Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat sich am 12. September 2022 in ihrer Grundsatzrede zur kommenden Nationalen Sicherheitsstrategie für eine stärkere militärische Rolle Deutschlands ausgesprochen. Für eine „Zukunft in Frieden und Freiheit“ müsse nun umgesteuert werden.
Es gilt das gesprochene Wort!
Einen schönen guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Botschafter Nikel,
sehr geehrter Herr Dr. Wolff,
sehr geehrter Herr Ischinger,
meine Damen und Herren,
seien sie alle herzlich gegrüßt – natürlich auch die Angehörigen des Diplomatischen Corps.
Es ist mir eine sehr große Freude und auch eine Ehre, dass ich diese Grundsatzrede zur Nationalen Sicherheitsstrategie heute hier halten kann.
Ich habe es schon ins Gästebuch reingeschrieben: es hätte kein besseres Forum geben können, wo man über so etwas Grundsätzliches, wie eine Nationale Sicherheitsstrategie sprechen kann, als bei Ihnen, weil hier der gesamte Sach- und Fachverstand mit der dazugehörigen konstruktiven Kritik gegeben ist.
Und das ist wichtig. Genau das brauchen wir, wenn wir diese Strategie jetzt gerade entwickeln.
Es ist auch zeitlich, wie ich finde, auch ein sehr guter Zeitpunkt eine solche Reden zu halten. Früher hätte man gesagt, zum Ende der parlamentarischen Sommerpause. Aber, wenn man ehrlich ist: so etwas gibt es nicht. Und gab es in diesem Jahr schon gar nicht.
Denn natürlich waren wir alle darauf fokussiert, wie wir die Ukraine weiter in ihrem mutigen Kampf unterstützen können. Was ist notwendig? Wie kriegen wir diese militärische Unterstützung organisiert? Aber natürlich auch andere Fragen, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden: in Bezug auf die Energiekrise. Wie bereiten wir uns darauf vor? Wie gehen wir mit einer Inflation um?
Sie sehen, es ist richtig viel zu tun gewesen in diesem Sommer und das ist auch wichtig und richtig so. Und deswegen nochmal ein herzliches Dankeschön, dass ich diese Rede heute hier halten darf.
Es ist ein Positions- und eine Richtungsbestimmung, die eigentlich seit langem überfällig ist. Man hätte sie schon früher durchführen müssen. Gut, dass wir es jetzt machen und dass wir uns darauf auch im Koalitionsvertrag so klar verständigt haben.
Durch die Ereignisse der vergangenen Monate, der furchtbare Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zeigt auch nochmal, wie
wichtig dieses Dokument ist. Aber noch vielmehr, was sich daraus ergibt und welche Rückschlüsse wir dann daraus ziehen.
Hier bei der DGAP Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: einem Traditionsort der deutschen außenpolitischen Debatte. Bei Ihnen wird seit 1955 zur Deutschlands Rolle in der Welt geforscht, diskutiert und gestritten. Ihr Institut hat die Außenpolitik dieses Landes nicht nur begleitet, sondern auch mitgeformt. Darauf können Sie stolz sein.
Und ich freue mich, Sie, Herrn Dr. Wolff, als neuen Direktor der DGAP Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik schon so früh zu treffen und wünsche Ihnen natürlich bei Ihrer neuen Aufgabe viel Erfolg.
Das Gespräch heute bei Ihnen – sowohl das Zwiegespräch als auch später die Podiumsdiskussion – ist natürlich eine Debatte, die wir sehr intensiv auch bei uns im Verteidigungsministerium und in der Bundeswehr führen.
Wir haben vor zwei Wochen auch eine Leitungsklausur dazu gehabt. Ganz wichtig, um auch konkrete Ableitungen daraus für uns zu formulieren und wir werden das jetzt Ende der Woche auf der Bundeswehr-Tagung ebenfalls machen. Und das ist wichtig, dass wir hier die gesamte Expertise der Bundeswehr nutzen und einbringen. Und genau so wird es geschehen.
Meine Damen und Herren,
Monate der drängenden strategischen Fragen liegen hinter uns. Unsere Energieversorgung steht seit vielen Wochen im Mittelpunkt intensiver Debatten, die hohe Inflation, die Preise von Strom, Gas, Benzin und Lebensmitteln, die so vielen Bürger in diesem Land betreffen.
Diese Fragen sind aber aufs Engste verbunden mit dem brutalen Krieg in der Ukraine, den Russland im Februar entfesselt hat. Dieser Krieg bringt Tod. Er bringt Zerstörung, grauenvolles Leid, Vertreibung, jeden Tag.
