Generalleutnant Manfred Hofmann ist Kommandierender General des Multinationalen Korps Nordost in Stettin. Am 12. September gibt er nach drei Jahren das Kommando ab und wird in den Ruhestand verabschiedet. Im Interview spricht er über den Aufgabenzuwachs und die Bedeutung des Korps in Zeiten einer sich ändernden sicherheitspolitischen Lage an der nordöstlichen Flanke der NATONorth Atlantic Treaty Organization.
Welche Bedeutung hat das Korps für die Region?
Von Anfang an spüren und leben wir unsere Verantwortung als „NATONorth Atlantic Treaty Organization Custodian of Regional Security“. Eine Prägung, die im Übrigen von General a.D.außer Dienst Domröse stammt und sehr treffend unsere Rolle beschreibt. Wir haben hier ein Hauptquartier, das sehr tief in die täglichen Vorgänge in dieser Region integriert ist. Uns stehen sämtliche Muttersprachler zur Verfügung, um Quellen in den Originalsprachen zu lesen. Hierbei unterstützen uns die NFIUs als Mikrofone, Ohren und Sprachrohre. Aber auch die eFPenhanced Forward Presence, die mit ihren Battle Groups in den Baltischen Staaten und Polen stationiert sind, tragen zu einem umfassenden Lagebild bei. Das System, das wir hier aufgebaut haben, ist einmalig in der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Es reicht von Brunssum über Stettin und die Multinationale Division Nordost in Elblag bis zu den nationalen Brigaden in den drei Baltischen Staaten und Polen mit den jeweils integrierten eFPenhanced Forward Presence Battle Groups. Da kennt jeder jeden und die Prozesse sind harmonisiert. So sind wir in der Lage, schnell auf kritische Situationen zu reagieren.
Für diese Aufgaben hat sich der Personalumfang des Korps verdoppelt. Wie lief die Umstrukturierung?
Der NATONorth Atlantic Treaty Organization wird oft nachgesagt, sie brauche unendlich lange für ihre Entscheidungsprozesse und für die Umsetzung noch länger. Ich sage: Was ich an Entwicklung in den vergangenen drei Jahren mit meinen Frauen und Männern erlebt habe, war Lichtgeschwindigkeit. Dank des enormen Tatendrangs und der Selbstverpflichtung aller wurden die NFIUs in kürzester Zeit aufgestellt. Wir haben die Personalstärke im Hauptquartier innerhalb eines dreiviertel Jahres um mehr als 100 Prozent erhöht. Inclusive der Ausbildung und Integration aller und letztlich deren Zertifizierung. Das hat aber auch mit der gemeinsam empfundenen Bedrohungssituation nach der Ukraine-Krise zu tun. Sie hat sich viele Verantwortliche Fragen lassen: Was ist der Kern der Allianz, was bedeutet es, zusammenzustehen und einer Bedrohungslage entgegenzutreten? Noch ein Beispiel: Nach der Entscheidung zu eFPenhanced Forward Presence entstand die erste Battle Group, die unter Führung von Deutschland in unseren Zuständigkeitsbereich nach Litauen verlegt wurde. In etwas mehr als acht Monaten war sie dort einsatzbereit. Die Infrastruktur und Übungsmöglichkeiten wurden in kürzester Zeit durch Litauen bereitgestellt und die Battle Group nach Rukla verlegt. So konnte sie zusammen mit der litauischen Brigade vom ersten Tag an anfangen zu üben. Auch das ist Lichtgeschwindigkeit. Und inzwischen hat jedes Kontingent einen Ruf wie Donnerhall. Das unterstreicht auch die Verpflichtung, zu den Bündniszielen zu stehen, die man vor Jahren vereinbart hat.
Was würde im Ernstfall passieren?
Natürlich gibt es Reaktionspläne. Aber wir sind nur dann erfolgreich, wenn wir klar und glaubwürdig demonstrieren können, dass ein militärisches Vorhaben wie ein Angriff auf ein NATONorth Atlantic Treaty Organization-Land den Bündnisfall auslösen würde und wir mit allen Kräften, die wir zur Verfügung haben, auch aufwarten können. Wir werden zahlenmäßig zunächst immer unterlegen sein, aber wir haben mit klaren Plänen, die in Übungen überprüft worden sind, immer wieder demonstriert, dass die NATONorth Atlantic Treaty Organization im Falle eines Falles Verstärkungskräfte zuführen kann. Anfängliche Erfolge eines potentiellen Angreifers sind zwar nicht auszuschließen, doch einen Erfolg, der zu einer gravierenden Veränderung der Lage in dieser Region führt, wird es nicht geben.
