Das soldatische Selbstverständnis war Thema eines hochkarätig besetzten Treffens am 24. August im Zentrum Innere Führung in Koblenz.
Soldaten sind Staatsbürger in Uniform und erfüllen als solche eine wichtige Rolle in der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Sie sind sich ihrer bürgerlichen Rechte und ihrer soldatischen Pflichten bewusst und bringen sie miteinander in Einklang. Dieses Selbstverständnis gehört seit der Gründung der Bundeswehr zum Markenkern der Truppe, muss aber immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden.
Auf der Impulsveranstaltung „Innere Führung heute“ trafen sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Generalinspekteur Volker Wieker und die Inspekteure der Teilstreitkräfte, um zusammen ein Lagebild zu erarbeiten. Gemeinsamer Tenor nach dem arbeits- und gesprächsintensiven Tag am Zentrum für Innere Führung in Koblenz: Das Konzept der Inneren Führung sollte von der Bundeswehr behutsam weiterentwickelt werden, eine vollständige Neufassung ist aber nicht nötig.
„Die Vorkommnisse des Frühjahrs haben uns getroffen – von der Geschmacklosigkeit bis zur Straftat. Sie stehen im absoluten Widerspruch zur Inneren Führung“, sagte von der Leyen in ihrer Eröffnungsrede. „Sie waren auch deshalb so schmerzhaft, weil die übergroße Mehrheit der Soldaten treu dient.“ An der Inneren Führung zu arbeiten sei eine Daueraufgabe, an die sich auch die Fortentwicklung des Traditionsverständnisses anschließe. „Innere Führung hat unseren Soldaten über 60 Jahre ein festes ethisches Fundament gegeben. Sie wurzelt auf dem Grundgesetz, ist zeitlos und universell gültig.“
Den Vorgesetzten komme dabei eine besondere Aufgabe zu. „Heute sind andere Wege und Instrumente nötig, um Innere Führung zu transportieren. Aufgaben und Gesicht Bundeswehr haben sich verändert“, sagte von der Leyen. Die Diskussion solle auf allen Ebenen geführt werden – in den Kompanien bis hin zu den Inspekteuren. „Es gilt herausfinden, was Soldaten als angemessene und motivierende Führung erachten, wo Hemmnisse liegen und welche guten Ansätze gestärkt werden können. Ich erinnere mich etwa an den Feldwebel, der nach dem Hubschrauberabsturz in Mali einen Offizier getröstet hat. Und darüber hinaus gibt es viele Beispiele für überzeugenden und überzeugten Dienst in der Bundeswehr.“
Doch es gebe Fehlverhalten: „Wenn es 1000 Mal klappt und 20 Mal nicht, dann müssen wir uns darauf konzentrieren und nach dem Warum fragen.“ Dieser Workshop helfe, ein Lagebild zu erstellen. Doch damit sei es nicht getan. „Die Mühen der Ebene liegen noch vor uns“, sagte von der Leyen.
Der Kommandeur des Zentrums Innere Führung, Generalmajor Reinhardt Zudrop, erinnerte: „Auslöser dieser Veranstaltung waren Ereignisse, die auch auf unzureichendes Führungsverhalten zurückzuführen waren.“
„Das Programm „Innere Führung heute“ dient der Verdichtung des Lagebilds. Entscheidend für den Erfolg wird sein, ob am Ende in Truppe eine Verbesserung ankommt und wahrgenommen wird“, sagte Zudrop. „Voraussetzungen dafür sind ein langer Atmen, Dialogbereitschaft und der unbedingte Willen, dass sich etwas verbessert.“ Dafür sei ein breiter Ansatz notwendig, weil auch das Konzept der Inneren Führung so breit sei, und etwa auch politische Bildung, Fürsorge und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf beinhalte. Die öffentliche Diskussion habe auf Weiterentwicklung dabei wie Katalysator gewirkt.
Professor Miriam Müthel von der WHUOtto Beisheim School of Management Otto Beisheim School of Management in Vallendar sagte in ihrem Impulsvortrag zu guter Führung in privatwirtschaftlichen Unternehmen: „Die Kriterien guter Führung sind immer zielorientiert.“ Seien es aufgabenbezogene Ziele ökonomischer, ökologischer oder sozialer Art, aber auch mitarbeiterbezogene Ziele wie neue Talente zu gewinnen. „Unternehmen sind immer dann erfolgreich, wenn Führungskräfte das Potenzial ihrer Mitarbeiter entfalten können“, sagte Müthel. Die meisten Mitarbeiter wollten sich entwickeln, brauchten dafür aber die Anerkennung und Unterstützung ihrer Führungskräfte.