Wir erleben das auch, wenn wir so viele Menschen, die vor diesem Krieg fliehen hier in Deutschland eine Zuflucht bieten.
Und gerade deswegen ist es so wichtig zu hinterfragen: wie sind wir aufgestellt vor dem Hintergrund solcher Konflikte und deswegen ist es gut, dass wir ganz klare Positionen bezogen haben.
Denn, Sie haben es angesprochen: wir haben entschlossen reagiert. Der Bundeskanzler hat nicht nur 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr angekündigt, sondern
mittlerweile sind sie auch im Grundgesetz verankert. Eine ganz klare Positionierung auch über Parteigrenzen hinweg.
Auch das ist ein wichtiges Zeichen dieses Sondervermögens, dass in dieser wichtigen Frage parteipolitische Positionen hintenangestellt wurden und es so zu einer verfassungsändernden Mehrheit gekommen ist. Ich glaube, ein besseres Signal hätten wir in dieser Zeit gar nicht senden können.
Eine Summe, die wir in die Einsatzbereitschaft und die Kampfkraft unserer Streitkräfte investieren werden und auch investieren müssen.
Ein Summe – und das ist mir sehr wichtig – die ist nicht gewürfelt, nicht einfach aus der Luft gegriffen, weil sie sehr groß und sehr bedeutend ist.
Sondern es ist genau die Summe, die wir brauchen, die wir abgeleitet haben, wenn wir nach vielen, vielen Jahren des Sparens wieder dafür Sorgen wollen, dass wir eine einsatzbereite Bundeswehr auf Dauer haben, auf modernem Standard mit all dem was erforderlich ist.
Und deswegen bin ich auch sehr froh, dass es zu 100 Milliarden gekommen ist – für die Bundeswehr.
Es war kein einfaches Unterfangen, das durchzusetzen. Denn natürlich gibt es auch andere Herausforderungen, die in diesem Zusammenhang zu diskutieren sind und das macht ja auch den Charme und die Bedeutung dieser Nationalen Sicherheitsstrategie aus, dass eben auch über die einzelnen Ressorts hinausgedacht wird.
Miteinander die Zusammenhänge nicht nur erkennen, sondern auch Lösungen aufzeigen. Und es ist doch ganz klar, dass bei der Integrierten Sicherheit über die wir hier sprechen, dass dann auch Fragen der Entwicklungszusammenarbeit eine Rolle spielen. Fragen der Cybersicherheit. Andere Bereich, die Energiesicherheit, habe ich schon habe ich schon beschrieben.
Das alles gehört mit dazu und es ist gut, dass wir es geschafft haben, dass durch dieses Sondervermögen eine Möglichkeit geschaffen wurde, dass eben nicht in anderen Ressorts gespart wurde.
Denn das wäre die Konsequenz gewesen, wenn man es aus dem laufenden Haushalt heraus finanziert hätte: Das ist anderen Bereichen gespart worden wäre und das wäre nicht richtig gewesen. Es wäre absolut falsch gewesen. Gerade in diesen Bereichen, die ich eben genannt habe, einzusparen.
Und das ist die weitere Bedeutung. Nicht nur dass es eine Summe ist, die wir brauchen und die wir jetzt bekommen, sondern auch, dass es nicht zu Lasten anderer Ressorts gegangen ist.
Das Sondervermögen ist aber nicht die einzige wichtige Neuerung dieses Sommers. Wir haben große, wichtige Entscheidungen sowohl innerhalb der NATONorth Atlantic Treaty Organization als auch der Europäischen Union getroffen.
In der NATONorth Atlantic Treaty Organization haben wir ein neues Strategisches Konzept verabschiedet, ein Dokument, das auch unsere Schwerpunktverschiebung hin zur Landes- und Bündnisverteidigung untermauert.
Und wir haben als Alliierte beschlossen, Finnland und Schweden als neue Verbündete aufzunehmen. Was für ein historischer Schritt. Denn diese Länder hatten nach Jahrzehnten der Neutralität den Wunsch geäußert, unter den Schutz von Art. 5 des NATONorth Atlantic Treaty Organization-Vertrages zu kommen. Das stärkt natürlich diese Länder, aber es stärkt auch uns als NATONorth Atlantic Treaty Organization. Denn da kommen gut ausgerüstete Streitkräfte dazu. Eine ganz wichtige Stärkung der NATONorth Atlantic Treaty Organization.
Das ist wichtig. Denn wir Europäer müssen selbst einen größeren Beitrag zu unserer Sicherheit leisten, und wir müssen Amerika, die USA, in Europa entlasten.
