Frau Hauptmann Anna-Carina E. ist derzeit als Militärbeobachterin bei der UNUnited Nations-Mission im Südsudan (United Nations Mission in South Sudan, UNMISSUnited Nations Mission in South Sudan) eingesetzt. Im Interview erzählt E., wie sich die Corona-Pandemie im Südsudan und innerhalb der Mission auswirkt, welche Aufgaben Militärbeobachter haben und warum es wichtig ist, dass sich mehr Soldatinnen an UNUnited Nations-Missionen beteiligen.
Hanna Jarowinsky: Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie im Südsudan?
Frau Hauptmann Anna-Carina E.: Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich im Südsudan bis Februar dieses Jahres offiziell 7.098 Menschen mit dem Corona-Virus infiziert. Die Zahl ist so niedrig, weil die Testkapazitäten im Land sehr gering sind. In größeren Städten weisen zwar Plakate der WHOWorld Health Organization auf die Einhaltung von Schutzmaßnahmen hin, meist werden diese jedoch nicht beachtet. Oft sind Schutzmasken und Desinfektionsmittel gar nicht verfügbar. Da die alltägliche Not – vor allem die Knappheit von Wasser und Nahrung – sehr groß ist, werden die Schutzmaßnahmen oft als nebensächlich erachtet.
Wie wirkt sich die Pandemie auf Ihren Einsatz und die Mission aus?
Von den etwa 17.000 Einsatzkräften bei UNMISSUnited Nations Mission in South Sudan wurden bis jetzt 335 positiv auf das Corona-Virus getestet. Die Kameradinnen und Kameraden begeben sich dann selbstverständlich in Quarantäne und es werden Kontaktverfolgungen durchgeführt. Zudem gelten für alle Schutz- und Hygieneregeln. Diese werden sogar von der Militärpolizei kontrolliert. Bürotätigkeiten führe ich mittlerweile teilweise in meiner Unterkunft durch.
Wenn wir auf Patrouille sind, versuchen wir, einen „goldenen Mittelweg“ zu finden. Wir wollen und müssen die Einwohner des Südsudans und uns vor der Pandemie schützen. Trotzdem können wir nicht unhöflich auftreten und dadurch Gespräche verhindern. Bei der Begrüßung nicht die Hand zu geben, wird oftmals als unhöflich wahrgenommen. Wenn wir Masken tragen, begegnen uns Menschen teilweise mit Ablehnung. Sie denken, dass wir selbst krank sind.
Wo sind Sie eingesetzt und untergebracht?
Ich bin in Dschuba, der Hauptstadt des Südsudan, in einem Team mit 32 weiteren UNUnited Nations-Militärbeobachterinnen und -beobachtern aus insgesamt 26 Nationen eingesetzt. Als Militärbeobachter sind wir sieben Tage pro Woche und 24 Stunden am Tag im Dienst. An Tagen, an denen wir nicht zur Durchführung von Patrouillen eingeteilt sind, erledigen wir Bürotätigkeiten, warten unsere Fahrzeuge oder nehmen an Weiterbildungen teil. Grundsätzlich bin ich für den Bereich Nachrichten zuständig. Das heißt ich beobachte die Lage im Land und werte aus, welchen Einfluss diese auf unsere Patrouillen haben könnte.
Untergebracht bin ich auf einer der beiden UNUnited Nations-Militärbasen in Dschuba, wo sich auch das Hauptquartier der Mission befindet. Wir Militärbeobachter pendeln zwischen den beiden Standorten. Ich hatte Glück und wohne in einer festen Unterkunft, die aus einem Wohnraum mit Küche, einem Schlafzimmer und einem Badezimmer besteht. Das ist jedoch nicht der Normalfall. Die meisten meiner Kameradinnen und Kameraden wohnen in Containern mit einer ähnlichen Ausstattung. Alle Diensträume und Unterkünfte sind zum Glück mit Klimaanlagen ausgestattet. Es hat nämlich einige Wochen gedauert, sich an das Klima zu gewöhnen. Aber jetzt gehe ich sogar jeden Abend innerhalb des Camps joggen.
Welche Aufgaben haben UNUnited Nations-Militärbeobachter?