Bei Hemmnissen sei oft mehr als eine Ebene beteiligt. Mitarbeiter seien frustriert, wenn sie zu wenig entscheiden dürften – ein Mangel auf Unternehmensseite. Oder wenn Vorgesetzte der Meinung seien, alles besser zu wissen und Ideen ihrer Mitarbeiter abschmetterten. Doch auch von Mitarbeiterseite könne es knirschen – wenn diese keine Verantwortung übernehmen wollten, häufig aus Angst vor Fehlern.
Im Anschluss fassten die Inspekteure aller sechs Organisationsbereiche zusammen, was gute Führung für sie bedeutet und ihr im Weg stehe. Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Jörg Vollmer, betonte die Wichtigkeit der Dienstaufsicht. „In Zeiten von SAZVSoldatenarbeitszeitverordnung, Bürokratie und angespannter Personallage sind viele Vorgesetzte an ihren Schreibtisch gebunden. Doch wir sollten das nicht als Ausrede nehmen – wir brauchen Freiräume. Vorgesetzte müssen ihre Untergebenen kennen, der Alltag ist zu oft von Abwesenheit geprägt.“ Das Heer habe deswegen die Offensive „Gutes Führen“ aufgelegt, um bewährten Grundlagen neuen Schwung zu verleihen. Leitsatz sei dabei „Pass auf deinen Kameraden auf“.
Der stellvertretende Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Peter Bohrer, sprach über die hohe Spezialisierung und Vielfalt der Angehörigen seines Organisationsbereiches. „Der unterschiedliche Erfahrungshorizont ist für mich allerdings kein Problem, sondern unsere Chance und Stärke.“ Als Hemmnis guter Führung sehe Bohrer eine „übergroße Angst, Fehler zu machen“. „Das hemmt sowohl die eigene Entwicklung als auch die des Systems.“
Der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, war sich sicher: „Wir haben kein Problem mit der Inneren Führung. Wir können stolz darauf sein, dass überwiegend gut geführt wird.“ Gute Führung lerne man nur in der Praxis, weswegen Maßnahmen zur Entbürokratisierung umgesetzt werden müssten. Das schaffe Zeit, die Vorgesetzte zur Dienstaufsicht nutzen könnten.
Der Inspekteur Cyber- und Informationsraum, Generalleutnant Ludwig Leinhos, berichtete, er habe in seinem Bereich viele Quereinsteiger. „Das fordert das System heraus.“ Problematisch sei, dass manche Soldaten zu häufig im Einsatz seien. „Teilweise fast durchgängig. Das müsste vom Vorgesetzten unterbunden werden“, empfahl Leinhos.
Der Inspekteur Sanität, Generaloberstabsarzt Michael Tempel, stimmte zu, es sei eine Herausforderung, Innere Führung in den Alltag zu integrieren. Ihm fehle die Zeit, gleichzeitig militärische Führer und medizinische Fachleute auszubilden. 25 Prozent seiner Dienstposten seien nicht besetzt, in prekären Bereichen mehr. „Doch damit will ich mich nicht zufrieden geben“, sagte Tempel. Ein Anfang sei mit dem Spitzenkräftecoaching gemacht. Die Verbesserung der Fehlerkultur sei in Planung. Es gehe dabei vor allem darum, Fehler melden zu können, ohne dabei persönliche Nachteile zu erfahren.
Der stellvertretende Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Rainer Brinkmann, leitete ein mit den Worten: „Die Monstranz Innere Führung allein wird nicht die Sünde aus der Welt schaffen.“ Er erinnerte daran, dass dem Soldatenberuf auch Härten wie lange Abwesenheitszeiten innewohnten: „Es ist eine emotionale Achterbahnfahrt, Frust und Lust – alles, nur keine tariflich normierte Eintönigkeit. Schweiß und Tränen gehören dazu.“
Dem Auftaktseminar sollen nach Angaben von Brigadegeneral Oliver Kohl, Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 41 und Leiter der Arbeitsgruppe „Innere Führung heute“, bis Herbst 2018 weitere Workshops landesweit folgen.
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