Dieser Gedanke wird auch im Strategischen Kompass aufgegriffen, den die EUEuropäische Union in diesem Frühjahr beschlossen hat. Auch dies ein Dokument, das es so noch nie gab. Ein historischer Schritt, der zeigt, dass wir auch die EUEuropäische Union zunehmend als Instrument unser Sicherheitsvorsorge betrachten.
Gleichzeitig beobachten wir die anhaltende Polarisierung der politischen und gesellschaftlichen Debatten in den USA, unserem wichtigsten Verbündeten.
Amerikas Innenpolitik ist für uns und unsere Sicherheit von größter Bedeutung. Die Präsidentschaft Donald Trumps hat unsere Abhängigkeit von amerikanischen Sicherheitsgarantien in ein grelles Licht getaucht und viele Fragen aufgeworfen.
Uns ist heute zwar so klar, wie eh und je, dass die USA als Schutzmacht für Europa weiterhin unersetzlich sind. Aber wir wissen auch, dass wir Europäer gleichzeitig Kräfte und Fähigkeiten entwickeln müssen, die uns sicherheitspolitisch stärker, einsatzbereiter und glaubwürdiger machen.
Nicht zuletzt, weil wir in diesem Sommer auch eine dramatische Zuspitzung in der Straße von Taiwan erlebt haben. Der indo-pazifische Schauplatz wird für die USA, wird für Amerika immer bedeutender, wird sie immer stärker binden. Wir sind deshalb gefordert, für Europa mehr zu tun als bisher.
Schon dieser kurze Überblick, der bei weitem nicht vollständig ist, zeigt
Meine Damen und Herren,
Die Nationale Sicherheitsstrategie ist ein wichtiges Projekt. Denn die drängenden strategischen Fragen brauchen mehr als nur gutes Krisenmanagement und schnelle Antworten.
Das wird in dieser Zeit immer gefordert. Aber wir brauchen eine langfristige Politik, tief fundiert und solide finanziert. Vor allem aber brauchen sie von Deutschland, von uns allen, eins: Veränderung.
Lassen Sie mich das deutlich sagen: Allein mit Bedächtigkeit, allein mit dem Rückgriff auf bewährte bundesrepublikanische Traditionen werden wir in Zukunft nicht mehr sicher leben können. Mit unseren alten Selbstbildern ist die Zukunft unserer Kinder und Enkel in Frieden und Freiheit nicht mehr zu garantieren.
Deswegen sage ich ganz klar: Wer eine Zukunft in Freiheit und Frieden will, der muss jetzt umsteuern. Der muss Sicherheit, ja, auch die militärische Sicherheit, als ganz zentrale Aufgabe dieses Landes begreifen – und danach handeln.
Sicherheit wird wieder zur zentralen Staatsaufgabe. Aus einem Guss, über die Ressortgrenzen hinweg, so wie es der Begriff „Integrierte Sicherheit“ zeigt. Aber gleichzeitig, und das ist mir ganz wichtig – müssen wir auch sensibel sein für die Trennlinien von innerer und äußerer Sicherheit, die bei uns verfassungsrechtlich festgeschrieben sind und die nicht verwischt werden dürfen.
Das ist auch ein klares Signal, bei allem Integrierten Ansatz: Das muss uns klar sein und darauf werden wir achten.
Als Verteidigungsministerin kann ich sagen: gerade die Bundeswehr wird in Zukunft eine wichtigere Rolle in unserem politischen Denken und Handeln spielen.
Wir hatten uns daran gewöhnt, unsere Streitkräfte ausschließlich als Akteur bei Kriseneinsätzen im Ausland oder in der Amtshilfe – Corona, Hochwasser, Waldbrände – wahrzunehmen. Diese Zeit ist vorbei. Wir müssen die Bundeswehr wieder als zentrale Instanz für unsere Daseinsvorsorge betrachten. Und zwar jeden Tag.
Unsere Streitkräfte sind dabei nicht nur unsere eigene Rückversicherung. Sie sind unser Beitrag in einen gemeinsamen Topf, aus dem wir alle in Europa und im atlantischen Raum Sicherheit schöpfen. Im Kalten Krieg waren wir der größte Nutznießer dieses Arrangements. Heute müssen wir einer der größten Bereitsteller von Kräften sein.
Und ich will an dieser Stelle, gerade weil in diesen Stunden auch die aktuelle Diskussion darüber geführt wird: Sind wir bereit diese Zusagen, die wir gemacht haben – innerhalb der NATONorth Atlantic Treaty Organization, für unsere Verbündeten – können sie sich darauf verlassen, so wie wir uns darauf verlassen haben im Kalten Krieg? Darauf, dass unsere Verbündeten zu uns stehen? Da sage ich als Verteidigungsministerin ganz klar: Das muss gewährleistet werden!
