Zum Auftakt der deutschen EUEuropäische Union-Ratspräsidentschaft hat der verteidigungspolitische Direktor im Bundesministerium der Verteidigung, Detlef Wächter, nach dem virtuellen Treffen mit seinen Amtskollegen aus den Verteidigungsressorts der EUEuropäische Union-Mitgliedstaaten eine positive Bilanz gezogen.
Im Interview mit der Redaktion der Bundeswehr hob er ein zentrales Projekt hervor, über das die verteidigungspolitischen Direktoren bei ihrem Treffen per Videokonferenz berieten: den strategischen Kompass.
Was war die Intention des Treffens mit Ihren Amtskollegen aus den Verteidigungsministerien der EUEuropäische Union-Mitgliedstaaten?
Das Treffen der verteidigungspolitischen Direktoren hat ein besonders wichtiges Thema vorbereitet, das demnächst beim informellen Treffen der EUEuropäische Union-Verteidigungsministerinnen und -minister am 26. August von besonderer Bedeutung sein wird. Es geht um den strategischen Kompass, entstanden auf deutsche Initiative hin, der nun in der EUEuropäische Union vorangetrieben werden soll. Dieser strategische Kompass soll der EUEuropäische Union mehr sicherheitspolitische Verortung und Richtung geben. Und das in einer Zeit, in der die Welt in Unordnung geraten ist.
Was bedeutet das konkret?
Wir wollen die kommenden Monate der deutschen EUEuropäische Union-Ratspräsidentschaft dazu nutzen, eine Bedrohungsanalyse vorzunehmen. Dies gab es im EUEuropäische Union-Kontext noch nie. Sie ist dem strategischen Kompass vorgeschaltet und wird als Basis für den anschließenden Austausch zum Kompass dienen. Wir müssen Herausforderungen und Risiken kennen, vor denen wir in der EUEuropäische Union stehen. Es geht darum, die verschiedenen Bedrohungsperzeptionen unserer europäischen Partner zu einem Dokument zusammenzuführen. Die Partner in Osteuropa nehmen andere Bedrohungen wahr als beispielsweise unsere italienischen und spanischen Partner mit Blick auf die Gegenküste jenseits des Mittelmeers.
Wir wollen Einigkeit darüber erreichen, was die EUEuropäische Union können und prioritär verfolgen soll und was nicht. Eine EUEuropäische Union, die global handelt, braucht klare, umsetzbare strategische Ziele. Genau die wollen wir im strategischen Kompass formulieren. Dies schafft Klarheit nach innen und erlaubt uns, im Krisenfall schnell reagieren zu können. Gleichzeitig macht es die EUEuropäische Union zu einem glaubhaften und transparenten Partner nach außen.
Von diesen strategischen Zielen wiederum können wir ableiten, welche Fähigkeiten wir brauchen. Deshalb ist der strategische Kompass auch eine wichtige Arbeitsgrundlage für das Militär und seine Planer.
Wie können wir uns den weiteren Prozess vorstellen?
Die Bedrohungsanalyse ist ein Dokument der Nachrichtendienste, kein politisches Papier. Die Erstellung läuft so, dass die entsprechenden Stellen in der EUEuropäische Union mit der Erstellung und Koordination dieser Analyse beauftragt wurden. Die EUEuropäische Union-Mitgliedstaaten sind entsprechend um Beiträge gebeten worden. Dies ist deswegen wichtig, weil wir möchten, dass sich die Mitgliedstaaten mit ihren unterschiedlichen Bedrohungsperzeptionen gespiegelt sehen, wir einen wirklichen 360-Grad-Blick in die Welt werfen. In die Arbeiten zum Kompass steigen wir anschließend ein. Wir arbeiten hier eng mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst und in unserem Trio mit Portugal und Slowenien zusammen. Die beiden Länder übernehmen nach uns die EUEuropäische Union-Ratspräsidentschaft und führen diesen Prozess fort. Anfang 2022 reichen sie den Stab dann an Frankreich weiter. In deren Ratspräsidentschaft soll der Kompass finalisiert werden.
Ist die Corona-Krise Bestandteil Ihrer Bedrohungsanalyse?
