Cybersicherheit ist eine der drängenden Fragen unserer Zeit – die Bundeswehr hat dafür einen von Deutschlands führenden Forschern gewonnen: Prof. Dr. Christoph Igel wird in der Gründungsphase Forschungsdirektor der Cyberagentur.
Wann hatten Sie zum ersten Mal mit der Bundeswehr Berührung?
Das war Ende der 1980er Jahre. Ich hatte frisch mein Abitur in der Tasche und habe im Anschluss meinen Grundwehrdienst geleistet. Das waren damals fünfzehn Monate in einem Fallschirmjäger-Bataillon. So richtig kämpfende Einheit, mit Ausbildung zum Scharfschützen und Teilnahme an NATONorth Atlantic Treaty Organization-Übungen. Da war ich Fallschirm springen, Mitglied der Mannschaft des militärischen Fünf-Kampfes der Kompanie und habe all das gemacht, was zur „grünen Ausbildung“ gehört. Spannende Zeit, das hat ganz viele positive Eindrücke hinterlassen.
Vor einem Jahr sind Sie wieder zur Bundeswehr zurückgekehrt. Zuletzt waren Sie im Kommando CIRCyber- und Informationsraum. Wie war der Einstieg in die Truppe für Sie?
Meine Rückkehr als Seiteneinsteiger in die Bundeswehr war wirklich ein spannendes Vorhaben. Anders kann ich das nicht formulieren. Ich musste in den ersten Monaten wieder eine Grundausbildung machen. Im ITInformationstechnik-Bataillon in Gerolstein. Man glaubt es nicht, aber wir sind wirklich über die Hindernisbahn. Das war kein Zuckerschlecken. Nach vier Monaten habe ich mich als Soldat auf Zeit vereidigen lassen und bin ins Kommando Cyber- und Informationsraums nach Bonn gekommen. Dort war ich in der Abteilung Planung im Bereich Digitalisierung eingesetzt und habe gleichzeitig versucht, mein Wissen und meine Expertise überall dort einzubringen, wo sie gefordert waren. An dieser Stelle muss ich besonders den kameradschaftlichen Umgang und die Unterstützung hervorheben, die mir dort entgegengebracht wurden.
Das bedeutet, Sie waren schon in den Strukturen eines Ihrer beiden Bedarfsträger BMVgBundesministerium der Verteidigung und BMIBundesministerium des Innern integriert?
Ja, klar. Die Monate waren vor allem dadurch geprägt, dass ich lernte: Wie funktioniert ein Kommando? Wie sind denn die militärischen Strukturen? Thematisch und inhaltlich. Für mich war besonders interessant, was Digitalisierung für das Kommando bedeutet, für den Organisationsbereich und für die Streitkräfte. Und was wirft das denn dort eigentlich an neuen Fragen auf.
Die neue Cyberagentur des Bundes wird federführend vom Verteidigungsministerium und dem Innenministerium gegründet. Wie stellen Sie sich die ressortübergreifende Zusammenarbeit vor?
Meines Wissens nach ist das für das BMVgBundesministerium der Verteidigung und auch das BMIBundesministerium des Innern das erste Mal, dass eine ressortübergreifende Gesellschaft etabliert wird. Wenn man auf die BWI und den CIHCyber Innovation Hub schaut, sind das immer zu hundert Prozent Elemente der Bundeswehr. Hier ist zuerst einmal die Situation, dass ein zweiter Geschäftsbereich der Bundesregierung mit dabei ist. Das wird spannend. Es wird zu Beginn sicherlich noch etwas dauern, bis die Zusammenarbeit vollständig rund läuft. Da werden wir in den nächsten Monaten schauen müssen. Es ist Greenfield – jeder Schritt ist neu.
Inwiefern können Sie von Ihrer vorherigen Tätigkeit am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz als neuer Forschungsdirektor der Cyberagentur profitieren?
Wovon ich natürlich profitieren kann, ist zum einen, dass ich durch meine Tätigkeit am DFKIDeutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz gelernt habe, in einem international renommierten Forschungszentrum an aktuellsten Themen zu arbeiten. Das heißt, auf der einen Seite aus einer Wissenschaftsperspektive zu verstehen, was relevante Forschungsfragen sind. Auf der anderen Seite aber auch, staatliche Interessen zu verstehen. Aber besonders hilft mir der Punkt, dass ich vor der Aufgabe stand, ab 2010 einen neuen Bereich für KIKünstliche Intelligenz-basierte Forschung aufzubauen.
Die Cyberagentur ist jedoch kein Forschungszentrum. Sie wird vielmehr die Aufgabe haben, Forschung zu Themen der Cybersicherheit zu stimulieren, zu finanzieren, zu koordinieren. Auch wird sie die Aufgabe haben, Bedarfe im Bereich der Cybersicherheit zu detektieren. Das ist für das BMVgBundesministerium der Verteidigung insofern einfacher, weil sein Bereich die Bundeswehr ist, obwohl die Truppe sehr heterogen ist. Das Feld der innere Sicherheit ist aufgrund des breiten Aufgabenportfolios der Sicherheitsbehörden vielfältiger. Insgesamt wird es eine Aufgabe sein, die Bedarfe im Bereich der Forschung für die Cybersicherheit zu kanalisieren.
Ich vergleiche daher die Cyberagentur eher immer mit dem, was wir in der Wissenschaft als Projektträger kennen. Das ist mir ganz wichtig, auch weil viel in den letzten Monaten immer wieder falsch dargestellt worden ist. Sicherlich werden auch Wissenschaftler in der Cyberagentur tätig sein. Aber wir werden nicht die Aufgabe haben zu forschen, sondern die Aufgabe zu managen, zu koordinieren, zu stimulieren, zu reporten, zu evaluieren.