Und darüber werden wir auch intensive in der NATONorth Atlantic Treaty Organization sprechen müssen. Ich habe den NATONorth Atlantic Treaty Organization-Generalsekretär, der momentan ja auch vielerorts zitiert wird, so verstanden, dass er uns alle aufgefordert hat, nochmal zu schauen, wie wir die Ukraine noch weiter, noch intensiver unterstützen können.
Aber nicht zu Lasten dessen, was wir gerade in Madrid beschlossen haben: Nämlich uns als Deutschland noch mehr einzubringen, ein verlässlicher Partner zu sein und damit eben auch das Vertrauen in uns zu stärken. So habe ich ihn verstanden und das ist auch etwas, dass uns ausmacht: Das wir ein verlässlicher Partner sind.
Gerade die Alliierten an der Ostflanke erwarten das auch von uns und natürlich habe Herr Zorn und ich am Wochenende alle Möglichkeiten auch noch einmal ausgelotet. Es wird auch selbstverständlich weitere Unterstützung für die Ukraine geben, aber es muss uns allen klar sein, dass wir diese Zusagen einhalten und sich unsere Verbündeten darauf verlassen können.
Meine Damen und Herren,
Es ist nicht verwunderlich, wenn wir Deutschen nach den eigenen Verbrechen im Nationalsozialismus und nach dem Vernichtungskrieg deutscher Armeen in Europa eine Skepsis gegenüber dem Militärischen zur Tugend gemacht haben – in den letzten Jahren, ja in den letzten Jahrzehnten.
Aber heute gilt: da Deutschland, dass diese Verbrechen begangen hat, gibt es seit beinahe 80 Jahren nicht mehr. Die Bundeswehr ist eine Armee, die mit der von damals nichts gemein hat.
Deutschland ist eine Demokratie, fest eingebunden, mit friedlichen Ambitionen. Seine Streitkräfte sind Teil der Gesellschaft, nicht von ihr abgesondert. Und sie sind auf die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung vereidigt. Das ist das wichtige, das ist das besondere und das gilt es auch bei jedem Gelöbnis besonders hervorzuheben. In ihnen, in unseren Streitkräften, gilt der gewissensgeleitete Gehorsam, nicht bedingungslose Gefolgschaft.
73 Jahre Demokratie und 67 Jahre demokratische Streitkräfte in Deutschland haben ein anderes Land, ein anderes Vertrauen, auch ein anderes Selbstvertrauen geschaffen.
Und gerade aus dieser Tradition der Freiheit und der Demokratie entstehen neue Erwartungen und größere Verantwortung, auch militärisch.
Der Ukrainekrieg hat allen, auch uns friedensgewohnten Deutschen gezeigt, dass Staaten Streitkräfte als letztes Instrument benötigen.
Nämlich immer dann, wenn ein Feind entschlossen ist, Einmarsch, Vernichtung, Mord und Vertreibung zu seinen Mitteln zu machen.
Genau dies geschieht heute, jetzt, in diesem Augenblick, in unserer unmittelbaren Nähe.
Die Ukraine heute existiert nur deswegen, weil sie sich militärisch wehren kann. Wir müssen daraus die Lehre ziehen: Wir selbst brauchen starke, kampfbereite Streitkräfte, damit wir uns und unser Bündnis zur Not verteidigen können.
Das ist eben im Jahr 2022 kein theoretisches Gedankenspiel mehr. Es ist eine Realität unserer Politik.
Für die Nationale Sicherheitsstrategie heißt das: Die Bundeswehr ist nicht nur als Haushaltsposten, sondern auch konzeptionell eine vorrangige Institution der Sicherheitsvorsorge. Und nicht etwa ein Nebenthema. Kein verschämtes: Die Bundeswehr gibt es auch. Sie muss in den Fokus gerückt werden. Das muss uns allen bewusst sein. Wir streiten ums Geld, auch wieder während der Haushaltsdebatte letzte Woche – selbstverständlich – aber wir müssen uns vor allem um das streiten, was wir tun wollen und müssen.
Die eigentliche Zeitenwende findet nämlich nicht zu allererst im Portemonnaie statt, sondern im Kopf. Und wir alle wissen, dass dort die Veränderung am schwierigsten hinzubekommen ist.
Umdenken tut weh. Überzeugungen zu überdenken, politische Kultur zu verändern, neues Verhalten anzunehmen – das ist die wahre Herausforderung unserer Zeit.
