Rede der Bundesministerin der Verteidigung Ursula von der Leyen anlässlich der Konferenz „Militärrabbiner in der Bundeswehr„ des Zentralrats der Juden in Deutschland am 03. April 2019 im ASANTA Veranstaltungszentrum, Berlin.
Es gilt das gesprochene Wort
Es ist mir eine besondere Ehre, heute bei Ihnen zu sein.
Wir versammeln uns hier für eine besondere Konferenz an einem besonderen Ort, in einer ehemaligen Kirche.
Was hätte wohl ein Vermittler wie der Rabbiner Leo Baeck dazu gesagt, der es verstand, Brücken zu bauen? Der Feldrabbiner war während des 1. Weltkrieges.
Er, der das Judentum in Deutschland im 20. Jahrhundert maßgeblich prägte. Der das Gespräch, durchaus das kritische, zwischen Judentum und Christentum suchte. Der nach dem Miteinander der Religionen strebte – auch und gerade nach dem eigenen Erleben des Zivilisationsbruchs der Shoah.
Diese Konferenz steht in seinem Geiste der Menschlichkeit, der Toleranz, des Ausgleichs und des Miteinanders. Denn es hat sich über viele Jahre wieder ein echtes Miteinander hier in Deutschland entwickelt. Keine 2 Generationen nachdem unfassbare Verbrechen in deutschem Namen verübt wurden, blüht in unserem Land wieder jüdisches Leben. Das ist ein großes Geschenk.
Und es erfüllt mich als Verteidigungsministerin mit Dankbarkeit und auch mit Freude, dass Frauen und Männer jüdischen Glaubens in unserer Bundeswehr dienen. Das zeigt, wofür unsere Bundeswehr steht. Für ein, wie Saul Friedländer in seiner bewegenden Rede zum Holocaust-Gedenktag gesagt hat: „von Grund auf verändertes Deutschland„
Unsere Bundeswehr steht für dieses veränderte Deutschland – mit der Inneren Führung und dem Staatsbürger in Uniform.
Heute sehen deutsche Jüdinnen und Juden die Bundeswehr als ihre Armee an. Gerade da macht es mich stolz, sagen zu können, dass die Bundeswehr ein Spiegel unserer Gesellschaft ist. Ihr Gesicht hat sich wie das der Gesellschaft in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gewandelt. In ihr dienen heute Frauen und Männer die sich zu unterschiedlichen Religionen bekennen – oder zu keiner. Sie bringen vielfältige Erfahrungen, Biographien und Perspektiven mit, die uns helfen,
die facettenreichen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Doch so unterschiedlich unsere Soldatinnen und Soldaten sein mögen, es eint sie der Eid, den sie geschworen haben:
Sie haben sich den Grundsätzen und Werten unseres Grundgesetzes verpflichtet und gelobt, Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen und zu verteidigen. Sie alle sind unverzichtbarer Teil einer modernen Bundeswehr.
Einer Bundeswehr, die im Einsatz besteht. Sie sind einander Kameradinnen und Kameraden, vertrauen aufeinander und stehen für einander ein. Denn der Dienst in der Bundeswehr ist mit besonderen Anforderungen und einzigartigen Belastungen verbunden.
Unsere Soldatinnen und Soldaten machen in den Einsätzen Grenzerfahrungen.
Sie sind dort konfrontiert mit Leid, Gewalt, Verwundung und Tod. Auch der Dienst in wochenlangen Übungen kann belastend sein. Viele Soldatinnen und Soldaten sind über längere Zeit von ihren Familien getrennt. Und sie haben auch in der Heimat dieselben Freuden und Sorgen wie wir alle:
Wie bewältige ich den Alltag mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen?
Wie schaffe ich meinen Dienst in Zeiten, in denen meine Ehe zu zerbrechen droht?
Was gibt meinem Leben einen tieferen Sinn?
Unsere Soldatinnen und Soldaten befassen sich vor jedem Einsatz mit den Gefahren,
denen sie ausgesetzt sein können – ja auch mit der Frage, was ist, wenn ich falle?
Viele unserer Soldatinnen und Soldaten suchen in diesen Momenten das Gespräch mit unseren Militärseelsorgern – unabhängig davon, ob sie selbst gläubig sind oder nicht. Die Seelsorge und die erlebte Gemeinschaft in Ritualen geben ihnen Anleitung und Kraft.
Seit über 60 Jahren begleiten katholische und evangelische Seelsorger unsere Soldatinnen und Soldaten. Tag für Tag, in der Heimat und im Ausland, auf vielfältige Weise. Ihr Beistand tröstet. Ihre unabhängige und vertrauliche Hilfe entlastet.
Mir sagte ein Soldat einmal: „ich brauche dem Militärpfarrer nichts zu erklären.„
Ökumenische Andachten und Gottesdienste schaffen Momente der Besinnung und der Gemeinschaft – das habe ich selbst auf meinen Truppenbesuchen im Einsatz eindrucksvoll erfahren dürfen.