UNUnited Nations-Militärbeobachter führen Patrouillen in vorher festgelegten Gebieten durch und sprechen vor Ort mit den Einheimischen. Ziel aller Patrouillen ist es, im Rahmen von sogenannten Key Leader Engagements, also der Zusammenkunft mit Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, Informationen zu gewinnen oder zu bestätigen. Dabei sprechen wir beispielsweise mit Dorfältesten, Jugend- und Frauenvertretern oder dem örtlichen Gesundheitspersonal. So versuchen wir, ein möglichst genaues Bild über die aktuelle Sicherheits- und humanitäre Lage zu gewinnen.
Im Anschluss erstellen wir einen Patrouillenbericht, in dem wir neben unseren Beobachtungen auch Bewertungen und Empfehlungen abgeben. Die Berichte werden im Hauptquartier ausgewertet und gegebenenfalls auch anderen UNUnited Nations-Organisationen zur Verfügung gestellt. Es freut mich sehr, wenn die Informationen unserer Berichte – beispielsweise, dass Flüchtlinge an einem bestimmten Ort Nahrung, Wasser und Decken brauchen – Wirkung zeigen. Zusätzlich erstellen wir auch Wochen- und Monatsberichte, die unsere Beobachtungen zusammenfassen und in einen größeren Kontext einordnen.
Wie lange dauern die Patrouillen?
Wir führen Patrouillen in der Stadt durch, zum Beispiel auf Märkten, Tagespatrouillen an Orte mit bis zu 80 Kilometern Entfernung und auch längere Patrouillen, die bis zu zehn Tage dauern. Auf Patrouillen sind wir als Militärbeobachter in Zweierteams unterwegs und werden, zumindest in meinem Sektor, immer von Soldaten der UNUnited Nations-Force Protection, also der Sicherungstruppe, begleitet.
Wir führen auch integrierte Patrouillen mit anderen UNUnited Nations-Organisationen durch. Insbesondere mit den Kollegen der UNUnited Nations-Abteilung für Menschenrechte (Human Rights Division) habe ich gute Erfahrungen gemacht. Die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind meist viele Jahre vor Ort und haben bereits Netzwerke zu den Menschen vor Ort aufgebaut. So kommen wir schneller an Informationen.
Konnten Sie bei den Patrouillen auch Kontakt zu einheimischen Frauen aufnehmen?
Bei den ersten Patrouillen ist mir aufgefallen, dass bei den Gesprächen meist nur Männer anwesend sind und dass sie die Gesprächsschwerpunkte nach ihren Interessen setzen. Ich habe mir dann überlegt, wie ich auch mit den Frauen in Kontakt treten kann. Um ein umfassendes Lagebild gewinnen zu können, halte ich es für wichtig, mit allen gesellschaftlichen Gruppen zu sprechen.
Da insbesondere Frauen dafür verantwortlich sind, Wasser und Nahrung zu besorgen, können sie oft detailliertere Auskünfte über die humanitäre Situation geben. Wenn beispielsweise ein Brunnen nicht mehr funktioniert und der nächste nur durch einen mehrere Kilometer langen Fußweg erreicht werden kann, hat das eine große Auswirkung.
So habe ich beim Besuch eines Waisenhauses in der Nähe von Dschuba eine Frau getroffen, die sehr gut englisch sprach. Ich habe sie angesprochen und sie erzählte mir von ihren Schwangerschaften und Totgeburten und dem damit verbundenen Schamgefühl. Oder während einer Patrouille in Jei, im Süden des Landes, sprach eine Frau explizit mich an und erzählte mir, dass die dort lebenden Flüchtlinge aus Uganda keine Nahrung und keine Kleidung hätten. Aufgrund der gesellschaftlichen Rollenverteilung im Land fällt es Frauen meist leichter, sich weiblichen UNUnited Nations-Kräften mitzuteilen. Durch solche Gespräche mit Frauen kann ich im Kleinen etwas erreichen.
Wird dieses Engagement innerhalb der UNUnited Nations-Mission unterstützt?
Die wachsende Präsenz weiblicher Militärbeobachter wird innerhalb der Mission sehr begrüßt. Die UNUnited Nations fordern auch in mehreren Resolutionen, den Frauenanteil in Friedensmissionen zu erhöhen und die weibliche Zivilbevölkerung stärker am Friedensprozess zu beteiligen. Bei der Durchführung von Patrouillen aber werden die Möglichkeiten, die sich durch die Beteiligung von Soldatinnen ergeben, selten genutzt. Ich habe mir selbst angeeignet, wie ich am besten auf Frauen zugehen kann. Oftmals kommt man mit ihnen über die Kinder ins Gespräch. Wenn man mit ihnen spricht und spielt, kommen die Frauen häufig dazu und teilen sich mit.
