Im Zeichen einer überaus vielschichtigen und facettenreichen Debatte stand der dritte Workshop des Bundesministeriums der Verteidigung zur Überarbeitung des Traditionserlasses.
Mit dabei: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die sich wie alle Teilnehmer ein aufschlussreiches Bild von der komplexen Thematik machen konnte. Im Unterschied zu den beiden vorherigen Workshops war dieser eindeutig militärgeschichtlich fokussiert.
Traditionsbildung in den Streitkräften ist keine Geheimwissenschaft! Nach den zuvor in Hamburg und Koblenz veranstalteten Workshops wurde der transparente Meinungsbildungsprozess nunmehr am historischen Ort der „Villa Ingenheim“, dem Standort des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) in Potsdam, fortgeführt. Kooperationspartner war das Institut für Zeitgeschichte (IfZ).
„Kostbares Erbe oder drückende Last der Vergangenheit? Funktion und Bedeutung der älteren deutschen Militärgeschichte für die Tradition der Bundeswehr“. Unter dieser Fragestellung hatten sich 150 interne und externe Experten, Soldaten und zivile Mitarbeiter der Bundeswehr zum offenen Meinungsaustausch eingefunden.
Angesichts der „Zerrissenheit und der Widersprüche“ der deutschen Militärgeschichte wies einleitend Herfried Münkler, Professor an der Berliner Humboldt-Universität, auf die besondere Schwierigkeit hin, „unproblematische Traditionslinien“ für die Bundeswehr aus der Zeit vor 1945 festzustellen. Angesichts des Spannungsfeldes zwischen Militär und Demokratie bis 1945 verwandte Münkler für den Zeitraum 1919 bis 1945 ganz bewusst den Begriff „Kontamination“. Soll heißen in logischer Schlussfolgerung: Auch der militärische Widerstand gegen Hitler und das NSNationalsozialismus-Regime bestand nicht aus lupenreinen Demokraten. Dennoch ist „der Zwanzigste Juli“ mit dem Traditionsverständnis einer demokratisch orientierten Armee vereinbar. Die Schwierigkeit liege darin, dies plausibel für den heutigen Betrachter herauszufiltern.
In zwei Sektionen wurde die deutsche Militärgeschichte vor 1945 aufbereitet: Sektion 1 befasste sich mit der Deutschen Militärgeschichte vor 1933, Sektion 2 thematisierte schwerpunktmäßig die Jahre 1933 bis 1945. Beiden Sektionen war jeweils folgender Ablauf in vier Stationen gemein: Den Impulsvorträgen, gehalten von Professor Michael Epkenhans und Professor (em.) Michael Wolffsohn, schlossen sich Kommentare an. Hierbei traten Professor (em.) Stig Förster und Dr. Christian Hartmann (IfZ) auf.
Den Statements der Historiker folgten die Meinungsbeiträge der Brigadegenerale Kai Rohrschneider und Alexander Sollfrank. Die darauffolgenden Diskussionsrunden erfuhren jeweils eine Ergänzung durch Generalleutnant a.D.außer Dienst Rainer Glatz sowie Professor Sönke Neitzel auf dem Podium – und natürlich die sehr zahlreichen Meinungsbeiträge aus dem Plenum.
Michael Epkenhans, Professor und Leitender Wissenschaftler am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, sprach im Fall der Bundeswehr von einem „angeblichen Trauma einer unbewältigten Vergangenheit“ und riet eindrücklich, bei der Überarbeitung des Traditionserlasses eines zu bedenken: Niemand könne von der Bundeswehr verlangen, dass sie besser sei als die Gesellschaft, in der sie sich befinde.
Die Bundeswehr gehöre, angesichts der Qualität der Militärgeschichtsforschung und Militärgeschichtsvermittlung, weder als Fall für den Psychologen „auf die Couch“, noch müsse sie in „Sack und Asche“ gehen. Entscheidend ist das historische Orientierungswissen.
Was die Zeit vor 1933 angehe, so sollte hinsichtlich der Traditionspflege der Gedanke des „Bürgersoldaten“ – wie er sich in der Revolution von 1848/49 oder den wehrpolitischen Vorstellungen des Reichspräsidenten Friedrich Ebert (1919-1925) zeigte – Wertschätzung finden. Ohne reformerische und demokratische Impulse des 19. Jahrhunderts sei nämlich weder das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland noch der Bundeswehr erklärbar. Auch „Beispiele des Scheiterns“ können sensibilisieren!
