Ein Jahr ist der Abzug aus Afghanistan her. Damit endete eine prägende Ära für die gesamte Bundeswehr. 20 Jahre, die die Truppe veränderten – und nicht vergessen werden dürfen. Bei den „Gesprächen am Ehrenmal“ tauschten sich Frauen und Männer aus Militär, Militärseelsorge, Journalismus und Psychologie darüber aus, was nach dem Afghanistaneinsatz bleibt.
Erinnerungskultur, vor allem das Selbst- und Traditionsverständnis der Bundeswehr standen im Fokus der Veranstaltung. Und das an einem Ort, wie er passender nicht sein könnte: dem Ehrenmal der Bundeswehr. Ein Ort des Gedenkens und der Trauer. Aber nicht nur die Erinnerung, sondern vor allem auch die Forderung nach einer offenen Kommunikation sowie die Würdigung des Dienstes der Soldatinnen und Soldaten wurden von den Rednern und der Rednerin herausgestellt. Das ist es, was auch trotz der eher erschreckenden Bilder der militärischen Evakuierungsoperation im Gedächtnis bleiben sollte.
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„Die Soldatinnen und Soldaten haben ihren Auftrag ehrenhaft und gewissenhaft erfüllt“, betonte Generalleutnant a. D. Rainer Glatz. Er führte von 2006 bis 2013 das Einsatzführungskommando und somit auch den Einsatz am Hindukusch. In der Diskussionsrunde beleuchtete er den Einsatz mit Blick auf die strategische und operative Ebene. Dazu gehören die Faktoren Kräfte, Raum, Zeit und Information. Besonderes Augenmerk legte er auf die strategische Kommunikation. Es müsse „von Anfang an auch umfassend und ehrlich über die bestehenden Gefahren“ informiert werden.
Glatz sensibilisierte zudem dafür, dass es „bei einem derart geplanten Einsatz nie um einen rein militärischen Sieg geht, den es auch gar nicht geben kann, da nur 20 bis 30 Prozent in einem solchen Einsatz militärische Aufgaben sind“. Der Rest sei von zivilen Ressorts zu leisten, denen das Militär einige Zeit für Lösungen verschafft.
Auch Stabsfeldwebel Markus Götz warb für eine offene Kommunikation. Bei zukünftigen Einsätzen der Bundeswehr müsse den Soldatinnen und Soldaten, den Entscheidungsträgern im Parlament und den Bürgerinnen und Bürgern das Wozu erklärt werden. „Und das in einfachen Worten.“
Darüber hinaus müsse mit Blick auf Afghanistan auch daran erinnert werden, was die Bundeswehr Gutes geleistet habe. „Wir haben bestimmt nicht alles richtig gemacht; aber wir haben Vieles bewirkt.“ Die Soldatinnen und Soldaten könnten „Stolz auf das Geleistete und hoffentlich Anerkennung der Gesellschaft dafür“ aus dem Einsatz mitnehmen, so Glatz ergänzend.
Aus den 20 Jahren am Hindukusch ergebe sich auch ein „wichtiger Erfahrungsschatz“. Dazu gehöre auch „Erfahrung vom Kampf und vom Krieg“, so Historiker Dr. Christian Hartmann. Er leitet den Forschungsbereich Einsatz im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr). Er wertet den Einsatz „trotz aller damit verbundenen Probleme“ als Erfolg und nannte das Wachstum der afghanischen Bevölkerung als Beispiel dafür. Von knapp 21 Millionen Menschen im Jahr 2000 wuchs die Bevölkerung auf mehr als 27 Millionen an. Das liege nicht nur an den Geburten, sondern auch daran, dass Menschen aus dem Exil zurückkehren konnten.
Die Bundeswehr sei zudem professioneller geworden. Auch wenn dahinter ein „mühseliger, schmerzhafter und immer wieder auch blutiger Lernprozess“ gestanden habe. Erstmals habe die Bundeswehr in Afghanistan zu Lande sowie im Krieg kämpfen müssen.
„Wo stünden wir jetzt ohne diese Erfahrungen?“ Diese militärischen Erfahrungen seien ein kostbarer Schatz, besonders, weil der Gegner irregulär gekämpft und sich nicht an das Völkerrecht gehalten habe. Das gehöre zu den schwierigsten Herausforderungen für die Soldatinnen und Soldaten. „Dennoch haben sich die Soldatinnen und Soldaten von dieser gesetzlosen Gewalt weder provozieren noch radikalisieren lassen“, hob Hartmann hervor.
