Über Traditionen in der Bundeswehr wird derzeit viel debattiert. Nun soll der Traditionserlass von 1982 überarbeitet werden. Dazu fand am 12. Juni 2017 eine interne Impulsveranstaltung im BMVgBundesministerium der Verteidigung statt. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen betonte die Bedeutung der bundeswehreigenen Geschichte, die sich als Armee in der Demokratie bewährt hat. „Es geht nicht um die Würdigung der Geschichte, sondern um Soldatinnen und Soldaten von heute und morgen“, sagte die Ministerin.
Die Veranstaltung bildete den Auftakt zu einer Serie von Workshops, die den Prozess der Überarbeitung des Traditionserlasses anschieben sollen. Die Auftaktveranstaltung stand unter dem Motto „ Von Himmerod an den Hindukusch – 60 Jahre bundeswehreigene Tradition“. Sie umfasste die Zeitspanne von Himmeroder Denkschrift im Oktober 1950 über den Aufbaubeginn der Bundeswehr ab 1955 bis heute. Ziel war es, erste Ideen zu sammeln und zu diskutieren.
Bereits im Weißbuch vom Juli 2016 war die Überarbeitung des Erlasses angeregt worden. Auch die aktuellen Ereignisse werfen viele Fragen auf. „Warum greifen junge Soldatinnen und Soldaten auf die 12 dunkelsten Jahre unserer Geschichte zurück, wenn es doch 61 Jahre Bundeswehr gibt? Gibt es ein Vakuum?“ Mit diesen Worten forderte die Ministerin die Anwesenden zur Diskussion auf.
Wie Traditionen gebildet werden Rund 25 Generale und Admirale diskutierten in fünf Panels verschiedene Ansätze zur Überarbeitung des Erlasses. Sie stellten dann ihre Überlegungen einem Fachpublikum aus den Teilstreitkräften und Organisationsbereichen, Kommandeuren der bundeswehreigenen Schulen und Akademien, Militärhistorikern sowie dem Personalvertretern vor. Auch das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, das Zentrum Innere Führung und Mitglieder des Beirates für Fragen der Inneren Führung waren vertreten. Mit den fünf Panels sollte geklärt werden, welche Zusammenhänge der bundeswehreigenen Geschichte für zukünftige Generationen anschlussfähig sein könnten, um daraus Traditionen abzuleiten.
Tradition ist eine wertegebundene Auswahl aus der Geschichte für die Gegenwart und die Zukunft. Der Zweck von Traditionen ist es, Identitäten von Gruppen durch gemeinsame Werte zu festigen. Daher muss bei der Überlegung, welche Traditionen eine Gesellschaft für sich annehmen will, immer die Frage im Vordergrund stehen, welche Werte sich damit verbinden. „Wir müssen uns unserer eigenen 60-jährigen Geschichte bewusster werden. Dazu sollten wir Geschichten in den Einheiten und Verbänden sammeln und schauen, was davon traditionswürdig ist. Das heißt, wir müssen überlegen, was davon die der Tradition der Bundeswehr zugrunde liegenden Normen und Werte in besonderer Weise reflektiert“, sagte Brigadegeneral Udo Schnittker.
Der Schwerpunkt dieser ersten Veranstaltung auf die bundeswehreigene Geschichte lenkte den Blick auf fünf Aspekte der letzten 60 Jahre. Es wurde diskutiert, ob der Beitrag der Bundeswehr als Bündnisarmee im Kalten Krieg mit dem Eintreten für Freiheit, Frieden und Demokratie traditionswürdig ist. In einem anderen Panel wurde überlegt, ob die Multinationalität der Bundeswehr als Bündnisarmee im transatlantischen und europäischen Rahmen als Wert für die Begründung einer neuen Tradition anschlussfähig sei. In zwei weiteren Panels wurde die Erweiterung der bereits existierenden Traditionen um die Aspekte der Armee im Einsatz und der Armee der Einheit besprochen. Auch die Frage, wie die Innere Führung als bereits implementierte Organisations- und Führungsphilosophie der Bundeswehr in dem überarbeiteten Traditionserlass gestärkt werden könnte, wurde erwogen.
In den Präsentationen der Panels und der darauf folgenden Diskussionsrunde wurde deutlich, dass die Traditionen, nicht nur integrativ und ethisch bindend sein sollen, sondern sie müssen auch greifbar für die Soldaten sein. Viele Teilnehmer brachten darüber hinaus in die Diskussion die unterschiedlichen Anforderungen, die sie an einen Erlass stellen, mit ein: Er sollte möglichst alle mitnehmen, unabhängig von Alter, Dienstgrad, Soldat oder zivilem Mitarbeiter. Er soll ausreichend Freiraum zur Gestaltung auf Einheitsund Verbandsebene lassen, aber gleichzeitig für alle bindende Elemente enthalten. Auch wurde angemerkt, dass die Traditionslinien nach dem Prinzip des Staatsbürgers in Uniform nicht nur von den Angehörigen der Bundeswehr als solche angenommen werden müssen, sondern, dass sie auch in der übrigen Gesellschaft akzeptiert sein sollten. Eine weitere Frage war, in wie weit die Leistungen einzelner Personen oder einzelne Einheiten traditionsbildend sein könnten.
Alle Teilnehmer waren sich darüber einig, dass der Traditionserlass nach 35 Jahren aktualisiert werden müsse – ob nur in Teilen oder vollumfänglich.
Auch inhaltlich gibt es naturgemäß noch viel zu besprechen. Die Kernpunkte der inhaltlichen Diskussion zu sondieren, war das Ziel dieser Impulsveranstaltung. So sagte Brigadegeneral Ruprecht von Butler: „Einerseits muss der Traditionserlass zeitlos bleiben, um ihn nicht alle fünf Jahre überarbeiten zu müssen. Andererseits muss er konkreter und damit greifbarer werden. Es ist wichtig, die Balance zu finden – das wird die größte
Herausforderung.“ Der Tenor, dass Traditionen auch für junge Soldaten greifbar und fühlbar sein müssen sowie wie dies zu erreichen sie, spiegelte sich in der Diskussion deutlich wider. „Ich bin seit 30 Jahren Soldat und kann die abstrakten Werte mit Beispielen aus meiner Erfahrung füllen. Aber für junge Soldaten, die neu in die Truppe kommen, sind diese Werte oft nicht greifbar. Daher sollte der Traditionserlass um einen Anhang mit Beispielen ergänzt werden“, schlägt von Butler vor.
Eine Zweite Herausforderung sieht Brigadegeneral Schnittker in verschiedenen Aushandlungsprozessen: „Einerseits zwischen Geschichte und Tradition – und andererseits zwischen den Besonderheiten der einzelnen Truppengattungen und der Bundeswehr allgemein. Dieser Aushandlungsprozess braucht Zeit.“ Mit der Kick-Off-Veranstaltung wurden die Aushandlungsprozesse in Gang gesetzt. Die Diskussionen zeigten die Bereitschaft aller, daran mitzuwirken – auch wenn es noch viel zu diskutieren geben wird.
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