Zwei Jahrzehnte dauerte der Afghanistan-Einsatz. Doch inzwischen haben die einst vertriebenen Taliban wieder die Macht im Land übernommen. Anlass genug für Politik, Militär, Verbände und Stiftungen, daraus Lehren für Bundeswehr und Gesellschaft zu ziehen. Auf Einladung von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer begann dazu heute eine Bilanzkonferenz in Berlin.
Der Einsatz am Hindukusch hat die Angehörigen der Bundeswehr und ihre Familien geprägt wie kein anderer. Zudem veränderte er die Wahrnehmung der Truppe in der Gesellschaft. Medien, Bürgerinnen und Bürger aber auch Politikerinnen und Politiker sprachen erstmals in der Bundesrepublik wieder von „Krieg“ und hinterfragten nicht nur diese Mission, sondern auch die Auslandseinsätze der Bundeswehr generell.
Mit dem Ende des Afghanistan-Einsatzes stellen sich diese Fragen erneut: Welche praktischen und strategischen Folgerungen ergeben sich? Wo hat der vernetzte Ansatz des Zusammenwirkens von Politik, Diplomatie, Militär, Wirtschaft und Entwicklungsprojekten funktioniert – wo nicht?
Heute hat dazu die Auftaktveranstaltung zur ressortgemeinsamen Bilanzierung des gesamten Afghanistanengagements der Bundesregierung begonnen. Im Fokus: die Perspektive der Soldatinnen und Soldaten, die in Afghanistan Dienst geleistet haben, sowie die Folgen für Einsatzgeschädigte und deren Familien.
Eine ehrliche Aufarbeitung soll einen Beitrag dazu liefern, die Leistungen und Opfer von Soldaten und Hinterbliebenen zu würdigen. Sie soll aber auch eine Diskussion darüber anstoßen, welche Ziele erreicht wurden, welche vielleicht zu hoch gegriffen waren und welche Konsequenzen daraus für andere Einsätze gezogen werden können.
Was ihr besonders wichtig ist, machte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer schon in ihrem Eingangsstatement deutlich: „Afghanistan begleitet, berührt, bewegt uns alle in Deutschland bis auf den heutigen Tag.“ Der Einsatz habe die politische und gesellschaftliche Debatte, vor allem aber die in Afghanistan Diensttuenden und die Bundeswehr als Ganzes verändert.
Die Truppe habe „die Aufträge, die sie vom Parlament erhalten hat, erfüllt“, so die Ministerin. Vom Land gehe keine terroristische Gefahr mehr aus, die Sicherheitskräfte vor Ort seien ausgebildet worden und eine neue Generation sei herangewachsen. Offen bleibe die Frage, warum die afghanische Armee den Taliban nichts entgegenzusetzen gehabt habe. Jetzt gelte es, nicht einfach abzuhaken, sondern sich „offen und ehrlich einer auch schmerzhaften Debatte zu stellen“, betonte Kramp-Karrenbauer.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, pflichtete der Ministerin bei: Die Bundeswehr habe im Afghanistan-Einsatz einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit Deutschlands geleistet, weil von dort keine terroristische Gefahr mehr ausgehe. Durch die Mission sei die Bundeswehr – insbesondere nach Zunahme der Kampfhandlungen ab 2008 – zur „Einsatzarmee“ geworden, was sich seither in Ausbildung und Ausrüstung der Truppe, aber auch in der Versorgung einsatzgeschädigter Soldatinnen und Soldaten sowie Hinterbliebener widerspiegele. Einen weiteren Schwerpunkt legte Zorn darauf, wie die nun anstehende Bilanzierung des Einsatzes vonstattengehen solle: „Wir sollten aus meiner Sicht Urteile nicht vorschnell treffen.“
Die Bilanz müsse differenziert nach allen Phasen, Dimensionen und Facetten des Einsatzes gezogen werden – militärisch und mit Blick auf die deutsche Gesellschaft. Es gelte insbesondere, den vernetzten Ansatz weiterzuentwickeln und zu bewerten, wie Einsatzländer „noch früher in Eigenverantwortung geführt werden können“. „Ich erwarte mir auch klare Hinweise, wie wir unsere eigene Bevölkerung besser informieren können“, so der Generalinspekteur.
Auch für NATONorth Atlantic Treaty Organization-Generalsekretär Jens-Stoltenberg, der wie Zorn Leistung und Opfer der Soldatinnen und Soldaten würdigte, war der Afghanistan-Einsatz „nicht umsonst“. „Wir hatten ein klares Ziel. Dieses Ziel haben wir erreicht“, so Stoltenberg. Die Bundeswehr und die Verbündeten hätten verhindert, dass das Land Terroristen als ,,sicherer Hafen'' diene. Stoltenberg würdigte die Bilanz-Initiative der Verteidigungsministerin. Auch er habe diesen Prozess in der NATONorth Atlantic Treaty Organization angestoßen. Allerdings sei es derzeit „zu früh, Schlussfolgerungen zu ziehen“. Entscheidend sei, dass die Fähigkeit der Partner in der Allianz zur Zusammenarbeit gestärkt worden sei - und dass diese auch weiter zusammenstünden.
Nach den drei Eingangsstatements ging die Bilanzdebatte weiter. Es diskutierten militärische und zivile Experten in mehreren Panels unterschiedliche Aspekte des Afghanistaneinsatzes.
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