Dazu gehört übrigens auch, festzulegen, was deutsche Streitkräfte zukünftig nicht mehr leisten sollen oder können. Das ist wichtig. Auch hier kann die Nationale Sicherheitsstrategie Klarheit schaffen.
Meine Damen und Herren,
Sie hören an diesen Worten sehr deutlich, dass es bei dieser Diskussion im Kern um das Rollenverständnis Deutschlands als Nation, als Nachbar, als Demokratie, als Verbündeter geht.
Kurz gesagt, was oft als „Führungsmacht“ bezeichnet wird.
Das mag uns nicht nur beim Militärischen fremd sein. Aber dieses Fremdeln blendet etwas ganz Wesentliches aus: nämlich, dass Deutschland selbst dann de facto führt, wenn es das gar nicht will.
Deutschlands Größe, seine geografische Lage, seine Wirtschaftskraft, kurz: sein Gewicht, machen uns zu einer Führungsmacht, ob wir es wollen oder nicht. Auch im Militärischen.
Daraus entsteht eine große Verantwortung. Sie zeigt sich an Fragen, die uns gestellt werden: Ist Deutschlands Militär wirklich da, wenn es gebraucht wird? Ist Deutschland tatsächlich kampfbereit für den Schutz seiner NATONorth Atlantic Treaty Organization-Alliierten? Sind wir nicht nur nach den Buchstaben von Artikel 5, sondern wirklich da, wenn aus einer Bedrohung der Ernstfall wird?
Die Nationale Sicherheitsstrategie muss das klar und glaubhaft beantworten.
Worin also besteht Deutschlands Führungsrolle?
Dieses Vertrauen haben wir nach dem Krieg durch äußerste Vorsicht und größtmögliche Zurückhaltung aufgebaut. Das passte damals in die Zeit.
Heute schaffen wir Vertrauen, indem wir uns klar bekennen, bereitstehen, Substanz anbieten, Präsenz zeigen, Lasten tragen.
Übrigens im Zweifel größere Lasten als andere. Denn diese Investitionen, die wir jetzt tätigen, sind die besten Einzahlungen in eine Sicherheit von der Deutschland am Ende selbst am meisten profitiert.
Meine Damen und Herren,
die wichtigste Botschaft, die ich heute überbringen will, ist diese: Deutschland kann das. Deutschland braucht keine Angst vor dieser neuen Rolle zu haben. Denn
Gerade aufgrund unserer Geschichte haben wir einen nüchternen Blick auf die Macht und das Militärische.
Und gerade deshalb können wir in aufgeklärter, besonnener und trotzdem entschlossener Art und Weise ein verlässlicher Partner sein – auch im Militärischen.
Mit diesem Geist des klugen, besonnenen Engagements schreiben wir nun unsere Nationale Sicherheitsstrategie.
Dieses Dokument hat für mich drei Funktionen:
Lassen Sie mich deshalb kurz zu diesen drei Punkten einiges ausführen:
1. Deutschland und die Europäer sind von einer Friedensordnung abhängig, die sie selbst nicht allein garantieren können. Garantiert wird diese Sicherheit von unserem wichtigsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten.
Dieser Verbündete aber hat sein Hauptaugenmerk nun notwendigerweise auf die Sicherheit im pazifischen Raum gelenkt.
Und wird in Zukunft womöglich nicht mehr im selben Maße die Verteidigung Europas garantieren können, wie es in der Vergangenheit der Fall war.
Die Ableitung ist klar: Wir Europäer, und damit ganz prominent wir Deutschen müssen also mehr tun, um selbst glaubhaft so viel militärische Stärke zeigen zu können, dass andere Mächte gar nicht erst auf die Idee kommen, uns anzugreifen.
2. Für die amerikanische nukleare Abschreckung, die auch Europa von Erpressung freihält, gibt es auf absehbare Zeit keinen Ersatz.
Sie muss für uns Europäer zwingend erhalten bleiben. Daran müssen wir arbeiten, mit Washington, in der NATONorth Atlantic Treaty Organization.
Und wir müssen die Nukleare Teilhabe der Allianz mit den nötigen Mitteln und Fähigkeiten unterlegen.
Umso wichtiger, dass wir beschlossen haben, unsere eigenen Fähigkeiten zu erneuern und weiter vorzuhalten – Stichwort F35 als Tornado-Nachfolge.
3. Die NATONorth Atlantic Treaty Organization bleibt die Hauptsäule unserer Sicherheit. Sie verankert Amerika in Europa.
In ihr zeigen aber auch die Europäer, dass sie solidarisch mit Amerika sind. Wir müssen diese Allianz pflegen, kräftigen und wertschätzen.
