten Melderahmen bei militärischen Übungen den heutigen Anforderungen nicht mehr nach. Um die militärische Komplexität von Übungen zu erfassen, müsse daher das Wiener Dokument erweitert werden. Richter trat grundsätzlich dafür ein, dass militärische Fähigkeiten einem Transparenzregime unterworfen werden sollten. Das sei ein echter Beitrag zu mehr konventionellerer Rüstungskontrolle. Um ihren Zustand der Erosion zu überwinden, seien politische Blockaden zu überwinden. Hierbei komme den USA nach wie vor eine entscheidende Bedeutung zu.
Niklas Schörnig von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) führte zum Aspekt „Neue Technologien und Rüstungskontrolle“ aus, die rasanten Entwicklungen auf diesem Gebiet erforderten, dass der Rüstungskontroll-Diskurs wieder sicherheitspolitischer und interessenbasierter werde. Rüstungskontrolldebatten müsste sich wieder mehr am Möglichen orientieren. Es gelte, Rüstungskontrolle von immer komplexeren Systemen nicht mit Erwartungen zu überfrachten und damit die Prozesse zu blockieren. Weiter gelte es, sich bei der Rüstungskontrolle Zeit für faktenbasierte Entscheidungen zu nehmen, Rüstungskontrolle müsse entschleunigt werden. Ziel von Rüstungskontrolle müsse Stabilität sein.
Die Redebeiträge dieser Auftaktveranstaltung zur Nationalen Rüstungskontrolltagung 2020 wurden abschließend in einer differenzierten und facettenreichen Diskussion mit dem Publikum vertieft.
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