Die Bundeswehr hat durch ihre Einsätze und einsatzgleichen Verpflichtungen für die Münchner Sicherheitskonferenz eine immer größere Bedeutung erlangt. Das hat der scheidende Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Botschafter Wolfgang Ischinger, im Interview mit der Redaktion der Bundeswehr betont. Ischinger dankte dem BMVgBundesministerium der Verteidigung für die Unterstützung der Konferenz.
Jörg Fleischer: Die Münchner Sicherheitskonferenz 2022 wird Ihre letzte in der Rolle des Vorsitzenden und Konferenzleiters sein. Mit welchen Gedanken übergeben Sie nach weit mehr als zehn Jahren an der Spitze der MSCMunich Security Conference den Stab an Ihren Nachfolger Christoph Heusgen?
Wolfgang Ischinger: Ich schaue zurück auf diese lange Zeit mit einem Gefühl großer Freude. Ich hätte mir nicht vorstellen können, als ich vor 14 Jahren im Februar 2008 die Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz von Horst Teltschik übernehmen durfte, dass sich über den Zeitraum von fast einer Dekade das entwickeln würde, was wir heute haben.
Was ist anders geworden?
Damals bestand die MSCMunich Security Conference aus einem Konferenzwochenende, das am Freitagabend begann und am Sonntagmorgen zu Ende war. Der Teilnehmerkreis war beschränkt. Es war eine auf klassische Themen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik beschränkte Veranstaltung. Und das war’s. Das Budget belief sich auf eine knappe halbe Million im Jahr, übrigens im Wesentlichen finanziert aus dem Etat des Bundesministeriums der Verteidigung. Danke dafür noch mal!
Heute beläuft sich unser Jahresetat auf über zehn Millionen Euro. Und der Beitrag des Bundesministeriums der Verteidigung ist sogar etwas gestiegen. Dazu gekommen sind internationale Sponsoren, große Firmen und Stiftungen.
Hat sich die MSCMunich Security Conference auch inhaltlich-thematisch weiterentwickelt?
Die MSCMunich Security Conference führt mittlerweile Aktivitäten in der ganzen Welt durch. In Japan, in China genauso wie in USA oder in anderen Ländern. Das Konferenzprogramm ist enorm gewachsen. Es hat sich thematisch massiv ausgeweitet. Wir reden mittlerweile auch über Energie-, Klima- und Gesundheitssicherheit neben den klassischen Themen der militärischen und politischen Sicherheit. Die Konferenz hat sich also um das Zwanzigfache vergrößert. Sowohl, was die Teilnehmerzahl angeht, als auch, was die finanzielle Basis angeht.
Darauf bin ich stolz! Ich bin stolz auf mein sehr junges Team und auf die vielen Partner und Sponsoren, die wir im Laufe der Jahre dazugewinnen konnten. Ich bin sehr zufrieden und freue mich, dass ich ein derart gewachsenes Werk nun in die Hände von Christoph Heusgen übergeben kann.
Sie bleiben der MSCMunich Security Conference aber erhalten?
Ja, ich bleibe der MSCMunich Security Conference verbunden und werde sie weiter unterstützen. Ich werde dem Team von Christoph Heusgen zur Seite stehen, wenn man mich braucht. Die MSCMunich Security Conference gehört der von mir gegründeten Stiftung und ich werde den Vorsitz im Stiftungsrat behalten. Ich bin sicher, dass die Konferenz weiter wachsen wird, denn der Bedarf an sicherheitspolitischen, informellen Begegnungen steigt massiv.
Können Sie uns schon das Motto der MSCMunich Security Conference 2022 sagen, welchen Schwerpunkt sie hat und in welcher Form sie stattfinden wird?
Wir sind hoffnungsvoll, dass wir zwar eine zahlenmäßig massiv reduzierte, aber physische Konferenz in München durchführen können. Die Nachfrage ist riesengroß. Wir werden natürlich die Themen der europäischen Sicherheitsordnung, das Thema Russland, das Thema Ukraine, als roten Faden in dieser Konferenz behandeln. In diesem Kontext wird sich das Motto um die zentrale Frage drehen: Wie können wir das Gefühl kollektiver Hilflosigkeit und Gestaltungsunfähigkeit in weiten Teilen unserer heutigen Welt überwinden?
Welche Impulse hat die Bundeswehr – direkt oder indirekt – auf die MSCMunich Security Conference gegeben und umgekehrt, welche Impulse gingen von der MSCMunich Security Conference auf die Bundeswehr aus?
Bei dieser Frage möchte ich zunächst einen Rückgriff machen. Ich erinnere mich, als ich das erste Mal als Teilnehmer bei der Münchner Sicherheitskonferenz eingeladen war. Damals war ich Chef des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre. Ich war in die Verhandlungen rund um den Konflikt auf dem Balkan, in das Dayton-Abkommen, direkt involviert.
Ich habe erlebt, dass die Frage nach dem Einsatz der Bundeswehr damals eine Frage mit einem Riesenfragezeichen war. Die damalige Bundesregierung hat lange gezögert und hatte dafür auch Gründe, die Bundeswehr, egal in welcher Funktion, in das frühere Jugoslawien zu entsenden. Es bedurfte erster tastender Schritte.
Ich erinnere mich genau an lange Diskussionen mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher Mitte der 1990er-Jahre, bis wir dann endlich ein erstes Kontingent der Bundeswehr nach Kroatien entsenden konnten.
Wie hat sich die Entwicklung dann fortgesetzt?