Den Kontrapunkt dazu lieferte Stig Förster, emeritierter Professor der Universität Bern. Er fragte provokant, wozu sich eigentlich Soldaten der Bundeswehr mit Moltke und Tirpitz beschäftigen müssten und gab so möglicherweise unfreiwillig der Auffassung recht, der Soldat müsse sich nur mit allerjüngster Zeitgeschichte auseinandersetzen.
Für Förster beginnt die Tradition der Bundeswehr grundsätzlich erst nach 1945: „Die Bundeswehr kann stolz sein auf ihre eigene Geschichte.“ Sie sei die Armee einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft. Das sei ein sehr hohes Gut. Deshalb sei der Rückgriff auf personalisierte Vorbilder vor 1933 nicht mehr angebracht.
Für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 machte Förster allerdings ausdrücklich eine Ausnahme. Er benannte den militärischen Widerstand gegen das NSNationalsozialismus-Regime als Bezugspunkt für die Traditionspflege der Bundeswehr.
Der Traditionserlass von 1982 sei in seinen Maßstäben für die deutschen militärgeschichtlichen Traditionslinien aus der Perspektive des Entstehungsjahres „ziemlich modern“. Aus heutiger Sicht „mogle er sich“ um das Geschehen zwischen 1914 und 1945 letztlich doch „herum“. Für Förster steht darüber hinaus außer Frage, dass die preußischen Militärreformen von 1807/14 ausdrücklich nicht zum Traditionsbestand der Bundeswehr gehören sollten.
Brigadegeneral Kai Rohrschneider, Chef des Stabes des US-amerikanischen Heeres in Europa, kam auf die Debatte um die Benennung von Kasernen der Bundeswehr zu sprechen. Nach seiner Wahrnehmung habe diese Diskussion in der Truppe nicht den Stellenwert wie in der Öffentlichkeit. Rohrschneider brachte es auf den Punkt: „Ich brauche keine Moltke-Kaserne, aber ich möchte Moltke studieren.“ Rohrschneider gab zu bedenken, Soldaten hätten auf Militärgeschichte und Traditionspflege einen anderen Fokus als zivile Bürger.
Soldaten, die sich emotional und intellektuell aufs Gefecht einstellen müssten, bräuchten Vorbilder aus dem Kampf. Den Bürgern gehe es hingegen mehr um die Einordnung von Militärgeschichte und Traditionspflege in den gesellschaftlichen Kontext. Rohrschneider erinnerte ausdrücklich daran, dass man die Sicht des „Oberstabsgefreiten aus der Truppe“ nicht aus den Augen verlieren dürfe.
Einen weiteren Impuls setzte Michael Wolffsohn, emeritierter Professor der Universität der Bundeswehr München. Er fordert zusätzlich zum Traditionserlass einen Ethikkodex. Darin müsse das Thema Töten unbedingt behandelt werden. Ausgehend vom 5. Gebot „Du sollst nicht töten“ argumentierte er, dass Soldaten in Ausnahmefällen eben doch töten müssten. „Töten ist eben nicht morden“, so Wolffsohn. Mit einer Anleihe beim französischen Schriftsteller Albert Camus brachte er es auf den Punkt: Man müsse manchmal töten, um das Morden zu beenden.
Weiter gehöre in diesen Kodex, dass im Kontext von Befehl und Gehorsam Widerspruch erlaubt sein müsse. Und zwar als Fehlerkorrektiv. Dies sei allerdings nicht so zu verstehen, dass dies ein und dasselbe sei mit dem Recht auf Widerstand. Wolffsohn lag besonders daran zu betonen, dass „auch Vorbilder fehlbar“ seien. Das gelte nicht zuletzt für die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944.
Dann wechselte Wolffsohn zur Gründergeneration der Bundeswehr, also in die Zeit nach 1945. Er riet, hier die Dinge mit Augenmaß und Realitätssinn zu betrachten. Im Hinblick auf die durch die Nazizeit geprägten Angehörigen der Bundeswehr zitierte Wolffsohn den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer: „Sie müssen die Menschen so nehmen, wie sie sind.“ Das Wunder der Bundeswehr im Nachkriegsdeutschland, wie Wolffsohn es nannte, bestehe gerade darin, dass belastete Personen „das Neue am Neuen“, die Bundeswehr, demokratisch aufgebaut hätten.