Ja, ausdrücklich. Deutschland ist bislang vergleichsweise glimpflich durch diese Krise gekommen. Es kann jedoch niemand sagen, ob uns noch eine zweite Welle bevorsteht. Mit dieser Unsicherheit müssen wir leben. Was wir bei allen Unwägbarkeiten jedoch ganz bestimmt wissen: Wir müssen unsere Resilienz vor Pandemien und insgesamt deutlich stärken. Das gilt auch für die Bundeswehr. Das gilt insbesondere auch auf dem Feld der Sicherheit und Verteidigung. Die Corona-Krise hat schon jetzt den sicherheitspolitischen Diskurs nachhaltig verändert.
Mit welchen Instrumenten wollen wir uns künftig gegen Pandemien wappnen?
Wir arbeiten mit der Europäischen Union an Plänen, wie auf eine mögliche zweite Corona-Welle effektiver reagiert werden kann. Das betrifft auch die Zusammenarbeit der europäischen Streitkräfte. Die Bundeswehr ist hier Vorbild. Sie hat bislang bei ihrer vielfältigen Hilfe im Kampf gegen Corona ganz hervorragend gearbeitet. Ein starkes, sichtbares und erfolgreiches Engagement im eigenen Land, aber auch in der Kooperation mit unseren Partnern. Denken Sie nur an die zahlreichen Hilfsflüge oder die Übernahme von schwer erkrankten Patienten in Krankenhäuser der Bundeswehr.
Was kann man besser machen?
Wir müssen unser Engagement im Kampf gegen Pandemien künftig noch besser miteinander abstimmen. Darüber hinaus planen wir als Beitrag der Sanitätsdienste zur Stärkung der Resilienz Europas die European Medical Cooperation 2.0. Deutschland. Mit unseren Partnern bauen wir ein PESCOPermanent Structured Cooperation (Permanent Structured Cooperation)-Projekt aus, und zwar das European Medical Command (EMCEuropean Medical Command) in Koblenz als Nukleus für eine engere Kooperation der Streitkräfte in der EUEuropäische Union in Krisenzeiten. Im Herbst soll in diesem Kontext die multinationale Übung Resilient Response 2020 stattfinden. Dieses PESCOPermanent Structured Cooperation-Projekt ist zugleich auch Teil des Framework Nations Concept der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Hier wird deutlich: PESCOPermanent Structured Cooperation erzeugt greifbare Ergebnisse und ist ein echter Mehrwert für alle!
Wir können festhalten, bei dem Projekt strategischer Kompass geht die maßgebliche Initiative von Deutschland aus.
Ja. Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Europäische Auswärtige Dienst unter seinem Hohen Repräsentanten, dem EUEuropäische Union-Außenbeauftragten Josep Borrell, ziehen an einem Strang. Deutschland hat das Projekt bereits 2019 in der EUEuropäische Union vorgestellt und dafür geworben. Inzwischen stehen alle EUEuropäische Union-Mitgliedstaaten fest hinter der Initiative und sehen diese als eines der wichtigsten Projekte der kommenden Zeit.
Welches Ambitionsniveau peilen Sie und Ihre Partner beim strategischen Kompass an?
Die Ministerin hat gerade bei diesem Projekt betont, dass wir dabei einen sehr hohen Anspruch haben. Wir wollen den Geist des Vertrages von Lissabon neu beleben. Wir wollen die Europäische Union handlungsstärker und handlungsfähiger machen. Das hat die Ministerin mit dem Begriff ability to act immer wieder deutlich gemacht. Klar ist aber auch: Das alles kann nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und in Abstimmung mit der NATONorth Atlantic Treaty Organization gelingen. Ohne die enge transatlantische Partnerschaft ist Sicherheit in Europa nicht vorstellbar.
Welche weiteren Aspekte hatte das Treffen der politischen Direktoren aus den EUEuropäische Union-Partnerländern?
