Verteidigungsministerin Christine Lambrecht äußert sich in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe zum Engagement an der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke, zur Ukraine-Lage und zur Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr. Das Interview wird hier in einer gekürzten Version veröffentlicht.
Das Verteidigungsministerium gilt traditionell als Schleudersitz. Haben Sie gezögert, das Jobangebot von Olaf Scholz anzunehmen?
Die Leitung des Verteidigungsministeriums ist vor allem eine große Herausforderung. Und wenn man das angeboten bekommt, ist das eine große Ehre. Und ja, ich habe mir etwas Zeit genommen und überlegt, bevor ich Olaf Scholz zugesagt habe. Das ist ja bei einer solchen Herausforderung auch angemessen.
In Europa droht Krieg. Was kann die Bundesregierung tun, um Russland von einem Angriff auf die Ukraine abzuhalten?
Ganz wichtig ist, dass wir in der NATONorth Atlantic Treaty Organization und der EUEuropäische Union geschlossen sind. Wir machen deutlich, dass Russland der Aggressor ist. Das darf auch nicht relativiert werden. 100.000 russische Soldaten an der ukrainischen Grenze sind eine klare Bedrohung. Wir zeigen Russland, dass jeder weitere Schritt ganz harte Konsequenzen haben würde. Wir müssen Krieg mitten in Europa unbedingt verhindern, natürlich ohne dabei die Souveränität, die territoriale Integrität und die Bündnisfreiheit der Ukraine infrage zu stellen. Das sind rote Linien. Da hat Russland kein Vetorecht. Darüber hinaus gibt es aber noch viele Möglichkeiten, an einer Deeskalation zu arbeiten. Jetzt ist es auch an Russland, genau da mitzuwirken.
Sehen Sie eine NATONorth Atlantic Treaty Organization-Perspektive für die Ukraine?
Es ist die souveräne Entscheidung der Ukraine, sich für eine NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mitgliedschaft zu bewerben. Aber das ist momentan gar nicht auf der Tagesordnung.
Wer ist auf die Idee gekommen, 5.000 deutsche Helme könnten den Ukrainern helfen?
Wir haben von der Ukraine die Anfrage nach Helmen bekommen. Ohne eine konkrete Zahl übrigens. Und dann haben wir selbstverständlich geprüft, ob das möglich ist. Wir erfüllen hier also einen Wunsch unserer Partner in Kiew. Abgesehen davon bringen wir seit Jahren ganz klar zum Ausdruck, dass wir an der Seite der Ukraine stehen. Wir sind weltweit der größte Geber von Entwicklungshilfe. 1,83 Milliarden Euro sind schon geflossen. Wir bilden ukrainische Soldaten aus, liefern Beatmungsgeräte, Sanitätsmaterial und Impfstoffe. Außerdem liefern wir gemeinsam mit Estland ein nagelneues Feldlazarett und wir behandeln seit Jahren schwer verletzte ukrainische Soldaten in unseren Bundeswehrkrankenhäusern
Andere liefern Waffen, die Deutschen ein paar Helme. Ist Ihnen nicht klar gewesen, wie das wirkt?
Wie gesagt: Wir haben eine direkte und konkrete Anfrage von der ukrainischen Botschaft in Bezug auf die Helme bekommen. Darauf haben wir sehr schnell und unkompliziert reagiert. Aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit. Genau wie bei den Anfragen nach Beatmungsgeräten und Impfstoffen.
Waffenlieferungen, selbst von Defensivwaffen, bleiben ausgeschlossen?
Es ist seit langem die klare Haltung der Bundesregierung, auch schon in vergangenen Legislaturperioden, dass wir keine Waffen in Krisengebiete liefern, um dort nicht noch weiter zu eskalieren.
Deutschland hat auch Lenkraketen an die Kurden im Nordirak geliefert.
Das war eine völlig andere Situation. Im Nordirak sind damals Menschen, insbesondere Frauen, grausamst ermordet oder auf Sklavenmärkten verkauft worden. Da hatten wir niemanden auf der anderen Seite, mit dem wir auch nur ansatzweise hätten verhandeln können, um diese Grausamkeiten zu stoppen. Im Ukraine-Konflikt haben wir Verhandlungspartner, die wieder an den Verhandlungstisch gekommen sind, im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Russland-Rat und im Normandie-Format zum Beispiel. Deswegen ist es jetzt unsere Aufgabe zu deeskalieren. Wir wollen diesen Konflikt friedlich lösen.
Estland will Haubitzen aus DDR-Altbeständen an die Ukraine geben und braucht dafür die Zustimmung der Bundesregierung. Wie entscheiden Sie?
