Die Bundeswehr ist seit den 1990er Jahren in unterschiedlichsten Auslandseinsätzen im Zuge des internationalen Krisenmanagements aktiv. Neben den Einsätzen im Rahmen von NATONorth Atlantic Treaty Organization, EUEuropäische Union und den aktuell medial sehr präsenten Einsätzen im Kampf gegen die Terrororganisation IS„Islamischer Staat“ sind es auch die Friedensmissionen der Vereinten Nationen (VNVereinte Nationen, engl. United Nations Organization [UNOUnited Nations Organization]), die die Streitkräfte prägen. UNUnited Nations-Soldaten brauchen eine spezielle Ausbildung. Diese bekommen sie am Vereinte Nationen Ausbildungszentrum Bundeswehr in Hammelburg und Wildflecken. Im Interview mit Bw aktuell erläutert der Kommandeur des Ausbildungszentrums, Oberst Michael Uhrig, was einen Peacekeeper auszeichnet.
Herr Oberst, was macht das VNVereinte Nationen-Ausbildungszentrum?
Die Bundeswehr beteiligt sich seit Anfang der 90er Jahre auch an Einsätzen der Vereinten Nationen. Die dort eingesetzten Kräfte, seien es Soldaten, Polizisten oder Zivilisten, brauchen ein spezielles Know-how, dass über die normalen militärischen Fähigkeiten hinausgeht: Fertigkeiten für den Friedenseinsatz. Das vermitteln wir hier am Zentrum.
Welche besonderen Eigenschaften muss ein Mensch mitbringen, der bei UNOUnited Nations Organization-Missionen eingesetzt wird?
Ganz praktisch: Er muss zunächst über ein hohes Fremdsprachenniveau verfügen. Nach dem Standardisierten Leistungsprofil (SLP) muss also mindestens die Stufe 3 erfüllt sein. Wenn Sie sich in die Lage vor Ort versetzen - Zusammenarbeit in multinationalen Einheiten, Verhandlungsgeschick, überzeugen – das sind Dinge, die in UNUnited Nations-Einsätzen immer notwendig sind. Darüber hinaus muss dieser Mensch auch in besonderem Maße eigenständig handeln können. Bei vielen Einsätzen ist man als Deutscher allein und muss sich selbst versorgen. Und das nicht in Europa wo der nächste Supermarkt um die Ecke liegt, sondern in unwirtlichen Gebieten wie der Westsahara. Das erfordert schon eine besonders hohe Motivation und Geschick. Daher werden für Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen auch ausschließlich Freiwillige eingesetzt. Auf der einen Seite ist man Einzelkämpfer, man muss aber auch Teamplayer sein, multikulturelles Verständnis und mental robust – das fasst es wohl zusammen.
Auf wie viele trifft denn ein solches Profil zu?
2016/2017 haben wir bisher 89 Soldaten als Military Expert on Mission für UNUnited Nations-Missionen ausgebildet. Das geschah für derzeit acht aktuelle Mandate der UNUnited Nations, bei denen deutsche Kräfte beteiligt sind. Wir bilden jedoch nicht nur Military Expert on Mission aus. Dazu kommen in diesem Zeitraum zum Beispiel 626 Angehörige von Regierungs- und Nichtregierungs-Organisationen auch Journalisten, die wir in sogenannte Hostile Environment Awareness Trainings auf ihre Missionen im Ausland vorbereiten. Nicht zuletzt durchlaufen auch alle deutschen Polizisten, die in einen Auslandseinsatz gehen, eine Ausbildung bei uns. Ebenso erhalten Angehörige der Streitkräftebasis und des Kommandos Cyber- und Informationsraum bei uns eine sogenannte „Einsatzlandunspezifische Ausbildung“ (ELUSA).
Wichtig zu erwähnen ist auch die bei uns stattfindende „Allgemeine Soldatische Ausbildung“ für das Zivilpersonal der Bundeswehr, welches mit in einen Auslandseinsatz verlegt.
Mit diesen und auch noch weiteren Lehrgängen haben wir hier am VNVereinte Nationen-Ausbildungszentrum so allein in den letzten anderthalb Jahren über 6500 Lehrgangsteilnehmer ausgebildet. Diese kamen aus 75 unterschiedlichen Nationen, aus Afrika, Asien, Nord- und Südamerika, Australien und 28 europäischen Ländern.