Wie wollen Sie es schaffen, Personal aus dem hart umkämpften ITInformationstechnik-Markt für die Cyberagentur zu begeistern?
Es gibt weltweit einen Kampf um die besten Köpfe in der Wissenschaft – das ist Fakt. Und das gilt nicht nur für die Cyberagentur, sondern zum Beispiel auch für Forschungsinstitute generell. Es gilt im Übrigen auch für jedes Unternehmen, das in diesem Bereich tätig ist. Die Anzahl von Menschen in Deutschland, die Kompetenzen in den Themen Cybersicherheit und Forschung haben, ist begrenzt.
Aber die Cyberagentur wird etwas anbieten können, was Sie an keiner anderen Stelle in Deutschland erleben werden. Wir können Zugang zu Institutionen, Einblicke in Tätigkeitsfelder und Anwendungsbereiche anbieten, die keiner anderen Institution zur Verfügung stehen. Das alles im sensiblen Bereich der inneren wie äußeren Sicherheit. Das ist meines Wissens sonst nirgendwo möglich. Und: Man kann einen substanziellen Beitrag für die Entwicklung unserer Gesellschaft leisten. Wie ich persönlich finde – ein zunehmend immer wichtiger werdendes thematisches Feld, das im Übrigen auch mich persönlich motiviert hat, zur Bundeswehr zurückzukehren, und auch entscheidend war, um diese neue Aufgabe anzunehmen.
Ich glaube, dass wir gerade junge Menschen sehr dafür begeistern und einnehmen können, wenn wir auf der einen Seite diese Explosivität an Themen darlegen und auf der anderen Seite aber eben auch an eine Verantwortung für unsere Gesellschaft, ja, für die Zukunft eines jeden Einzelnen appellieren. In dieser Interaktion kann es gelingen, die besten Köpfe zu gewinnen. Im Übrigen: Meiner Erfahrung nach ist die Gewinnung von hervorragendem Personal nicht primär eine Frage des Gehalts.
Könnte der Standort Halle/Leipzig ein Nachteil dabei sein?
Aus einer reinen Forschungsperspektive wären andere Standorte womöglich augenfälliger gewesen. Wir sind jedoch in einer dynamischen, wachsenden, ich will sagen, einer hungrigen Region, hier möchte man etwas Neues aufbauen. Ich habe dort erste Gespräche führen dürfen. Die Menschen wollen dort etwas bewegen und sind neugierig und sehr motiviert.
Reicht das Budget von rund 350 Millionen Euro, um in Konkurrenz mit dem Forschungsinstitut des Pentagon DARPADefense Advanced Research Projects Agenc, Silicon Valley und China zu treten?
Bei derartigen Vergleichen bin ich sehr vorsichtig, wie ich auch grundsätzlich der Meinung bin, dass man bei der Formulierung von Erwartungen an die Leistungsfähigkeit der Cyberagentur vorsichtig sein muss. Die DARPADefense Advanced Research Projects Agenc kann hier als Vorbild fungieren. Sie verfügt aber über jährlich drei Milliarden Dollar an Forschungsmitteln und wurde bereits 1958 gegründet.
Welche Themen sollen es denn überhaupt sein, die in der Agentur bearbeitet werden? Selbst wenn Sie jetzt statt 350 Millionen 550 Millionen hinlegen, brauchen Sie Themen und Inhalte. Und Sie brauchen die Menschen, also die Wissenschaftler und Cyber-Experten, die in der Lage sind, in Deutschland diese Themen auch aufzugreifen. Das wird erstmal die drängende Aufgabe der Agentur sein, die besten Köpfe in Deutschland zum Thema Cybersicherheit zu gewinnen.
Die Agentur wird mittel- und langfristige Forschung finanzieren. Da wird es wirklich hoch spannend, weil wir über Themen reden, die Wissenschaftler in ihrer weltweiten Community versuchen zu verstehen. Und diese Themen, grundlegende Themen im Bereich Cybersicherheit, muss sie jetzt den Bedarfsträgern nahebringen. Themen, die Wissenschaftler selbst noch definieren müssen.
Wo sehen Sie für sich die größte Herausforderung in der nächsten Zeit?
Verständlich zu machen, dass die Cyberagentur die mittel- bis langfristige Forschung finanziert. Dass wir ein positives Miteinander, auch mit der Wissenschaft, entwickeln. Und dass wir Bedarfe in den Geschäftsbereichen des Bundes, BMVgBundesministerium der Verteidigung und BMIBundesministerium des Innern identifizieren und daraus Programme und Projekte ableiten. Und: Im Erwartungsmanagement müssen wir sehr klar kommunizieren, was unser Outcome sein wird. Ich betone nochmal: Es ist die Aufgabe der Agentur, innovative wie zukunftsgestaltende Forschungs- und Innovationsvorhaben auf den Weg zu bringen. Und dies im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Dabei wollen wir mit den besten Wissenschaftlern und Cyber-Experten in Deutschland arbeiten. Das heißt potenziell auch mit etwa 360 Hochschulen in Deutschland und mit 40.000 Professoren. Wie kann ich die für uns gewinnen? Auch im Hinblick auf Zivilklauseln und Dual-Use-Problematiken. Da werden wir erstmal richtig dicke Bretter bohren müssen.
Das Interview führte Matthias Lehna.
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