Und wir müssen deshalb vor allem als Europäer in der NATONorth Atlantic Treaty Organization viel stärker werden, wenn wir selbst sicher sein wollen. Und wenn wir Amerika zeigen wollen, dass wir engagierte Verbündete sind, die sich in der Pflicht sehen.
4. Amerikas Schutz hat uns lange Zeit von Kosten entlastet, die wir sonst in den letzten Jahrzehnten selbst hätten aufbringen müssen. Das ist ein Wahrheit, die muss auch ausgesprochen werden.
Je mehr wir also selber tun müssen und wollen, desto höher werden unsere Kosten. Und das in einer Zeit, in der unsere Wirtschaft unter Druck steht, die Inflation die Kaufkraft vermindert und die Spielräume enger werden.
Machen wir uns nichts vor: Wer selber mehr tun muss, aber weniger Mittel hat, der wird intern umschichten müssen.
Wir stehen also vor politischen Abwägungen darüber, in welchen Bereich die Mittel der staatlichen Daseinsvorsorge prioritär fließen sollen.
Unser bestes Argument in diesem Streit ist der klare, analytische Blick auf unsere Gefahrenlage, auf die realen Bedrohungen unseres Systems, unserer Freiheit und des Friedens.
Und dass wir all das unermüdlich und überzeugend erklären. Auch das eine wichtige Aufgabe der Nationalen Sicherheitsstrategie.
5. Ich sage ganz deutlich: Militärische Sicherheit ist kein frivoles Spiel mit teurem Spielzeug. Es ist eine Aufgabe der fundamentalen Existenzsicherung.
Eine Aufgabe, die tief im Wesen des Staates angelegt ist – als Kern der staatlichen Gewährleistungsfunktion, die unsere Freiheit schützt.
Aber sie ist noch mehr: Sie ist ein Schutzversprechen für die Zukunft. Ein Schutzversprechen, das wir unbedingt einhalten müssen. Wir müssen heute so investieren, dass künftige Generationen eine Chance auf dieselbe Freiheit haben, die wir heute genießen.
Militärische Sicherheit, Abschreckung, Einsatzbereitschaft – all das sind also auch Fragen der Generationengerechtigkeit!
Und genau so muss es am Ende auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie stehen.
Aus diesen Überlegungen einige, sehr praktische Folgen:
1. Mit Blick auf die Bundeswehr stehen Landes- und Bündnis-Verteidigung künftig an erster Stelle unserer Prioritätenliste.
Kerngeschäft ist wieder Kerngeschäft! Wir werden natürlich auch weiterhin Internationales Krisenmanagement, also Auslandseinsätze, stemmen müssen. Auch sie dienen weiterhin unserer Sicherheit.
Aber die Schwerpunkte liegen klar auf der Hand. Wir sind bereits dabei, die Strukturen der Bundeswehr entsprechend anzupassen. Zum Beispiel mit dem neuen Territorialen Führungskommando.
2. Wir werden mehr Geld für Verteidigung ausgeben müssen.
Eine Frage der Generationengerechtigkeit ist nicht für schmales Geld zu haben. Moderne Streitkräfte sind kosten Geld.
Sie erzeugen hohe Betriebskosten für
Wenn die Zeitenwende nachhaltig sein soll, wenn die Zukunftsaufgabe Sicherheit gelingen soll, dann werden wir noch mehr für Verteidigung ausgeben müssen. Ganz konkretes Geld, keine abstrakten Größen. Ich kann diese Erkenntnis niemandem ersparen.
Die Richtschnur dabei ist klar: wir haben uns in der NATONorth Atlantic Treaty Organization auf zwei Prozent verpflichtet. Wir haben dieses Ziel 2014 auf dem NATONorth Atlantic Treaty Organization-Gipfel in Wales gemeinsam beschlossen. Und der Bundeskanzler hat es in seiner Rede zur Zeitenwende klar festgeschrieben.
Zwei Prozent unserer Wirtschaftsleistung für unsere Sicherheit. Auch wenn wir zu Recht darüber reden und wir auch innerhalb der NATONorth Atlantic Treaty Organization über diese Frage der Finanzierung sprechen – das steht ja 2024 an – dann werden wir sicherlich darüber reden müssen, welche Fähigkeiten brauchen wir denn, um ein starkes Bündnis zu sein, um unserer Verantwortung nachzukommen. Das man das noch präziser indexiert.
Das ist richtig! Aber es darf nicht den Blick davon ablenken, dass am Ende des Tages diese Summe notwendig ist. Sie wird präzisiert, sie wird ausdekliniert, aber am Ende brauchen wir dieses Geld. Ohne Wenn und Aber.
