Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, Professor an der Berliner Humboldt-Universität, hat den dritten Workshop des Bundesministeriums der Verteidigung zur Überarbeitung des Traditionserlasses am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam als „ausgesprochen produktiv“ bezeichnet. Das sagte Münkler im Interview mit der Redaktion der Bundeswehr.
Ich kann das nur bezüglich des heutigen Workshops beantworten; den jedenfalls fand ich ausgesprochen produktiv. Die Gegenüberstellung eines wesentlich historischen und eines stärker politisch-ethischen Ansatzes hat unterschiedliche Blickwinkel auf die Traditionsfähigkeit der diversen Etappen deutscher Militär- und Kriegsgeschichte sehr gut herausgearbeitet. Also: behandelt man ganze Epochen, insbesondere die Zeit zwischen 1939 und 1945, insgesamt als nicht traditionsfähig oder konzentriert man sich unabhängig davon auf Einzelpersonen? Aber wenn man sich auf Einzelpersonen einlässt – nach welchen Kriterien? Rein militärische Leistung, da kommt dann wieder die Kriegführung der Wehrmacht dazwischen, genügt dann nicht, sondern es geht um Ethos und Haltung und daraus getroffene mutige Entscheidungen. Das ist in anderen Epochen sicherlich anders.
Dass es sehr viel leichter ist, aus fachwissenschaftlicher Perspektive Fragen produktiver und unzulässiger Traditionen zu diskutieren und seine Überlegungen in einem klugen Vortrag zu fassen als daraus dann einen Traditionserlass zu machen, der die Pflege von Tradition regelt, also das kollektive Gedächtnis einer Organisation, hier der Bundeswehr, prägt.
„Wildwuchs“ steht für eine ungepflegte Erinnerung, eine Erinnerung, in die jeder einspeist, was er will und was ihm gerade einmal einfällt. Das ist wie das Durcheinanderreden beim Familientreffen, wo sich Gruppen bilden, die ihre je eigenen Erinnerungen pflegen.
Dort ist das okay, weil die Gekommenen schon bald wieder auseinandergehen. Bei einer Organisation, die etwas leisten soll, die handlungsfähig sein soll, genügt das nicht. Hier muss Erinnerung gepflegt werden – im Hinblick auf die Nachbarstaaten, auf die Gesellschaft und auf den Organisationszweck.
Verbrechen können nicht traditionsfähig sein, wenn dabei nicht eine Organisation des Verbrechens herauskommen soll. Das ist das Problem des Zweiten Weltkriegs und der Rolle von Wehrmacht und Waffen–SS darin. Was bleibt? – Vor 1919 gab es kein deutsches Heer. Also muss man auf preußische, bayerische, sächsische oder württembergische Traditionen zurückgreifen. Scharnhorst, Gneisenau und Clausewitz bieten sich an – aber das hat für das heutige Deutschland eine sehr nordostdeutsche Schlagseite. Also bleibt eigentlich nur traditionspolitische Selbstreferentialität der Bundeswehr – aber dafür muss sie auch Heldengeschichten erzählen. Wer erzählt wovon? Was erzählt er? Die Tradition, die tradiert werden soll, muss also noch geschaffen werden.
Keine großen. Traditionen sind wichtig für die Organisation selbst. Sie müssen von deren Umfeld, hier sogar dem Patron, akzeptiert werden können. Das ist wohl der Kern des Problems.
Hier gilt die Antwort auf die vorangegangene Frage in verstärktem Maße.
Inhalte teilen via