Wenn ich jetzt den Bogen schlage bis hin in die Gegenwart, also nach 20 Jahren Afghanistan-Einsatz und zu den laufenden Missionen der Bundeswehr in Mali, dann ist das eine riesige Entwicklung. Die Bundeswehr hat deshalb in der MSCMunich Security Conference, bei den informellen Beratungen dort, natürlich eine immer wichtigere operative Rolle gespielt.
Ich bin der Bundeswehr-Führung, den verschiedenen Generalinspekteuren, angefangen damals mit Persönlichkeiten wie General Klaus Naumann, bis hin zu den heutigen Chefs der Streitkräfte, dem Generalinspekteur, und natürlich der politischen Führung des Bundesministeriums der Verteidigung dankbar, dass wir eine so enge Zusammenarbeit und Abstimmung haben.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Wir machen neuerdings am Vorabend der MSCMunich Security Conference eine gemeinsam mit dem Bundesministerium der Verteidigung und der Bundeswehr organisierte „Innovation-Night“. Wir diskutieren dabei beispielsweise über technologische Entwicklungen, die für militärische und sicherheitspolitische Fragen zunehmend Relevanz haben. Eine sehr gute und immer intensiver gewordene Zusammenarbeit!
Wenn Sie aus der Perspektive des erfahrenen Konferenzleiters und langjährigen Diplomaten auf die Bundeswehr blicken, welche Veränderungen und Entwicklungen der Streitkräfte würden Sie für die wichtigsten halten?
Ich erinnere mich noch gut an einen viel diskutierten Satz innerhalb des Bündnisses vor einer Reihe von Jahren: „Out of area or out of business.“ Der Zweck der Landesverteidigung, ursprünglich die eigentliche Aufgabe der Bundeswehr, trat seit der Wiedervereinigung mehr und mehr in den Hintergrund. Hingegen rückte das Engagement der Bundeswehr angesichts weltweiter Krisen außerhalb Europas zunehmend in den Vordergrund.
Diese Aufgaben der Krisenbewältigung sind auch jetzt keineswegs verschwunden. Wir stellen unterdessen aber fest, dass die klassischen Aufgaben von Verteidigung und Abschreckung wieder stärker in den Vordergrund gerückt sind.
Die Bundeswehr hat sich, aus strategisch-politischen Gründen, diesen sich wandelnden Aufgaben gut gestellt. Ich freue mich außerordentlich darüber, dass inzwischen auch im Hinblick auf das Budget ein Prozess begonnen hat, bereits 2014/2015 und in den folgenden Jahren, der es der Bundeswehr ermöglicht, sich wieder so auszustatten, dass sie ihre Aufgaben voll umfänglich erfüllen kann. Das ist eine aus meiner Sicht erfreuliche Entwicklung, die der ganzen Allianz zu Gute kommt.
Die NATONorth Atlantic Treaty Organization, die transatlantische Partnerschaft, ist gerade in diesen Wochen und Monaten extrem gefordert. Worauf kommt es aus Ihrer Sicht jetzt an?
Ich möchte an die bewährte Harmel-Strategie aus Dialog und Abschreckung hinweisen. Orientiert daran ist es in diesen Zeiten unbestreitbar richtig und eine zentrale politische Aufgabe, den Dialog mit der russischen Führung zu pflegen.
In dieser Lage aber, die gegenwärtig herrscht, bedarf es aber auch des, wie wir wissen, anderen Teiles der Harmel-Strategie, die wir seit den 60er- und 70er-Jahren verfolgen, nämlich der Abschreckung.
Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen, wie zentral wichtig Abschreckung in der gegenwärtigen Situation ist. Abschreckung ist nichts anderes als Kriegsverhütung. Deshalb ist jetzt nichts so wichtig, wie in den Köpfen der russischen Führung den Gedanken zu fördern, dass der Preis eines jeden militärischen Vorgehens Russlands ein zu hoher Preis wäre.
Welchen Stellenwert hat in diesem Kontext für Sie die Bundeswehr, etwa bei Enhanced Forward Presence oder auch beim Air Policing?
Ich finde es großartig, dass die Bundeswehr das einzige kontinentaleuropäische Land vertritt, das bei Enhanced Forward Presence eines der Kontingente führt. Das wird allerdings in der öffentlichen Diskussion nach meinem Eindruck viel zu wenig gewürdigt und beachtet.
Deshalb ist zu wünschen, dass solche Aktivitäten der Bundeswehr künftig eine breitere öffentliche Debatte erfahren. Denn nichts ist so wichtig wie das Verständnis der breiten Öffentlichkeit – nicht nur der Experten – für die Einsatzoptionen, die Tätigkeiten, die Aufgaben und die Risiken, denen sich die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gegenübersehen.
Gefragt ist zum Abschluss Ihre Beurteilung aus der Perspektive des erfahrenen Konferenzleiters: Welche Veränderungen und Entwicklungen der transatlantischen Partnerschaft während der vergangenen Jahre halten Sie für die wichtigsten?
Wir sind festes, treues und aktives Mitglied in der nordatlantischen Allianz. Das ist gut so und sollte auch so bleiben. Wir haben aber in den Jahren des Amtsvorgängers des derzeitigen US-Präsidenten erlebt, dass die Allianz plötzlich in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Das hätte ich nicht für möglich gehalten.
Deshalb stellt sich umso dringender die Herausforderung, dass Europa mehr Verantwortung für sich selbst übernehmen muss. Wir müssen uns mit dem Gedanken anfreunden, dass die Zeiten vorbei sind, in denen uns Amerika sozusagen frei Haus die strategische Absicherung und den strategischen Schutz gewährt.
Stattdessen wird sich Amerika zunehmend dem Wettbewerb mit China und der Lage in Asien zuwenden. Angesichts dieser Entwicklungen muss sich Europa mehr auf sich selbst besinnen.
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