Und die Militärseelsorger begleiten im Lebenskundlichen Unterricht eine breite und vertrauensvolle Aussprache über ethische Fragen, den Umgang mit Verantwortung und Schuld, die Last oder Freiheit des Gewissens und viele weitere Themen. Dieser Dialog ist besonders wertvoll, weil er außerhalb des hierarchischen Gefüges stattfindet - aber mit Menschen, denen die militärischen Strukturen vertraut sind, die das Leben in der Bundeswehr kennen. Ja, das Wirken unserer Militärseelsorger ist ein Segen.
Deshalb ist der Anspruch jeder Soldatin und jedes Soldaten auf ungestörte
Religionsausübung und Seelsorge im Soldatengesetz fest verankert.
Bei Einführung der Militärseelsorge Ende der 50er Jahre waren ca. 98 % der Soldatinnen und Soldaten Angehörige der christlichen Kirchen. Heute sind das nur noch etwa die Hälfte.
Und wir wissen, dass wir mittlerweile viele jüdische und muslimische Kameradinnen und Kameraden in unsren Reihen haben. Auch sie haben einen Anspruch auf Seelsorge und religiöse Begleitung – durch Geistliche ihrer Religion.
Bereits heute kann jede Soldatin und jeder Soldat am Zentrum Innere Führung in Koblenz ein seelsorgerliches Angebot außerhalb der Bundeswehr vermittelt bekommen.
Doch das genügt nicht. Wir wollen den Kameradinnen und Kameraden innerhalb der Bundeswehr die geistliche Begleitung ermöglichen. Ich habe deshalb entschieden, eine jüdische Militärseelsorge in der Bundeswehr einzurichten. Wir möchten wieder Militärrabbiner in unseren Reihen beheimatet wissen. Wie bei der katholischen und evangelischen Militärseelsorge soll die Basis dazu ein Staatsvertrag sein – mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland als Partner.
Ich weiß in Ihnen, Herr Dr. Schuster, einen großen Unterstützer dieser Initiative. Und ich bin von ganzem Herzen dankbar, dass der Zentralrat der Juden dieses Anliegen so klar begleitet.
Ich freue mich, dass Rabbiner wieder sagen: Ja, ich möchte in der Bundeswehr wirken.
Es gibt ja eine lange Tradition jüdischer Soldaten in den deutschen Streitkräften – Militärrabbiner waren in früheren deutschen Streitkräften ein fester Bestandteil des soldatischen Alltags. Ich freue mich, dass das bald wieder so sein wird!
Auch unsere befreundeten Nationen, von den USA über Frankreich und die Niederlande, haben Militärpfarrer, Militärrabbiner und muslimische Militärseelsorger auf ihre jeweils eigene Weise in ihre Streitkräfte integriert.
In der Bundeswehr sollen in Zukunft Militärrabbiner und muslimische Militärseelsorger Aufgaben übernehmen wie unsere christlichen Seelsorger. Sie sollen hier in der Heimat wirken. Sie sollen in den Einsätzen unserer Truppe Beistand geben. Sie werden den lebenskundlichen Unterricht mitgestalten.
Es gibt viele offene Fragen, die wir gemeinsam beantworten müssen – aber das werden wir. Militärseelsorger, seien sie Katholiken, Protestanten, Juden oder Moslems – Militärseelsorger müssen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Und in Deutschland ausgebildet sein. Im Lebenskundlichen Unterricht müssen die Module untereinander abgestimmt werden. Aber genau das gibt die Möglichkeit des Über-Einander-Lernens. Des Verstehens!
Die Gespräche dazu werden wir nun rasch aufnehmen.
Meine Damen und Herren,
Mir ist daran gelegen, Ihnen hier heute bei dieser Konferenz - und unseren Soldatinnen und Soldaten jüdischen Glaubens klar und offen zu sagen,- wie wichtig uns ist, jüdisches Leben in unserer Bundeswehr zu haben.
Das ist in Zeiten, in denen Polarisierung und Engstirnigkeit vielerorts auf dem Vormarsch sind, ein wichtiges Signal. Wir erleben in der Welt – auch bei uns zu Hause und in Europa – den Aufschwung von radikalen Kräften. Sie setzen universelle Menschenrechte wie Freiheit und Gleichberechtigung herab.
Dem wollen wir entgegentreten, entschieden und gemeinsam.
Indem wir unsere liberale Demokratie mit Leben füllen und unser Zusammenleben aufgeschlossen, respektvoll und gemeinsam gestalten.
Ein jüdisches Sprichwort sagt: Berge kommen nicht zusammen, aber Menschen.
In der Bundeswehr kommen Menschen unterschiedlichen Glaubens zusammen,
vereint als Kameradinnen und Kameraden. Getragen von der Gewissheit: Wir sind EINE Bundeswehr.
Ich freue mich, dass wir heute miteinander ein neues Kapitel in unserer gemeinsamen Geschichte aufschlagen.
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