UNUnited Nations-Soldatinnen sollten besser dabei unterstützt werden, Kontakte zur weiblichen Zivilbevölkerung aufzubauen. So wäre zum Beispiel ein Leitfaden für ankommende Soldatinnen hilfreich, der konkrete Tipps enthält, wie sie im Rahmen der Mission gezielt die weibliche Zivilbevölkerung ansprechen können. Zudem sollte es mehr gemischte Patrouillenteams geben, denn sie können leichter mit allen Gruppen der Zivilbevölkerung in Kontakt treten. Mit Militärbeobachterteams, die in Bezug auf Geschlecht, Alter und Herkunft vielfältig sind, könnten wir eine bessere Beziehung zur Zivilbevölkerung aufbauen und vermutlich mehr Informationen sammeln, die wir später in das Lagebild einfließen lassen können.
In der Mission habe ich auch ein sogenanntes Female Engagement Team kennengelernt. Dieses Team der bangladeschischen Force Protection besteht nur aus weiblichen Einsatzkräften. Die 20 Soldatinnen haben es sich zur Aufgabe gemacht, explizit mit Frauen in Kontakt zu treten und Verbindungen zu ihnen aufzubauen, um so ein besseres Lagebild erstellen und auf die spezifischen Bedürfnisse der Frauen reagieren zu können.
Haben Sie bisher im Einsatz als Frau Herausforderungen erlebt?
Ja, manchmal hat mich die Zusammenarbeit mit den anderen UNUnited Nations-Militärbeobachtern vor Herausforderungen gestellt. Das liegt einfach daran, dass wir aus vielen unterschiedlichen Ländern stammen, unterschiedlich aufgewachsen und sozialisiert sind und deshalb unterschiedliche Sichtweisen haben. So wollten beispielsweise zwei Kameraden in meinem Team zu Beginn nicht mit mir sprechen, weil ich eine Frau bin. Und ich sollte sie mit „Sir“ ansprechen. Das ist dann auch anderen Kameraden aufgefallen. Sie haben mich dabei unterstützt, das Problem direkt bei den Betroffenen anzusprechen. Wir haben versucht zu erklären, dass wir nur als Team erfolgreich sind und dass ein respektvoller Umgang im Team notwendig ist.
Ein anderes Mal, als ich für drei Wochen in einer Teamsite in Jei eingesetzt war, war ich unter 300 Soldaten die einzige Frau. Der Kommandeur der nepalesischen Sicherheitstruppe riet mir, in meinem Team zu klären, dass ich unseren gepanzerten Jeep nicht fahren müsse, da dies für eine Frau viel zu schwierig sei. Ich antwortete ihm, dass Soldatinnen die gleichen Aufgaben wie Soldaten übernehmen können und auch die gleiche Ausbildung haben. Die umstehenden Offiziere schienen davon ziemlich beeindruckt zu sein.
Ich hatte nicht erwartet, dass ich als Frau Probleme innerhalb der UNUnited Nations-Mission haben würde. Im Land hingegen, auf Patrouille, hatte ich bisher keine Schwierigkeiten. Frauen in Uniformen werden respektvoll wahrgenommen und haben es bei Gesprächen oder Check-Point-Verhandlungen teilweise sogar leichter. In Jei haben wir situativ entschieden, je nachdem, wie die Stimmung war, ob ich oder ob ein männlicher Kollege das Gespräch leitet.
Werden solche Herausforderungen für Frauen im Team besprochen?
Solche Themen werden leider nicht immer offen thematisiert. Ich habe mich jedoch mit anderen Kameraden ausgetauscht, die mir den Rücken gestärkt und mich in meinem Tun bestätigt haben.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit im multinationalen Team insgesamt?
Mein Team wird durch einen Senior Military Observer, einem australischen Oberst, geführt. Das funktioniert sehr gut. Da einige Kameraden viele Jahre an Diensterfahrung mitbringen, schon oft in Einsätzen waren und wir zudem alle aus unterschiedlichen Teilstreitkräften stammen, erweitert die Zusammenarbeit den Horizont. Wir lernen von- und miteinander – jeder kann seine Stärken einbringen und sich innerhalb des Teams entfalten.