In dieser Frage gibt es aktuell eine Abstimmung in der Bundesregierung. Es geht um neun Haubitzen aus NVA-Beständen, die über 40 Jahre alt sind. Haubitzen sind keine Defensivwaffen. Darüber haben wir am Ende sehr verantwortungsvoll zu entscheiden.
Deutschland weckt Zweifel an seiner Verlässlichkeit als Bündnispartner gerade in den USA ...
Ich habe regelmäßig Kontakt mit meinen Kolleginnen und Kollegen sowohl auf europäischer Ebene als auch in den USA. Dort höre ich die Einschätzung, dass Deutschland ein sehr verlässlicher Partner ist und seinen Verpflichtungen in der NATONorth Atlantic Treaty Organization sehr gut nachkommt. Ganz aktuell übrigens auch als zentrale Drehscheibe für die USA, wenn es um die Verlegung weiterer Soldaten an die Ostflanke der NATONorth Atlantic Treaty Organization geht. Wir stellen hier selbstverständlich Infrastruktur zur Verfügung und unterstützen, wo immer wir können.
Wird Deutschland selbst zusätzliche Soldaten ins Baltikum entsenden?
Wir leisten bereits einen sehr wichtigen Beitrag in Litauen, wo wir als einziges Land der EUEuropäische Union eine Battlegroup führen. Bei meiner ersten Einsatzreise als Verteidigungsministerin habe ich erfahren, wie wertgeschätzt unser Engagement dort ist. Grundsätzlich stehen auch Truppen zur Verstärkung bereit, wir sind jetzt im Gespräch mit Litauen darüber, was genau sinnvoll wäre.
Darüber hinaus verlegen wir Eurofighter zur Luftüberwachung nach Rumänien. Jeder in der Nato kann sich auf uns verlassen.
Welche Sanktionen halten Sie für geboten, falls russische Panzer die ukrainische Grenze überschreiten?
Wenn Russland diese Grenze überschreitet, wird das schwerwiegende Konsequenzen haben, die deutlich spürbar sind. Da liegen alle Optionen auf dem Tisch.
Also kommen auch die Abkopplung Russlands vom internationalen Zahlungssystem Swift und das Ende der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 infrage.
Wenn alle Optionen auf dem Tisch liegen, liegen alle Optionen auf dem Tisch.
Wann erfüllt Deutschland das NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben?
Wir stehen ganz klar zu unseren Bündnisverpflichtungen. Das tun wir zum Beispiel dadurch, dass wir demnächst die Nachfolge für unsere in die Jahre gekommenen Tornado-Jets sicherstellen. Das werde ich jetzt sehr bald entscheiden. Dabei sind unterschiedliche Fragen abzuwägen. Europäische Lösungen sind natürlich wünschenswert, aber ich muss auf der anderen Seite auch Zeitvorgaben einhalten.
Neigen Sie zum US-Kampfjet F-35?
Es geht darum, eine sehr guten Tornado-Nachfolger zu finden. Vorfestlegungen gibt es nicht. Alle Möglichkeiten sind auf dem Tisch.
Wann wird die Bundeswehr über bewaffnete Drohnen verfügen?
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Die Abgeordneten schicken die Soldatinnen und Soldaten in die Einsätze. Da muss bestmöglicher Schutz gewährleistet sein. Es darf nicht darum gehen, autonome Waffensysteme zu beschaffen. Es muss stets und in letzter Konsequenz der Mensch entscheiden, kein Computer. Wenn das gewährleistet ist, dann können bewaffnete Drohnen dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten dienen. Meine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass sie noch in dieser Wahlperiode beschafft werden.
Welche Einsätze wollen Sie ausschließen?
Die Regeln müssen glasklar beinhalten, dass es um Aufklärung und Schutz geht und nicht um autonome Kriegsführung oder die gezielte Tötung vermeintlicher Terroristen. Wir werden dafür sorgen, dass die Einsatzregeln deutlich genug sind.
Selbst wenn Sie die Kampfdrohnen und den Tornado-Nachfolger beschaffen: Das NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ziel, zwei Prozent für Verteidigung auszugeben, wird Deutschland immer noch nicht erreichen.
Die Ampelparteien haben sich darauf verständigt, die deutschen Leistungen für die NATONorth Atlantic Treaty Organization nicht allein militärisch zu bewerten. Deutschland ist sehr engagiert in der Entwicklungshilfe. Wir verfolgen deshalb einen ressortübergreifenden Ansatz. Das ist aus meiner Sicht genau richtig.
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