Und vor allen Dingen: wir brauchen es langfristig, damit auch diese 100 Milliarden, diese Anstrengungen die wir jetzt unternommen haben, nicht vergeblich sind, wenn uns in einigen Jahren womöglich wieder das einholt, was wir gerade erleben. Nämlich, dass man Anschaffungen getätigt hat, aber zum Beispiel nicht dafür gesorgt hat, dass diese Instand gehalten werden können, weil Ersatzteile nicht mit beschafft wurden. So etwas darf nicht sein.
Oder, dass wir die entsprechende Infrastruktur nicht zur Verfügung stellen können. Deshalb muss es nachhaltig sein. 100 Milliarden ist eine riesige Summe. Aber es muss nachhaltig finanziert sein, dass die Investitionen, die wir jetzt tätigen auch langfristig für unsere Sicherheit zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren
Wir müssen die NATONorth Atlantic Treaty Organization, die Allianz, von der wir leben, gut pflegen, stark halten, uns noch mehr einbringen.
Für Deutschland heißt das zum einen, jetzt konsequent zur Absicherung der Ostflanke der Allianz zu stehen: wir haben uns dazu verpflichtet und ich bin bereit, diese Verpflichtung einzuhalten.
Unsere Präsenz dort ist schon jetzt sehr stark. Und sie wird ganz aktuell durch die Verlegung von Brigadeelementen nach Litauen weiter verstärkt.
Zum anderen heißt es, dass wir wie vereinbart die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Planungsziele erfüllen.
Das klingt technisch und banal, aber das ist hochpolitisch. Denn unsere Glaubwürdigkeit hängt davon ab. Und es ist eine haushalterische und militärische Kraftanstrengung, die wir hinkriegen müssen.
Drei einsatzbereite, kampffähige Heeres-Divisionen wollen wir beispielsweise liefern, bis in die 2030er Jahre. Voll ausgestattet, mit jeweils drei Brigaden, plus Zusatzkräften.
Dafür muss das Material da sein, das Personal, und das Geld, um das alles zu betreiben, zu erhalten, auszubilden, üben zu lassen.
Wenn wir das schaffen, dann ist das Signal unüberhörbar:
Wir müssen Europa aus sich heraus stärker machen.
Und dabei ist mir wichtig: auch die EUEuropäische Union kann dazu beitragen, dass die Staaten Europas mehr für ihre eigene Sicherheit tun. Wir sollten das voll ausschöpfen.
Zum Beispiel bei der Beschaffung. Um gemeinsam besser einkaufen zu können, brauchen wir gemeinsame europäischen Beschaffungs-Agenturen.
Wir haben zwei davon: Einerseits die EDAEuropean Defence Agency in Brüssel, die wir jetzt stärken, indem wir einen deutschen Vizepräsidenten entsenden.
Zum anderen die Agentur OCCAROrganisation Conjointe de Coopération en Matière d’Armement, bei dir wir die Mitgliedschaft auf alle EUEuropäische Union-Mitgliedsstaaten ausweiten wollen. So entsteht mehr Schwung für mehr Kooperation.
Ein anderes großes Projekt ist Military Mobility, also bessere Infrastruktur für schnellere Logistik.
Die EUEuropäische Union hat dafür 1,5 Milliarden Euro in ihrem Haushalt. Deutschland ist vorne mit dabei, steht aber als zentrales Drehscheibenland natürlich auch besonders in der Pflicht. Hier werde ich mich für noch mehr Engagement einsetzen.
Und als drittes Beispiel möchte ich den europäischen Verteidigungsfonds nennen. Dieses Geld nutzen wir, um an Fähigkeiten zu forschen und die Entwicklung voranzutreiben. Dieser Fonds sollte m.E. nicht nur von Deutschland stärker genutzt werden, denn das ist deutlich ausbaufähig. Er sollte auch deutlich aufgestockt werden. Die Notwendigkeit dafür liegt in der aktuellen Lage auf der Hand.
In der EUEuropäische Union gilt ganz allgemein: es sind genügend Instrumente vorhanden. Aber wir, die Mitgliedsstaaten, müssen sie dann auch wollen und nutzen. Die EUEuropäische Union, das sind wir!
Wir können nicht einfach nach Brüssel zeigen und dann hoffen, dass es irgendwer schon tun wird. Wir selbst sind gefragt. Und das gilt auch für Deutschland.
Und das gilt für Deutschland übrigens auch beim Thema Europäische Rüstungskooperation. Unser Ziel in der EUEuropäische Union ist es, 35 Prozent unserer Investitionen in Rüstung gemeinsam zu beschaffen. Gegenwärtig sind es gerade einmal acht Prozent. Da ist noch richtig viel Luft nach oben.
