Krisen, Kriege und Konflikte verschärfen sich weltweit und spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine liegt zwischen ihnen und Europa keine vermeintlich beruhigende Distanz mehr. Es stellt sich die Frage: Braucht Deutschland wieder eine Wehrpflicht? Der Verteidigungsminister hat am 12. Juni in der Bundespressekonferenz seinen Ansatz für einen „Neuen Wehrdienst“ vorgestellt.
Die politische und gesellschaftliche Debatte um das deutsche Wehrdienstmodell gab es schon, bevor der Minister Boris Pistorius es vorgestellt hat. Und natürlich wird die Debatte emotional geführt. Es geht um etwas, genauer gesagt um die Verteidigungsfähigkeit des Landes. Nur eine breit angelegte, kontroverse Diskussion bis tief in die Gesellschaft hinein, da ist sich Verteidigungsminister Boris Pistorius sicher, ermöglicht eine Antwort auf die neuen Herausforderungen unserer Zeit. Am 12. Juni 2024 stellte der Minister in der Bundespressekonferenz seinen Ansatz vor: den „Neuen Wehrdienst“.
Russland bedroht die europäische Sicherheitsordnung. Laut Militärexpertinnen und -experten könnte Russland in fünf bis acht Jahren in der Lage sein, NATONorth Atlantic Treaty Organization-Territorium anzugreifen. Deutschland und seine Verbündeten müssen zur Abschreckung fähig sein. Die Botschaft an Aggressoren muss lauten: Wir sind sehr gut vorbereitet, wir sind verteidigungsbereit. Denkt erst gar nicht daran, NATONorth Atlantic Treaty Organization-Territorium anzugreifen!
Das neue Wehrdienst-Modell soll helfen, die Aufwuchs- und Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr sicherzustellen. Es setzt auf eine Auswahl nach Eignung und Motivation und vorwiegend auf Freiwilligkeit. Wichtig: Es geht nicht um die Wiedereinführung der alten Wehrpflicht. Stattdessen soll mit einer einfachgesetzlichen Änderung noch in dieser Legislatur die Grundlage für den „Neuen Wehrdienst“ geschaffen werden.
Der Vorschlag sieht folgende Schritte vor: Am Anfang steht die Erfassung derjenigen, die im wehrdienstfähigen Alter sind. Männer und Frauen werden angeschrieben, ihnen wird ein Fragebogen zugeschickt. Dabei werden auch die körperliche Fitness und die Motivation abgefragt. Die Beantwortung ist für die Männer verpflichtend und für Frauen freiwillig. Durch diese direkte Ansprache befassen sich viele junge Männer und Frauen vermutlich zum ersten Mal mit der Frage, warum wir eine Bundeswehr haben und ob sie einen Wehrdienst leisten möchten. Für Interessierte wird es ein umfassendes digitales Informationsangebot geben.
Ein Teil der jungen Männer, die den Fragebogen ausgefüllt haben, wird aufgefordert, sich mustern zu lassen. Frauen können sich freiwillig einer Musterung unterziehen. Die Geeignetsten und Motiviertesten werden ausgewählt.
Wie viele Rekrutinnen und Rekruten die Bundeswehr ausbilden kann, soll jährlich geprüft werden. Weil die notwendigen Strukturen nach dem Aussetzen der Wehrpflicht im Jahr 2011 abgebaut wurden, sind die Kapazitäten bei Unterbringung, Ausbildung und Ausrüstung für den Wehrdienst derzeit begrenzt. Diese müssen erst schrittweise wiederaufgebaut werden. Im ersten Jahr können im Rahmen des „Neuen Wehrdienstes“ zusätzlich circa 5.000 Soldatinnen und Soldaten aufgenommen werden.
Die Wehrpflichtigen können sich entscheiden, ob sie einen sechsmonatigen Grundwehrdienst oder einen Wehrdienst leisten wollen, der auf bis zu 23 Monate verlängert werden kann. Denjenigen, die sich über sechs Monate hinaus verpflichten, bietet die Bundeswehr Weiterqualifizierungsmöglichkeiten.
Wer Wehrdienst geleistet hat, soll anschließend in die Reserve grundbeordert werden und die Möglichkeit erhalten, jährlich zu trainieren. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall steht dann die Reserve für die Gesamtverteidigung zur Verfügung. Die Bundeswehr kann dann zur Erfüllung der vielfältigen Aufgaben aus der Reserve aufwachsen und diese verlässlich und durchhaltefähig erfüllen. Fundamental hierfür ist auch die Wehrerfassung. Erfasst werden nicht nur neue Wehrdienstleistende, sondern auch bereits Gediente.
Bei der alten, 2011 ausgesetzten Wehrpflicht haben sich viele im Laufe des Dienstes entschieden, für längere Zeit als Zeit- oder Berufssoldat bei der Bundeswehr zu bleiben. Sollte dies beim „Neuen Wehrdienst“ wieder so sein und die Zahl der Soldatinnen und Soldaten anwachsen, wäre das ein willkommener Nebeneffekt.
Indem der Deutsche Bundestag das Wehrpflichtgesetz abgeändert hat, wurde die Wehrpflicht im Jahr 2011 auf den Spannungs- oder Verteidigungsfall beschränkt. Die Wehrpflicht wurde damit nicht aus dem Grundgesetz gestrichen. Sie hat grundsätzlich weiterhin Bestand, in Friedenszeiten bislang aber keine praktischen Konsequenzen. Artikel 12a des Grundgesetzes ermächtigt den Gesetzgeber, die verpflichtende Einberufung zum Wehrdienst durch ein einfaches Gesetz wieder einzuführen.
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