Wir haben uns den Initiativen zugewandt, die bereits in Teilen auf den Weg gebracht worden sind, um die EUEuropäische Union in Zukunft sicherheitspolitisch handlungsfähiger zu machen. Da möchte ich vor allem die bereits erwähnte PESCOPermanent Structured Cooperation herausgreifen. Wir erörtern, wie wir die für die Zukunft noch besser aufstellen können. Weiter ging es um die europäische Friedensfazilität, konkret um das Ziel, die Aktivitäten im Bereich Sicherheit und Verteidigung in einem Budget zu bündeln. Darüber hinaus wollen wir unsere Planungs- und Führungsfähigkeiten ausbauen und dabei verstärkt zivil-militärisch zusammenarbeiten. Es gilt zudem, die Digitalisierung auf dem Feld der Sicherheit und Verteidigung weiter voranzutreiben. Hier denke ich besonders an den Schutz vor Cyberbedrohungen und unsere digitale Resilienz. Wir haben insgesamt einen Ausblick vorgenommen, wie man die Instrumente der EUEuropäische Union auf den Feldern Sicherheit und Verteidigung weiter schärfen kann. Das gemeinsame Bemühen darum klang in den Diskussionen mit den EUEuropäische Union-Partnern sehr klar an.
Wie lautet Ihr Fazit des Treffens?
Es war ein gutes Treffen. An das Format von virtuellen Treffen und den Austausch per Video haben wir uns ja alle mittlerweile gewöhnt. Auch wenn die insgesamt 27 EUEuropäische Union-Partner in der ein oder anderen Facette verschiedene Sichtweisen haben, so eint uns doch alle das große Bemühen, den Hohen Vertreter tatkräftig zu unterstützen. Unsere Partner haben die Erwartung, dass Deutschland seine große Energie an die EUEuropäische Union weitergibt. Deutschland trägt in den kommenden Monaten seiner EUEuropäische Union-Ratspräsidentschaft eine besondere Verantwortung.
Bei einer Reihe von Projekten wird die EUEuropäische Union auf die Kompetenz von Drittstaaten nicht verzichten wollen. Welche Impulse gibt Deutschland hier?
Wir müssen eine tragfähige Drittstaatenregelung entwickeln, die für alle 27 EUEuropäische Union-Partner akzeptabel ist. Es geht darum, Drittstaaten in wichtige Projekte der Europäischen Union eng einzubinden. Ich denke vor allem an Großbritannien, die USA oder auch an Norwegen. Ganz wichtige Partner und enge Freunde. Hierzu liegen bereits erste konzeptionelle Vorschläge auf dem Tisch. Hier und da sind die Vorstellungen aber noch unterschiedlich. Deshalb misst die Ministerin bei der EUEuropäische Union-Ratspräsidentschaft der Zusammenführung der Vorschläge große Bedeutung zu. Das Projekt steht ganz oben auf unserer To-do-Liste. Denn von einer Drittstaatenregelung soll schließlich das Signal ausgehen: Europa ist offen und bereit zur Kooperation.
Welchen idealen Schlusspunkt zur deutschen EUEuropäische Union-Ratspräsidentschaft stellen Sie sich aus Sicht des Verteidigungsministeriums am 31. Dezember 2020 vor?
Atmosphärisch würde ich mir wünschen, dass wir die Erwartungen der EUEuropäische Union-Mitgliedstaaten an die deutsche EUEuropäische Union-Ratspräsidentschaft erfüllt haben werden. Deutschland will dabei ein ehrlicher Makler sein. Gleichzeitig wollen wir alle Partner mit ins Boot holen. Deutschland kann nur im Kreise seiner Partner erfolgreich sein.
Und inhaltlich?
Inhaltlich sollten wir einen guten Start für den strategischen Kompass hinlegen. So wie es die Ministerin bereits betont hat. Es geht um mehr Resilienz, zumal in Zeiten von Corona. Weiter wollen wir zeigen, dass PESCOPermanent Structured Cooperation den Menschen nützt.
Und insgesamt?
Insgesamt sind wir uns der besonderen Verantwortung bewusst, die Deutschland in diesen Zeiten bei seiner EUEuropäische Union-Ratspräsidentschaft trägt. Ich wünsche mir, dass unsere Partner den Eindruck haben werden, dass Deutschland die Europäische Union ein gutes Stück vorangebracht haben wird. Schritt für Schritt.
Die Fragen stellte Jörg Fleischer.
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