Ich weiß, multilaterale Projekte sind nicht immer leicht zu wuppen. Ich mache meine Erfahrungen in den Verhandlungen, die ich führe. Und doch geht es nicht anders,
Wir Deutschen sind da in einer Bringschuld: bis heute machen wir solche Zusammenarbeit dadurch kompliziert, dass wir auf Sonderregeln beim Export von Rüstungsgütern beharren.
Aber ich frage: welcher Partner soll mit uns in Projekte investieren, wenn er immer fürchten muss, dass wir den Export verhindern und damit die Refinanzierung erschwert?
Mit unserem Wertevorbehalt stellen wir uns über unsere europäischen Partner. Aber was bedeuten europäische Werte überhaupt, wenn wir unseren Partnern sagen: eure Moral reicht uns nicht?
Es geht ja nicht darum, an Schurkenstaaten zu liefern. Wenn Frankreich, Italien, Italien und Spanien sagen, das ist vertretbar, dieser Export, können wir uns dann rausnehmen? Ich glaube nein.
Hier nimmt uns der europäische Gedanke, den wir aus gutem Grund gerne bemühen, doch auch ganz unmittelbar in die Pflicht.
Wir müssen also an die deutschen Export-Regeln ran, um der Kooperation bei wehrtechnischen Gütern einen mächtigen europapolitischen Schub zu verleihen.
Dafür werde ich mich einsetzen, und das muss die Nationale Sicherheitsstrategie auch tun.
Und lassen Sie mich gleich noch ein weiteres Wort zum Kulturwechsel sagen.
Ein Teil dieses Kulturwechsels wird auch darin bestehen, dass wir in der Politik begreifen, dass wir für diese neue Rolle Deutschlands die Unterstützung in der Bevölkerung schon längst haben.
Alle Umfragen, sei es zur Unterstützung der Ukraine, oder auch zur Bundeswehr oder zur NATONorth Atlantic Treaty Organization, zeigen das. Und das ist auch meine persönliche Erfahrung in der Politik. Auch wenn die einzelnen Gespräche, die man dazu mit Bürgerinnen und Bürgern führt sicherlich nicht repräsentativ sind, aber wir haben die Umfragen dazu.
Eins aber, das gibt es bei all dieser Unterstützung in der Bevölkerung nicht: irgendeinen Hang zum Säbelrasseln oder zur Militarisierung. Das ist auch ganz klar.
Die Deutschen haben bei diesem Thema ein sehr gutes, feines Gespür. Sie verstehen genau, was möglich, was nötig und was undenkbar ist.
Vertrauen wir uns selbst, vertrauen wir den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes, wenn wir Deutschland jetzt in die neue Rolle führen, die unsere Zeit und die neue Lage erfordern. Für die allermeisten Menschen im Land ist das viel weniger kontrovers, als wir das in der so genannten Berliner Blase manchmal glauben.
Dieser Kulturwechsel sollte sich auch hier in Berlin in unserem Politikbetrieb auch ganz konkret in sichtbarer Form niederschlagen.
Ich schlage deshalb vor, dass wir einmal jährlich im Deutschen Bundestag und an anderen Orten im Land einen „Tag der nationalen Sicherheit“ abhalten.
Einen Tag, an dem wir alle Aspekte unserer Sicherheit,
Öffentlich und ressortübergreifend, nah am Bürger, mit Partnerorganisationen aus allen Bereichen der Sicherheitsvorsorge – so wie es der vernetzte Ansatz und die gesamtstaatliche Sicherheit erfordern.
Das, meine Damen und Herren, ist das gut sichtbare parlamentarische und das gesellschaftliche Format, das zur neuen Nationalen Sicherheitsstrategie passt und das der neuen Rolle Deutschlands angemessen ist.
Es ist auch das Format, das der neuen Lage in der Welt Rechnung trägt, die wir mitgestalten müssen.
Wir befinden uns in einer außerordentlichen außen- und sicherheitspolitischen Situation. Wir alle sind uns darüber im Klaren.
Mein Wunsch zum Schluss dieser Rede ist: Lassen Sie uns als Deutsche ehrgeizig sein! Ehrgeizig wenn es um die Bewältigung dieser Lage und zur Sicherung unserer Zukunft geht. Lassen Sie uns einen großen, einen großzügigen Beitrag leisten. Mit Selbstvertrauen und mit Willen zur Gestaltung.
Und lassen wir diesen Ehrgeiz jetzt auch zum bestimmenden Thema unserer Nationalen Sicherheitsstrategie werden.
Vielen Dank.
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