Was lernen denn Zivilisten bei Ihnen?
Oh, das ist eine ganze Menge, was wir mit auf den Weg geben können. Sie lernen mit außergewöhnlichem existenziellem Stress und Belastung fertig zu werden. Sie lernen, wie man sich bei feindlichem Feuer verhält und nicht zuletzt, wie man mit Verhandlungsgeschick Rebellen, Warlords oder anderen Freischärlern begegnet.
Wie konstruieren Sie denn im friedlichen Deutschland ein Szenario, dass die Ausbildungsteilnehmer realistisch vorbereitet?
Wir sind in der ganzen UNUnited Nations bekannt für unsere erstklassige Ausbildung. Es gibt kein Übungsszenario bei uns, dass nicht auch tatsächlich so in Einsätzen stattgefunden hat. Das wissen die Teilnehmer. Darüber hinaus bilden wir auf noch höherem Niveau aus, als es die UNOUnited Nations Organization eigentlich verlangt. Besonders die Sanitätsausbildung ist uns wichtig. So höre ich unter anderem von ausländischen Einsatzkräften so etwas, wie: „Hoffentlich ist ein deutscher Offizier in der Nähe, wenn uns mal was passiert. Dann kommen wir wahrscheinlich heile raus.“ Wohlgemerkt: unsere Tradition bei UNUnited Nations-Einsätzen ist nicht besonders lang. Wir beteiligen uns ja erst seit der Wiedervereinigung daran. Andere Länder, die nicht in der NATONorth Atlantic Treaty Organization waren, wie Finnland und Österreich, haben da schon eine längere Erfahrung. Auch von denen können wir viel lernen. Wir tauschen uns aus und helfen einander. Insgesamt verbessern wir gerade mit diesen Ländern gemeinsam den Standard der Ausbildung.
Was gehört zu den anspruchsvollsten Ausbildungsinhalten am VNVereinte Nationen-Ausbildungszentrum?
Das kann man schlecht pauschalieren, da die Ausbildung sehr vielschichtig ist, viel von den Teilnehmern fordert und auch von Mandat zu Mandat unterschiedlich ist. Heute ist der Übergang ja fließend. Nehmen Sie die Aufklärungsarbeit unserer Kameraden in Gao/Mali. Die unterscheidet sich nicht von den Aufgaben, die wir im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Rahmen in Afghanistan wahrgenommen haben.
Für mich persönlich ist jedoch der Ausbildungsgang für leichenhygienische Maßnahmen einer der anspruchsvollsten. Die Teilnehmer werden hier darauf vorbereitet, möglichst professionell mit dem Tod umzugehen. Sie lernen die Vorbereitung der Leichen eventuell gefallener deutscher Soldaten zum Transport, Bestattungen, Unterstützung der Rechtsmedizin – das ganze Spektrum eben. Das ist psychologisch eine hohe Belastung, schon direkt in der Ausbildung. In diesem Bereich haben wir 2016 und 2017 bislang rund fünfzig Teilnehmer ausgebildet. Die Soldaten gehen dann in ihrer eigentlichen Funktion in den Einsatz, zum Beispiel als Spieß, verfügen dann aber eben über diese Zusatzqualifikation.
In den letzten Monaten ist ja erneut eine Debatte über das Traditionsverständnis der Bundeswehr entstanden. Nun sind wir ja schon seit einigen Jahren bei Friedensmissionen aktiv. Glauben Sie, dass das ein Beitrag zu einer neuen Tradition der Bundeswehr sein kann?
Das ist natürlich grundsätzlich eine politische Entscheidung. Aber ich kann mir das schon gut vorstellen. Wir suchen ja schließlich nicht „den Helden“, sondern Frauen und Männer, die vorbildlich ihre Dienstpflicht erfüllt haben. Der erste deutsche Soldat, der nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Einsatz ums Leben gekommen ist, war zum Beispiel Feldwebel Alexander Arndt. Er wurde 1992 während seines UNOUnited Nations Organization-Einsatzes in Kambodscha erschossen. Wenn die Bundeswehr und die Heimatregion von Arndt sich einigen, zum Beispiel eine Kaserne dort nach ihm zu benennen, fände ich das persönlich gut und richtig.
Vielen Dank, Herr Oberst, für das Gespräch.
Das Interview führte Thomas Franke.
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