Die Bundeswehr wächst wieder: Sie verfügt über so viel Geld, Personal und einsatzfähiges Material wie seit Jahren nicht. Auch an Qualität hat die Bundeswehr zugelegt. Digitalisierung wird langsam Standard, und neues Gerät wie das Transportflugzeug A400M strotzt bereits vor Spitzentechnologie. Das sind erste Schritte einer Modernisierung, die noch Jahre dauern wird. Schlagzeilen malen auch ein anderes Bild. Die Ausfälle der Flugbereitschaft und die Gorch Fock signalisieren, dass einiges im Argen liegt. Ein Eindruck, den manche in der Truppe teilen.
Wie passen diese Bilder zusammen? Sie zeigen zwei Seiten derselben Wahrheit. Die Bundeswehr trägt die Spuren von 25 Jahren des Sparens und Schrumpfens. Zugleich meistert sie Aufgaben, die vielfältiger und fordernder sind denn je. Nie zuvor hat sie zeitgleich Landes- und Bündnisverteidigung sowie Einsätze auf drei Kontinenten und zwei Weltmeeren schultern müssen. Damit sie das leisten kann, wird im laufenden Betrieb repariert, erweitert und modernisiert. Dabei geht nicht alles glatt, und gelegentlich knirscht es erheblich.
Klar, 70 Prozent Einsatzbereitschaft sind noch nicht gut genug. Aber ich habe Achtung vor dem Erreichten, weil ich weiß, welcher Kraftakt dahintersteckt.Ursula von der Leyen
Als ich im Dezember 2013 ins Amt kam, war die Lage noch eine andere. Damals war die Krim noch freier Teil der Ukraine, der „Islamische Staat“ hatte noch kein Kalifat errichtet und die Destabilisierung Afrikas und des Nahen Ostens hatte noch nicht zu Folgen geführt, wie wir sie mit der Flüchtlingskrise zu spüren bekamen. Deutschland fühlte sich noch als Teil einer Welt, mit der man zuverlässig Handel treiben konnte, von deren Krisen und Konflikten man aber weitgehend unberührt blieb – und für deren Stabilität man vergleichsweise wenig eigene Beiträge erbringen musste. Vor dem Hintergrund ist zumindest nachvollziehbar, dass die deutsche Verteidigungspolitik lange Jahre vom Verzehr der Friedensdividende bestimmt war. Das Budget sank kontinuierlich. Die Truppe wurde darauf ausgerichtet, die Anforderungen der Auslandseinsätze zu stemmen, während der Grundbetrieb auf ein Minimum zurückgefahren wurde.
Die ständige Verwaltung des Mangels hat eine ganze Generation von Soldatinnen und Soldaten und ihren Blick auf den Beruf geprägt. Daher habe ich Verständnis für die in der Truppe verbreitete Skepsis gegenüber den Trendwenden. Es stimmt ja: Noch ist es Alltag, dass unser altes Material unter ungekannten Belastungen ächzt. Der Transporthubschrauber CH-53 zum Beispiel wurde 1972 beschafft und hatte schon Anfang der 2000er Jahre das Ende seiner planmäßigen Lebensdauer erreicht. Aber er dient bis heute als wichtigstes Lasttier der Bundeswehr im Einsatz. Die Truppe braucht einen neuen schweren Transporthubschrauber, und vom Beschluss über Ausschreibung und Ausbildung bis zur Einsatzbereitschaft vergehen Jahre.
Erst als die Krisen der Welt näher an uns heranrückten, haben wir umgesteuert. Die Grundlage für diese Trendwenden ist der Verteidigungshaushalt. Von 2014 bis heute ist er sechsmal in Folge gestiegen. Nach NATONorth Atlantic Treaty Organization-Kriterien insgesamt um 40 Prozent, auf derzeit geplant 45 Milliarden Euro für 2020. Diese Erhöhung hat nicht nur die Bundeswehr gestärkt, sondern ist auch ein wichtiges Signal an unsere Verbündeten. Die Bundesregierung hat versprochen, die deutschen Verteidigungsausgaben bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Die weitere Finanzplanung bildet den notwendigen Weg noch nicht ab. Wir werden in den nächsten Jahren erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um uns glaubhaft auf die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Vereinbarung von 2 Prozent zuzubewegen.
Richtig, es kommt nicht nur auf das Geld an, sondern auf konkrete Beiträge. Deutschland übernimmt als zweitgrößter Truppensteller auf vielfältige Weise militärische Verantwortung in der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Trotzdem müssen wir ebenso verlässlich in militärische Fähigkeiten investieren wie die anderen 28 Bündnispartner. Wer den Multilateralismus schon im Grundgesetz führt, kann nicht anderen die Schwerstarbeit überlassen.
Diese Investitionen dienen auch einem Europa, das schützt. Wir haben 2017 die Europäische Verteidigungsunion aus der Taufe gehoben. Erstmals schaffen wir in der EUEuropäische Union über den Europäischen Verteidigungsfonds finanzielle Anreize für gemeinsame Investitionen. Zum Beispiel in die Eurodrohne, das Kampfflugzeug der Zukunft und in den Panzer der nächsten Generation, die wir jetzt mit Frankreich entwickeln. Das sind entscheidende Schritte auf dem Weg zur Armee der Europäer.