Wie stellen Sie fest, dass Sie von einem potentiellen Gegner ernst genommen werden?
Wir lesen die offiziellen, die staatlich gelenkten und auch die freien Medien mit. Und da kann man nicht sagen, dass man über die NATONorth Atlantic Treaty Organization lächelt und sagt: Lasst die mal üben, mehr machen die nicht. Um es klar zu sagen: Ich glaube nicht, dass sich die Verantwortlichen in Russland über die eFPenhanced Forward Presence Battle Groups lustig machen, wie das oft behauptet wird. Sie werden zwar nicht glauben, dass sie eine Gefahr darstellen. Aber sie realisieren schon, dass die Battle Groups nur der erste Anteil dessen sind, was ihnen im Falle eines Angriffs gegenübersteht.
Wie verlegen Sie mit Ihrem Hauptgefechtsstand?
Ich habe hier eine deutsch-polnische Führungsunterstützungsbrigade mit modernsten Mitteln zur Verfügung. Die Absicht ist es, diese Brigade weiter zu multinationalisieren. Sie ist nur für das Korps da und besteht aus etwa 3000 Soldaten mit zwei Führungsunterstützungsbataillonen, einem Sicherungsbataillon und einem Logistikbataillon. Dazu gehört auch das Fernmeldebataillon 610 aus Prenzlau. Sie kooperieren mit den polnischen Verbänden wie ein Team aus einem Guss. Durch ihre Unterstützung in der Verlegung des Materials und dem Aufbau am Einsatz stellen sie sicher, dass mein Stab nur noch ins Flugzeug steigen muss. Der Gefechtsstand steht, ist gesichert und betriebsbereit. Mit unserer Führungsausstattung sind wir in der Lage, bis zu fünf Divisionsgefechts-stände und mehr als 20 Kampf- und Kampfunterstützungseinheiten anzuschließen.
Wie ist der Zustand der Zusammenarbeit der Armeen auf der technischen Ebene, Stichwort Interoperabilität?
Es ist wirklich nicht alles Gold, was glänzt. Man darf sich jedoch darauf verlassen, dass die Truppenführer vor Ort Lösungen finden. Improvisieren ist nichts Negatives und tägliches militärisches Handwerk. Besser wäre natürlich, eine systemische Interoperabilität zu finden. Wir haben das auf der Ebene der Führungsfähigkeit auch erreicht. Aber Großgeräte oder teilweise auch Munition werden nie so kompatibel sein, dass man sie uneingeschränkt gegeneinander austauschen kann. Allerdings kommt es vor allem darauf an, miteinander wirken zu können, dieselbe Sprache zu sprechen und nationale Taktiken unter NATONorth Atlantic Treaty Organization-Bedingungen anzugleichen. Und das funktioniert sehr gut, wie wir bei mehreren Großübungen festgestellt haben.
Inwieweit ist es eine Pionierarbeit, als einziges NATONorth Atlantic Treaty Organization-Hauptquartier einen regionalen Zuständigkeitsbereich zu haben?
Es war zunächst eine Herausforderung. Die Skepsis war am Anfang groß. Schließlich war Regionalität in der NATONorth Atlantic Treaty Organization über Jahre aus dem Sprachgebrauch gestrichen. Ich bekam oft den Hinweis: Die NATONorth Atlantic Treaty Organization wirkt 360 Grad - und Ihr seid nur regional. Aber es ist uns mehr und mehr gelungen zu überzeugen, dass auch wir hier für 360 Grad Sicherheit – also für die gesamte Allianz - sorgen, weil wir sofort reagieren und NRFNATO Response Force-Einheiten hier integrieren können. Das alles ist aber nur mit großem Aufwand möglich. Man kann sich vorstellen, was das für die Soldaten an zeitlicher Abwesenheit von den Familien bedeutet oder was es für die Familien bedeutet, wenn die Männer und Frauen für Wochen oder teilweise Monate in Übungen oder auf Gefechtsständen verbringen.
Was ist Ihnen über die Jahre besonders hängen geblieben?
Für mich stelle ich fest: „Es war nicht jeder Tag die reine Freude, aber die Aufgabe hat mir Zufriedenheit beschert.“ Will heißen: Als Kommandeur ist man dauerhaft angespannt und das wird man auch nicht los. Aber ich will das nicht beklagen. Im Gegenteil: Die Zeit hier war höchst erfüllend. Vor allem in der Zusammenarbeit mit 24 anderen Nationen. Es waren sicherlich die herausforderndsten drei Jahre in meinen 44 Jahren als Soldat. Ich fühle mich richtig geehrt, solch eine Aufgabe am Ende meiner Dienstzeit noch einmal ermöglicht bekommen zu haben.
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