Leutnant Sven Bäring ist Vorsitzender von QueerBw, der Interessenvertretung der sexuellen Minderheiten in der Bundeswehr. Ein Interview über Diskriminierung, Akzeptanz und Comingouts.
Redaktion der Bundeswehr: Leutnant Bäring, heute stellt die Verteidigungsministerin die Studie „Tabu und Toleranz“ vor. Lange hat die Bundeswehr homosexuelle Soldaten diskriminiert – nun werden sie rehabilitiert. Erfüllt Sie das mit Genugtuung?
Bäring: Ganz klar: Heute ist ein großer Tag für die queeren Menschen in der Bundeswehr. Er ist eine Anerkennung ihrer Leistungen im Kampf um Gleichstellung. Für uns ist er ebenso bedeutend wie die Aufhebung der Diskriminierungspraxis gegenüber homosexuellen Soldaten im Jahr 2000, die Einrichtung der Ansprechstelle für Diskriminierung und Gewalt im Jahr 2017 oder die Entschuldigung der Ministerin für das erlittene Unrecht im März dieses Jahres.
Was macht den heutigen Tag für sie so bedeutsam?
Bis vor 20 Jahren gab es in der Bundeswehr ein de facto Berufsverbot für homosexuelle Soldaten. Es war ja keine heimliche oder indirekte Diskriminierung – im Gegenteil: Man kann in den Vorschriften nachlesen, wie Homosexuelle systematisch ausgegrenzt wurden, dass sie weniger Wert waren als andere Soldaten. Das einzuräumen, hat sich vor Annegret Kramp-Karrenbauer noch kein Verteidigungsminister getraut. Ihr verdanken wir, dass unsere Anliegen wieder ganz oben auf der Agenda gelandet sind.
QueerBw fordert die Rehabilitierung von Diskriminierungsopfern schon lange. Was läuft mit der neuen Ministerin anders?
Tatsächlich haben wir das Thema schon 2003, 2004 zum ersten Mal angesprochen. Es hat sich aber nie viel bewegt. Beim ersten Treffen mit Ministerin Kramp-Karrenbauer haben wir das Anliegen noch einmal vorgebracht – und plötzlich hieß es, man könne darüber reden. Das hat uns ziemlich überrascht.
Die Gesellschaft bekennt sich inzwischen zum Schutz der sexuellen Minderheiten. Sie sind mit 25 Jahren noch jung – können Sie sich überhaupt vorstellen, was die Soldaten damals durchmachten?
Eine ganze Menge Soldaten – auch einige QueerBw-Mitglieder – haben diese Zeit ja noch erlebt. Gerade für junge Homosexuelle wie mich sind ihre Geschichten ganz schön beängstigend. Zum Beispiel die von einem Wehrpflichtigen, der am Montagmorgen in den Dienst kommt und sofort hört: Nimm deine Sachen, du bist raus. Das führte dazu, dass er sich auch zu Hause gegenüber seinen Eltern outen musste – die wollten wissen, warum er rausgeworfen worden war. Solche Geschichten brennen sich richtig ein, da läuft es mir kalt den Rücken runter. Auch heute kenne ich noch Offiziere, die sich bei ihren Kameraden und Vorgesetzten nicht als Homosexuelle zu erkennen geben. Sie befürchten immer noch Nachteile für ihre Karriere.
Sie sind 2013 in die Bundeswehr eingetreten. Wie sind Sie mit dem Thema umgegangen?
Ich drücke es mal so aus: Der Umgang mit Homosexuellen stand bei der Entscheidung für die Bundeswehr nicht unbedingt auf der Proseite. Die Bundeswehr galt damals nicht unbedingt als Vorkämpfer für die queere Gemeinschaft. Mir war klar, dass meine Sexualität problematisch sein könnte, meine Mutter hat sich sogar Sorgen gemacht. Deshalb habe ich mich am Anfang bedeckt gehalten und habe mich während der Grundausbildung nicht geoutet. Als Neuling wollte ich mich erstmal über Leistung beweisen. Ich wollte keine Angriffsfläche bieten. Erst am Ende der Grundausbildung habe ich mich einigen Kameraden geöffnet – das waren witzigerweise alles Frauen.
Als QueerBw-Vorsitzender sind nun ja quasi das Aushängeschild der homosexuellen Soldaten der Bundeswehr. Sie stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wie passt das zusammen?
Nach der Grundausbildung bin ich an eine zivile Universität gegangen. Da habe ich einfach irgendwann aufgehört, ein Geheimnis um meine Sexualität zu machen. Das macht ja auch Mühe, einen Teil der Persönlichkeit zu verheimlichen. Ich habe meinen damaligen Freund also einfach zu einem Treffen mit meinen Mitstudenten mitgebracht. Es gab überhaupt keine negativen Reaktionen. Das war für mich extrem befreiend. Akzeptiert zu werden als der, der ich auch wirklich bin – und nicht als der, der ich vorgebe zu sein.
Wie sind sie denn an QueerBw – damals noch unter dem alten Namen AHsAB – geraten?
Kein Scherz: Indem ich „Bundeswehr“ und „schwul“ gegoogelt habe. An der Universität habe ich mich in einer queeren Hochschulgruppe engagiert und mich gefragt, ob es so etwas auch bei der Bundeswehr gibt. Als ich den AHsAB entdeckt hatte, habe ich ihn für einen Vortrag an die Universität eingeladen. Hinterher waren wir noch etwas trinken – und da wurde ich gefragt, ob ich mitmachen möchte. Ich wurde quasi von der Theke wegrekrutiert.
Ist die Bundeswehr des Jahres 2020 ein guter Platz für Homosexuelle?
Es gibt keine institutionelle Diskriminierung mehr, die ist beseitigt. In der Bundeswehr herrscht heute eine offene Atmosphäre, man kann sich ohne Bedenken outen. Wenn die Bundeswehr als Arbeitgeber passt, sollte man auch hingehen – ganz unabhängig von der Frage der sexuellen Orientierung. Klar ist aber auch, dass man nicht von allen 250.000 Angehörigen der Bundeswehr die gleiche Sensibilität für das Thema erwarten kann.
Wie wollen Sie ein Mehr an Akzeptanz für die sexuellen Minderheiten fördern?
Wir plädieren dafür, die Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Vielfalt zu einem verpflichtenden Teil der soldatischen Ausbildung zu machen. Dabei sollte möglichst früh angesetzt werden, um Einfluss auf das Werteverständnis der jungen Kameraden nehmen zu können: Am besten schon in der Grundausbildung oder spätestens während der ersten Laufbahnausbildung. Einem Feldwebel in seinen Vierzigern noch einmal eine ganz andere Sicht auf die Welt zu vermitteln, ist da schon etwas schwieriger.
Herr Bäring, danke für das Gespräch!
Die Fragen stellte Timo Kather.
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