Um diese Investitionen sinnvoll umzusetzen, modernisieren wir unser Rüstungswesen. Dabei gibt es auch bittere Rückfälle in alte Zeiten, wie bei der Gorch Fock. Aber vieles ist schon besser geworden. Als ich ins Amt kam, gab es im Lufttransport nur die Transall. Die hat mein Baujahr. Daher weiß ich, dass man auch bei bester Pflege die Jahre nicht verhehlen kann. Inzwischen hat sich der neue A400M auch durch verbessertes Risikomanagement vom Pannenflieger zum Vorzeigeobjekt entwickelt. Jede Woche fliegt er nach Mali, Jordanien oder Afghanistan; 26 dieser Flugzeuge tun inzwischen in der Bundeswehr Dienst.
Allein im Jahr 2018 hat die Bundeswehr 13 Transporthubschrauber, 10 Eurofighter und mehr als 100 Panzer erhalten, darunter 72 Schützenpanzer Puma. In dieser Legislaturperiode erwarten wir unter anderem über 200 weitere Panzer, 14 Marinehubschrauber vom Typ Sea Lion, die ersten Fregatten des neuen Typs F125 und jede Menge Ausstattung für unsere Soldatinnen und Soldaten, darunter die langen geforderten Kampfstiefel für alle Klimazonen. Das sind Erfolgsgeschichten, die meist unter dem Radar laufen. Aber es ist so. Die Bundeswehr erhält nun im Schnitt jede Woche einen neuen Panzer, jeden Monat ein neues Flugzeug oder einen neuen Hubschrauber und jedes Jahr ein neues Schiff.
Über alle Aspekte unterrichten wir das Parlament in nie dagewesener Offenheit – auch wenn die Abgeordneten manche Berichte in der Geheimschutzstelle studieren müssen. Transparenz üben wir gerne gegenüber dem Bundestag, nicht gegenüber China und Russland. Und wer sich darüber mokiert, dass Tieflader und Feldlazarette in unsere Einsatzbereitschaftslage eingerechnet werden, dem sei gesagt: Ohne Logistik und medizinische Versorgung gibt es keinen Einsatz.
Klar, 70 Prozent Einsatzbereitschaft sind noch nicht gut genug. Aber ich habe Achtung vor dem Erreichten, weil ich weiß, welcher Kraftakt dahintersteckt. Das Material wird heute ganz anders gefordert als vor fünf Jahren. Allein bei Trident Juncture, der großen Übung zur Landes- und Bündnisverteidigung in Norwegen vergangenes Jahr, war die Bundeswehr mit 10.000 Soldatinnen und Soldaten und 2.500 Fahrzeugen dabei – gut zehnmal so viele, wie heute in Afghanistan im Einsatz sind.
Dass wir so detailliert über diese Themen diskutieren können, liegt an der Digitalisierung, die für mich das Top-Thema überhaupt ist. Als ich mein Amt antrat, konnte mir niemand sagen, über wie viele einsatzbereite Panzer die Bundeswehr verfügte. Denn alle Unterlagen wurden dezentral auf Papier geführt, Bestände händisch gezählt. Deswegen haben wir die Digitale Einsatzbereitschaftslage eingeführt. Sie verschafft uns tagesaktuell den Überblick. Dadurch entsteht Veränderungsdruck, der manchmal schmerzhaft ist. Aber nur so werden wir besser.
Diesen Digitalisierungsschub haben wir nicht allein geschafft, und wir werden auch in Zukunft nicht alle Innovationssprünge alleine schaffen. Wir brauchen dazu wie jede andere Organisation oder Behörde externe Beratung und Unterstützung. Das Problem war nicht dass, sondern wie wir diese externe Hilfe in Anspruch genommen haben. Es gab zu laxen Umgang mit Vergaberecht. Die Kritik nehme ich an.
Bei dieser Debatte geht es aber um mehr: Die Bundeswehr ist nicht nur eine sehr große und komplexe Organisation. Sie steht auch wegen der Sicherheitslage unter einem besonders hohen Modernisierungsdruck. Natürlich bilden wir in unseren neuen Cyber-Studiengängen und an unseren ITInformationstechnik-Fachschulen eigenes Personal aus. Natürlich schulen wir unsere Soldaten und Mitarbeiter. Aber das dauert Jahre, und parallel steigen exponentiell die Cybergefahren. Wir müssen jetzt die Netze härten, jetzt in Kryptotechnik und abhörsichere Kommunikationssysteme investieren, jetzt die Chancen Künstlicher Intelligenz für die Risikoanalyse in den Einsatzgebieten nutzen. Da geht es handfest um die Sicherheit der Truppe und um die Frage, wie Deutschlands Militär in der Digitalisierung Schritt halten kann mit Gegnern und Partnern.
Die Bundeswehr ist im Aufbruch zu einer größeren, effizienteren und moderneren Organisation. Wie auf allen Baustellen solcher Größe geht das nicht ohne Fehler, Rückschläge und Wachstumsschmerzen. Aber die Richtung stimmt. Für die Truppe bedeutet diese Modernisierung eine gewaltige Anstrengung. Dazu braucht sie die Unterstützung durch Politik und Gesellschaft – und Fairness in der Debatte.
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