Der sächsische Landesrabbiner Zsolt Balla übernimmt das Amt des Militärbundesrabbiners. Die Bundeswehr bekommt damit zum ersten Mal eine jüdische Militärseelsorge. Im Interview spricht der orthodoxe Geistliche über seinen Weg zum Glauben, sein Leben in Deutschland und die Bedeutung des Dialoges zwischen den Kulturen.
Herr Balla, Sie sind seit heute der erste Militärbundesrabbiner der Bundeswehr. Wie gehen Sie Ihr neues Amt an?
Die Streitkräfte sind der Garant dafür, dass wir in Frieden und Freiheit zusammenleben können. Diese Arbeit möchte ich seelsorgerisch unterstützen. Meine Kollegen und ich werden für alle Soldatinnen und Soldaten da sein. Egal, ob sie Christen, Muslime, Juden oder konfessionslos sind. Wir beraten in ethisch-moralischen Fragen und sorgen für das seelische Wohl der Frauen und Männer, genau wie christliche Seelsorger. Wer unsere Unterstützung sucht, der kriegt sie.
Was wollen Sie für die jüdischen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr tun?
Ich möchte, dass die Juden in der Bundeswehr sichtbarer werden, dass ihren religiösen Bedürfnissen Rechnung getragen wird. Ich hoffe, dass die Tätigkeit der Militärrabbinerinnen und Militärrabbiner eine neue Ära einleitet: Jüdisches Leben soll nicht nur in der deutschen Gesellschaft, sondern auch in der Bundeswehr zu einer Normalität werden.
Die Erwartungen an Sie sind hoch. Wie wollen Sie ihnen gerecht werden?
Mit harter Arbeit: Diejenigen, die am meisten tun, können auch am meisten bewirken. Natürlich spüre ich einen gewissen Druck, aber das ist nichts Schlechtes. Ich bin mir des historischen Gewichtes meiner Aufgabe bewusst. Das ist eine große Sache, eine einmalige Chance: Nicht nur für die deutsche Gesellschaft, sondern auch für die jüdische Gemeinschaft. Das Interesse aus dem In- und Ausland ist groß, auch aus der Truppe erreichen mich schon seit Wochen Anfragen. Man will mich kennenlernen, sich mit mir austauschen. Mein Terminkalender war schon voll, bevor ich ins Amt eingeführt wurde. Das freut mich unglaublich.
Warum haben Sie eine religiöse Laufbahn eingeschlagen und sind Rabbiner geworden?
Ich komme aus einer säkularen jüdischen Familie. Mein Vater war Berufsoffizier in der ungarischen Armee. Bei uns hat der Glauben kaum eine Rolle gespielt, eigentlich wollte ich auch keinen religiösen Beruf ergreifen. Als junger Erwachsener habe ich angefangen, mich für meine jüdischen Wurzeln zu interessieren. Nach dem Studium hatte ich die Idee, nach Deutschland zu gehen und den Talmud zu studieren. Eigentlich wollte ich nur ein Jahr bleiben und Erfahrungen im Ausland sammeln. Nach dem zweiten Jahr stand fest: Ich möchte helfen, das Leben anderer Menschen zu verbessern. Ich will Rabbiner werden.
Wie kam der Kontakt zur Bundeswehr zustande?
Der Zentralrat der Juden bekam vor sechs, sieben Jahren eine Anfrage von Zentrum für Innere Führung. Gesucht wurde ein Rabbiner für die Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen. Es war eine große Ehre, als mir diese Aufgabe übertragen wurde. Ich war glücklich, für die Soldatinnen und Soldaten da sein, aber auch mit den Streitkräften in einen Dialog zu treten zu können. Als Bundeswehr und Zentralrat einen Militärbundesrabbiner suchten, fiel die Wahl auf mich.
2009 wurden Sie als einer der ersten orthodoxen Rabbiner nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland ordiniert. Sie leben seit 18 Jahren hier, haben eine Familie gegründet. Ist das „Land der Täter“ zur Heimat geworden?
Ich hatte schon ein komisches Gefühl, als ich das erste Mal nach Deutschland gekommen bin. Aber 24 Stunden später war es weg. Ich lebe in einer weltoffenen Stadt und habe kaum negative Erfahrungen gemacht. Manchmal ernte ich einen schiefen Blick, wenn die Leute meine Kippa sehen. Die Mitglieder meiner Gemeinde berichten mir aber auch von einem latenten Antisemitismus vieler Menschen. Ich hoffe, auch diesbezüglich eine Veränderung herbeiführen zu können.
In Leipzigs Nachbarstadt Halle wurde 2019 ein Terroranschlag auf die Synagoge verübt, zuletzt gab es in deutschen Städten antisemitische Demonstrationen. Wie kann man dem Hass begegnen?
Wenn es darauf eine einfache Antwort gäbe, ginge es der Menschheit schon lange besser. Antisemitismus und Hass auf Minderheiten gibt es leider überall auf der Welt. Halle zeigte, wie die Tat eines Einzelnen eine ganze Gesellschaft erschüttern kann. Ich denke, dass negative Gefühle vor allem deshalb entstehen, weil wir uns nicht kennen, uns also fremd sind. Man kann den Hass also bekämpfen, indem man offen, ohne Tabus miteinander spricht. So entsteht Nähe. Und wenn man sich kennt, ist es nicht mehr ganz so einfach, einander zu hassen. Für mich ist der interkulturelle und der interreligiöse Dialog der Weg, um die Gesellschaft gemeinsam zu verändern.
Das setzt voraus, dass alle Beteiligten zum Dialog bereit sind. Ist das realistisch?
Es braucht eine gemeinsame Diskussionsgrundlage. Zur Bundeswehr kommen Leute, die Deutschland und seine freiheitliche demokratische Grundordnung verteidigen wollen. Genau das will ich auch. Damit ist die Basis für einen Austausch gelegt. Wir müssen im Dialog aber auch deutlich machen, was in Ordnung ist und was nicht. Als Seelsorger können wir im Lebenskundlichen Unterricht klarstellen, was ethisch und moralisch von jeder Soldatin und jedem Soldaten erwartet wird. Werden Grenzen überschritten, muss der Hass geächtet und vor allem isoliert werden. Klar ist aber auch, dass man ihn niemals vollständig eliminieren kann.
Was motiviert Sie, es trotzdem zu versuchen?
Dazu gibt es ein schönes jüdisches Sprichwort: Es ist nicht deine Pflicht, die Arbeit zu vollenden – aber das befreit dich nicht davon, mit ihr anzufangen. Ich wünsche mir für meine Kinder, dass sie in einer Gesellschaft leben, in der sie ihren Glauben frei ausüben und einen konstruktiven Beitrag leisten können. Die jüdische Ethik verpflichtet dazu, andere Lebensentwürfe zu respektieren und sich nach bestem Wissen in die Gesellschaft einzubringen. Das ist die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen.
Herr Balla, danke für Ihre offenen Worte – willkommen bei der Bundeswehr!
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