Gerade die Forschungen zur Wehrmacht im Krieg an der Ostfront von Christian Hartmann stehen exemplarisch dafür, dass die Wehrmacht als Institution für die Bundeswehr keine positive Vorbildfunktion haben kann. Hartmann betonte im Kontrast dazu, dass die Bundeswehr zur Zeit des Kalten Krieges und der „Bonner Republik“ eine wirkliche Erfolgsgeschichte gewesen sei. Das sei aber den wenigsten bewusst. Mit den soldatischen Leistungen im Zeitraum 1955 bis 1989/90 werde in der militärgeschichtlichen Reflexion bislang „überraschend lieblos“ umgegangen. Das müsse anders werden.
Der Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSKKommando Spezialkräfte), Brigadegeneral Alexander Sollfrank, betrachtete die Überarbeitung des Traditionserlasses aus Sicht der Kampftruppen. Für das Selbstverständnis gerade dieser Truppen sei Tradition substanziell. Begriffe wie Ehre, Mut, Loyalität, Tapferkeit und Entschlossenheit müssten im Traditionsverständnis enthalten sein: „Wo sollen wir suchen?“, fragte Sollfrank. Und er gab umgehend die Antwort: Zunächst einmal in der Tradition der Bundeswehr. Doch Sollfrank fragte sogleich: Sind aus den erfolgreichen Kämpfen und Festnahmeaktionen des KSKKommando Spezialkräfte, so etwa im afghanischen Baglan oder auf dem Balkan, bereits traditionsstiftende Elemente für die Bundeswehr gezogen worden? Ausgehend davon plädierte er dafür, das Traditionsverständnis der Bundeswehr in diesem Sinne zu erweitern.
Abschließend unterstrich der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker: „Die Bundeswehr muss sich auf sich selbst besinnen.“ Gerade aufgrund der von Münkler eingangs benannten Schwierigkeiten, die richtigen Schlüsse für die Tradition der Bundeswehr aus dem Bestand deutscher Militärgeschichte vor 1945 zu ziehen, betonte Wieker: Es komme auf die Trennschärfe an. Weiter zeigte sich der Generalinspekteur „ausgesprochen beeindruckt“ über die diversen Perspektiven auf das Thema Traditionspflege.
Der Workshop lieferte nach übereinstimmender Meinung aller Sektionsteilnehmer wichtige Ansichten, Anregungen und Denkanstöße für die Überarbeitung des Traditionserlasses. Einen „Wildwuchs des Erinnerns“, wie in der Gründungsphase der Bundeswehr bis 1965 vielfach üblich, werde es, dessen zeigte sich Münkler ganz sicher, nicht geben.
Der Verlauf des nach Aussage des neuen Kommandeurs des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Kapitän zur See Jörg Hillmann, „Richtschnur und Kompass“ gebenden dritten Workshops zur Traditionspflege legte markant Zeugnis dafür ab, dass Magnus Brechtken, Professor und stellvertretender Direktor des IfZ, eingangs richtig lag mit dem Statement der „begrüßenswerten Selbstreflexion im Geschichtsbewusstsein der Bundeswehr“.
Die Veranstaltung hat mir sehr gut gefallen. Wichtig dabei war mir, dass auch Politiker und Wissenschaftler daran teilgenommen haben. Und dass sie die Meinungen der Soldaten zum Thema Traditionen in der Bundeswehr auch anhören. Diese Meinungen und Anregungen waren durchaus vertreten und das fand ich sehr gut.Oberstabsgefreiter Yvonne Werner, ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr,
Der Workshop hat mir sehr gut gefallen. Es war mir wichtig, dass wir von der Universität mit dabei waren, Jungoffiziere, die jetzt reinwachsen. Wir haben im Gespräch festgestellt, dass bei der Tradition zwar die linke und rechte Grenze von oben vorgegeben werden kann, aber Tradition trotzdem von unten wachsen muss. Aber im Endeffekt muss von oben die Vorgabe kommen. Dann arbeiten wir damit und die Tradition kann wachsen, wie eine Pflanze.Leutnant Ben Dibowski, Vorsitzender der Studierendenvertretung der Universität der Bundeswehr München ,
Inhalte teilen via