Truppenpsychologin Susanne Bruns unterstützte das und sagte: „Ich bin froh, dass die Bundeswehr in den 20 Jahren ihren Werten treu geblieben ist, für Menschenrechte, Frieden und Freiheit eingetreten ist.“ Der Afghanistaneinsatz habe auch Entwicklungen in der psychologischen Betreuung der Soldatinnen und Soldaten mit sich gebracht. Von zehn hauptamtlichen Truppenpsychologen im Jahr 2010 sei die Anzahl mittlerweile auf 90 angewachsen.
In der Bevölkerung würden meistens die Soldatinnen und Soldaten wahrgenommen, die eine Einsatzschädigung wie PTBS erleiden. Der andere Teil werde dabei häufig vergessen. „Die Masse ist aber eigentlich auch gestärkt aus dem Einsatz gekommen. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass sie viel Positives bewirken konnten, dass sie ihren Job gut gemacht haben, dass sie einen tollen Zusammenhalt, eine tolle Kameradschaft im Einsatz hatten. Das ist eigentlich überhaupt nicht gewürdigt worden von der Gesellschaft, die Tapferkeit, die dort gezeigt worden ist.“
„Stolz auf das Geleistete und hoffentlich die Anerkennung der Gesellschaft“, wünscht sich General a. D. Glatz im Rückblick auf das Geleistete. Der Einsatz dürfe nicht vergessen werden – ebenso wenig die Gefallenen und Verstorbenen, meinte Stabsfeldwebel Götz. Über die Kultur des Gedenkens und seine Erfahrungen damit in und nach Afghanistan sprach Militärdekan Dr. Michael Rohde. In seinem ersten Einsatz 2010/11 fielen und verstarben acht Soldaten verschiedener Länder. „Wir haben über die Nationalitätsgrenzen hinweg zusammengefunden, um als Gemeinschaft Abschied zu nehmen.“
Seitens der Redner und der Rednerin wurde in diesem Kontext die Gedenkkultur gelobt, die sich in den vergangenen Jahren in der Bundeswehr entwickelt hat. Dazu gehören neben dem Ehrenmal in Berlin auch der „Wald der Erinnerung“ in Potsdam-Schwielowsee, aber auch Gedenkstätten in den Kasernen bundesweit. Ein Ort zum Trauern und Gedenken sei für die Angehörigen sowie Kameradinnen und Kameraden eben wichtig.
Im Zusammenhang mit den Gefallenen und Gestorbenen habe aber auch immer die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Ganzen gestanden, so Rohde. Und der Wunsch nach einer klareren Begründung seitens der Politik. Das wünscht sich auch Journalist Hans-Ulrich Gack, der viele Jahre am Hindukusch verbracht hat. Die politischen Erklärer sollten „wirklich Butter bei die Fische tun und nicht von Brunnenbohren und Brückenbauen reden, sondern tatsächlich erklären, was ist“. Es solle benannt werden, worum es gehe und man sollte dann auch bekennen: „Es ist eine schwierige Situation, es ist eine schwierige Zeit, es wird Opfer geben. Und das auch als solches benennen.“
Auch die Innere Führung spielt bei der Betrachtung des Afghanistaneinsatzes eine wichtige Rolle. Hat sich die Führungsphilosophie der Bundeswehr bewährt? Diese Frage beantwortet Generalleutnant Kai Rohrschneider (BMVgBundesministerium der Verteidigung) mit Ja. Er ist Abteilungsleiter Führung Streitkräfte im Ministerium und somit auch zuständig für das Thema Innere Führung.
Dass die Innere Führung sich bewährt habe, dafür spreche, dass Soldatinnen und Soldaten, die vor Ort waren, den Sinn des Einsatzes hinterfragten und für sich eine Antwort darauf fänden. Und es sei gut, dass jetzt mehr Verständnis für die Rolle der Politik bei einem Einsatz herrsche. „Die Soldatinnen und Soldaten führen den Auftrag loyal aus, können ihn aber nicht beeinflussen. Diese Differenzierung hat der Bundeswehr gutgetan.“
Den Frauen und Männern müsse bewusst gemacht werden, dass sie „in einem politisch gesetzten Rahmen, den sie selbst nicht beeinflusst haben, einen Auftrag erfüllt haben“, und zwar „ehrenhaft und gewissenhaft, nach besten Kräften und bestem Gewissen“. Dass sie bei diesem Auftrag auch Erfolge erzielt hätten, dürfe nicht kleingeredet werden.
Zum Audio: Die Gäste sind Stabsfeldwebel Markus Götz (ab Minute 12:58), Generalleutnant a. D. Rainer Glatz (26:17), Historiker Dr. Christian Hartmann (54:30), Journalist Uli Gack (1:09:30), Militärdekan Dr. Michael Rohde (1:16:35), Generalleutnant Kai Rohrschneider (1:23:13) und Psychologin Susanne Bruns (1:33:50).
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