Die Redaktion der Bundeswehr hat den Generalinspekteur einen Tag begleitet – und war bei einer unangekündigten Dienstaufsicht dabei.
Nur noch wenige Minuten, dann beginnt die Spießtagung. In der Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne in Hannover werden letzte Vorbereitungen getroffen. General Eberhard Zorn hat 150 Kompaniefeldwebel eingeladen, um über die Lage der Bundeswehr zu reden. Ein wichtiger Termin für ihn, um die Stimmung in der Truppe aufzunehmen. Gut gelaunt betritt Zorn die Bühne.
Der ranghöchste Soldat der Bundeswehr redet Klartext: „Wir brauchen mehr Geld und Investitionen, um unsere Ersatzteillager zu befüllen und neue Geräte zu beschaffen.“ Die Spieße kritisieren die Arbeitslast und Bürokratie. Der General nimmt die Kritik auf: „Ihre Meinung ist mir wichtig, ich werde dem nachgehen.“ Die offenen Worte kommen an. Dass er eine halbe Stunde überzieht, fällt kaum auf. In der Kaffeepause sprechen ihn viele Spieße persönlich an. Zorn erklärt, er werde nun für ein paar Stunden weg sein, um die Truppe zu besuchen. Wohin es geht? Geheim!
Die Fahrt dauert eine halbe Stunde. Ein kurzer Halt an der Pforte und die beiden Wagen fahren in die Clausewitz- Kaserne in Nienburg. Selbst die Personenschützer des Generalinspekteurs haben das Ziel erst kurz vor der Abfahrt erfahren. Warum Nienburg? Das habe er sich gestern Abend überlegt, sagt Zorn. Er sei noch nie hier gewesen und wolle sich umschauen. Seit seinem Amtsantritt im April macht er auch unangekündigte Inspektionen. „Ü-Ei-Besuche“, wie er sie nennt, weil sie nicht nach Schema ablaufen. Kein Protokoll, kein festes Programm, keine ministerielle Mappe – keine Seite soll vorbereitet sein.
Worum geht es ihm? Natürlich ist es auch ein Kontrollbesuch. Der Generalinspekteur ist der oberste Vorgesetzte aller Soldaten, Ärger wolle er aber keinen machen. „Ich habe bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht. Wenn der erste Schreck überwunden ist, sind alle zufrieden.“ Zorn sagt, er wolle ein authentisches Bild sehen und der Truppe zeigen, dass er für sie da ist, sich für ihre Belange interessiert. Tags zuvor war er an der Unteroffizierschule der Luftwaffe in Appen. Das Überraschungsmoment hat aber auch Tücken: „Ich stehe oft erst mal herum, weil ich nicht erwartet werde.“ Einen Plan habe er nicht, er wolle sich treiben lassen. Oft geht er zuerst in die Raucherecke, „da trifft man immer Soldaten.“ In Nienburg möchte er direkt zum Kommandeur.
„Herr Oberst, der Generalinspekteur“, ruft eine Stimme aus dem Vorzimmer. Frank Hartwig, stellvertretender Kommandeur am Zentrum Zivil-Militärische Zusammenarbeit der Bundeswehr (ZMZzivil-militärische Zusammenarbeit), weiß nicht, was das heißt. „Der GI, am Telefon?“ – „Nein, hier.“ In dem Moment tritt Zorn in die Tür: „Moin!“ Der Oberst ist kurz sprachlos. Zorn entspannt die Situation und erklärt, dass er in der Nähe gewesen sei und ohne Aufsehen „mal vorbeischauen wollte“. Die beiden kennen sich, 1990 waren sie gemeinsam in der Ausbildung. In den Büros wird unterdessen unauffällig telefoniert.
Auf den ersten Blick fällt Zorn kaum auf. Er trägt einen Feldanzug, nur die vielen goldenen Sterne auf den Schulterklappen unterscheiden ihn von den anderen. Als er mit Hartwig die Truppenküche betritt, wird es schlagartig still. Die Nachricht vom hohen Besuch hat sich schnell verbreitet. Die Soldaten an den Tischen beobachten ihn. Aber es passiert nichts Ungewöhnliches, kein Antreten, keine Ansprache. Zorn holt sich etwas zu essen und setzt sich zu ihnen. Dann steigt auch wieder der Geräuschpegel.
In der Clausewitz-Kaserne sind neben dem ZMZzivil-militärische Zusammenarbeit auch das Bataillon 912 für elektronische Kampfführung (EloKaElektronische Kampfführung) und das Sanitätsversorgungszentrum Nienburg stationiert. Der Generalinspekteur interessiert sich für die Betreuung der rund 1.000 Soldaten. Stabsbootsmann René Fuchs führt ihn durch ein gut ausgestattetes Gebäude mit Kiosk, Aufenthaltsräumen und modernen Fitnessgeräten. Er entschuldigt sich, dass er nichts vorbereitet hat. Zorn winkt ab, er ist begeistert und fragt, ob etwas fehlt. Fuchs freut sich über das Lob und verneint: „Wir haben alles und sind zufrieden.“ Als der Besuch weg ist, weicht die Anspannung: „Das war schon was Besonderes gerade.“
Das Überraschungsmoment ist mittlerweile dahin. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, die Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch die Kaserne. Zorn kennt das, er will die Soldaten nicht in Verlegenheit bringen, sondern lediglich einen unverstellten Blick. Es störe ihn nicht, wenn irgendwo ein Sandberg liege oder der Rasen nicht gemäht sei. Bei einem Besuch im Sanitätsbereich, erzählt er, blickte er in verdutzte Gesichter und wurde gefragt, ob er krank sei. Die Soldaten sollen sich bei den „Ü-Ei-Besuchen“ direkt und authentisch präsentieren. Woran arbeiten sie? Wie entwickelt sich der Standort? Der Generalinspekteur hört zu und erkundigt sich, ob es Probleme gibt. Der Dienstgrad spielt dabei keine Rolle. Gestenreich erzählt Zorn Anekdoten, macht Scherze und schafft es so, dass die Soldaten über sich und ihre Arbeit tatsächlich sehr offen sprechen.
Oberstleutnant Sascha Mies ist seit kurzem Kommandeur des EloKaElektronische Kampfführung-Bataillons 912. Der Besuch von Zorn ist eine Gelegenheit, um sich und die Arbeit seiner Einheit zu präsentieren. Dafür wechseln sie in einen gesperrten Bereich – die Aufklärungsergebnisse sind geheim. Der Fachliche Leiter des Bataillons, Oberstleutnant Ralf Keppler, ist hinzugekommen und danach begeistert. „Das hat Spaß gemacht. Der General hat viele Fragen gestellt.“ Dass der Besuch nicht angekündigt war, sieht er nicht kritisch, im Gegenteil: „Ich habe zum ersten Mal einen Generalinspekteur hautnah erlebt und ihm meine Arbeit vorgestellt – ein Highlight.“
Der Besuch geht zu Ende. „Ich habe viel Neues erfahren und bin zufrieden mit dem, was ich hier sehe und höre“, erklärt Zorn beim Verlassen der Kaserne. Jetzt geht es zurück nach Hannover. Den Spießen hat er versprochen, dass er am Abend wieder da ist. In geselliger Runde möchte er noch mit einigen sprechen, die er aus früheren Funktionen und Treffen kennt. Der morgige Tag sieht wieder ein volles Programm vor. Den Vormittag verbringt er bei der Spießtagung, danach weiter nach Brüssel. Im Militärausschuss der EUEuropäische Union beraten er und seine Amtskollegen die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini. General Zorn muss sich auf vielen Parketten bewegen – und das macht er gerne.
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