Ich habe aber festgestellt, dass es bei der Erste-Hilfe-Ausbildung in anderen Ländern andere Standards gibt. Gerade auf Patrouille kann es lebenswichtig sein, richtig Selbst- und Kameradenhilfe zu leisten. Deshalb führe ich samstags eigeninitiativ Sanitätsausbildungen für mein Team durch. Ich zeige den Kameraden zum Beispiel, wie man Tourniquets verwendet, um kritische Blutungen zu stoppen, oder wie man Verbände anlegt. Einige haben schon mehrmals an der Ausbildung teilgenommen. Das zeigt, dass sie Interesse haben. Zusätzlich habe ich kleine Erste-Hilfe-Pakete für die Mitnahme auf Patrouillen zusammengepackt.
Wie ist die aktuelle Situation im Südsudan?
Die Sicherheitslage ist insgesamt stabil, aber es gibt immer wieder vereinzelt Kämpfe. Verschiedene nomadische Stämme, die vor allem von ihren Rindern leben, bekämpfen sich gegenseitig. Dabei gerät die Bevölkerung oft ins Kreuzfeuer. Die Menschen fliehen aus ihren Dörfern. In einem Waisenhaus haben kürzlich 800 Menschen Zuflucht gesucht, weil sie Angst vor den viehtreibenden Clans haben. Die Stammesmitglieder überfallen die Häuser in den Dörfern und suchen nach Nahrung. Die Rinder zerstören die Ernte der sesshaften Dorfbewohner. Wir versuchen bei den Patrouillen, die Namen und Telefonnummern der Anführer der Nomadenstämme herauszufinden und an die entsprechenden Stellen weiterzugeben. So kann versucht werden, die Führungspersonen für Verhandlungen an einen Tisch zu bringen.
Eine weitere aktuelle Herausforderung sind die Flüchtlinge in der Grenzregion zum Kongo und zu Uganda. Da es in der Regenzeit mehr Niederschlag als sonst gab, wurde die Ernte vernichtet und Nahrungsmittel wurden knapp. Deshalb sind mehr Menschen abgewandert als sonst. Das ist eine große Herausforderung, zum Beispiel im Gesundheitsbereich.
Auch die Umsetzung des erneuerten Friedensabkommens vom 2018 geht nur langsam voran. Die geforderte Regierungsbildung wurde verschoben. Auch die Schaffung der Unified Forces, also der vereinten Streitkräfte im Südsudan, wurde bisher noch nicht angegangen. Die beiden südsudanesischen Armeen SSPDF (South Sudan People’s Defence Forces) und SPLASudan People's Liberation Army-IO (Sudan People’s Liberation Army-in-Opposition) kämpfen in einigen Regionen immer noch gegeneinander.
Welchen Eindruck macht Dschuba auf Sie?
Von der Stadt bin ich positiv überrascht. Dschuba macht einen großstädtischen Eindruck. Es gibt viel Verkehr und viele Menschen sind unterwegs. Zwar gibt es keine zentrale Wasserversorgung, aber die Stromversorgung wurde verbessert. Insgesamt ist die Entwicklung positiv. Es wird viel gebaut, die Randgebiete der Stadt wachsen und auch die Infrastruktur wird kontinuierlich ausgebaut.
Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
Trotz der Herausforderungen, die das Arbeiten in einem multinationalen Umfeld mit sich bringt, ist das Gemeinschaftsleben unter den UNUnited Nations-Kräften eine der großen Bereicherungen des Einsatzes. Noch nie war ich so oft zum Essen eingeladen und habe dabei so viel über andere Kulturen und Traditionen erfahren. Umgekehrt habe ich die brasilianischen, kanadischen und thailändischen Kollegen vor Weihnachten zu Glühwein und Plätzchen eingeladen. Dieser Austausch macht den Einsatz zu etwas ganz Besonderem. Nachmittags gehe ich meist im Rahmen einer Laufgruppe mit norwegischen und australischen Kameraden laufen. Hier in der Mission kann man die Möglichkeit nutzen, Bekannte und Freunde zu finden, die man später überall auf der Welt besuchen kann.
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