Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hält an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg ihre dritte Grundsatzrede. Ihre ersten beiden Grundsatzreden hielt sie an den Bundeswehr-Universitäten in München und Hamburg.
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Kommandeur,
meine Damen und Herren,
Soldatinnen und Soldaten!
Ich freue mich sehr, heute hier in Hamburg an der Führungsakademie der Bundeswehr die diesjährige Grundsatzrede zu halten.
Die Führungsakademie, an der die Generalstabsoffiziere und -offizierinnen der Bundeswehr und auch das zivile Spitzenpersonal ausgebildet werden, ist eine zentrale Zukunftswerkstatt der Bundeswehr. Hier werden die Menschen geprägt, die schon bald in verantwortlicher Position über die Geschicke der deutschen Streitkräfte mitentscheiden werden.
Hier werden Ihnen solide Fachkenntnisse und breite Bildung vermittelt, vor allen Dingen aber auch: charakterliche Lauterkeit und der Mut zum offenen Diskurs.
Und deswegen lassen Sie mich zu Beginn ganz in diesem Sinne direkt auf eine aktuelle Frage zu sprechen kommen, die mit Ihrer zukünftigen Rolle als Führungskräfte und Mitentscheidende ganz zentral zu tun hat:
Sie haben die Meldungen aus Litauen verfolgt, wo deutsche Soldaten im Einsatz sehr ernste und völlig inakzeptable Verfehlungen begangen haben.
Diese Soldaten setzen mit ihrem Verhalten leichtfertig den Ruf der gesamten Bundeswehr aufs Spiel. Mit ihren widerwärtigen Verfehlungen beschädigen sie den Einsatz und die Leistungen aller ihrer Kameradinnen und Kameraden und gefährden den guten Ruf unseres Landes.
Wir hören von sexueller Nötigung und von systematischem Mobbing, von Unregelmäßigkeiten im Umgang Munition, wir hören von antisemitischen Äußerungen, von Liedern aus der Nazi-Zeit.
Das sind besonders schwerwiegende Verfehlungen und sie werden mit aller Schärfe verfolgt und geahndet werden. Bis hin zur Entfernung der verantwortlichen Personen aus der Bundeswehr.
Sehr viele in der Bundeswehr, mich eingeschlossen, sind tief enttäuscht. Denn diese Soldaten haben etwas getan, was unsoldatischer und unkameradschaftlicher kaum sein: Sie sind Ihnen, sie sind uns allen in den Rücken gefallen.
In einer Situation, in der das Ministerium und viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier für mehr Geld für wichtige Rüstungsprojekte kämpfen. In einer Situation, in der wir uns bei der Enhanced Forward Presence Desinformationskampagnen aus Russland ausgesetzt sehen.
Wer sich so verhält, ist in der Bundeswehr nicht richtig aufgehoben.
Zu Recht werden jetzt Fragen gestellt:
Sie waren ausgebildet. Sie waren sensibilisiert worden. Trotzdem haben sie sich so falsch verhalten.
In meiner Rede bei der Bundeswehrtagung am vergangenen Freitag sagte ich, dass ich für eine standfeste Truppe stehe. Eine Truppe, die das innere Rüstzeug zur demokratischen Standfestigkeit hat.
Für eine standfeste Truppe zu kämpfen, heißt für mich als Ministerin auch, bei solchen Fällen hart durchzugreifen.
Das ist das eine. Mir geht es aber noch um etwas anderes. Und das betrifft Sie alle, die Sie heute in diesem Raum sitzen.
Sie alle gehen nun in verantwortungsvolle Aufgaben in die Truppe und in die Dienststellen.
Als Vorgesetzte, als Truppenführer, als disziplinarisch Verantwortliche werden Sie dann unsere first line of defense gegen extremistische Aktivitäten und andere Verfehlungen in der Truppe sein.
Ich appelliere an Sie alle: Schauen Sie genau hin, seien Sie konsequent, lassen Sie nichts durchgehen, verschweigen Sie nichts!
Die Bundesrepublik Deutschland tapfer zu verteidigen, heißt auch, sie genau dort, in solchen Situationen, prinzipienfest zu vertreten:
Das ist nicht immer leicht. Die persönliche Konfrontation in diesen Fragen erfordert Mut und Menschenkenntnis. Aber sie ist essenziell.
Die Bundeswehr muss sich in diesen Fragen an ihren hohen Maßstäben messen lassen und sich jeden Tag an sie halten. Als Generalsstabsoffiziere und -offizierinnen, als zivile Führungskräfte stehen Sie dafür in besonderer Verantwortung.
Es heißt ja nicht umsonst: Führen durch Vorbild.
Mein Auftrag an Sie ist:
Aber: Verlieren Sie Ihre Bescheidenheit nicht. Im Vordergrund steht die Aufgabe, stehen die Männer und Frauen, die Sie führen.
Das ist umso notwendiger, weil unsere Bundeswehr vor großen Aufgaben für die Zukunft steht.
Der Generalinspekteur und ich haben deshalb mit dem Eckpunktepapier eine Debatte über die Bundeswehr der Zukunft angestoßen. Denn als Führungskraft zu dienen, das heißt für uns: Dienst an der Zukunft zu leisten.
Es geht nicht um irgendeine Zukunft, es geht um Ihre Zukunft, meine Damen und Herren. Die Aufträge zur Bündnisverteidigung in zehn Jahren werden Sie erfüllen. Die Einsätze in zehn Jahren werden Ihre Einsätze sein. Die Strukturen, die wir jetzt bauen, werden Ihren Dienst entscheidend prägen.
Welche Aufgaben kommen also in der Zukunft auf uns, welche Aufgabe kommen in der Zukunft auf Sie alle zu?
Es ist gerade in vielen Bereichen unseres Lebens spürbar, dass ein neues Zeitalter vor der Tür steht.
Ob wir über das Leben und Arbeiten in einer voll digitalisierten Welt sprechen oder über die große Aufgabe Klimaschutz.
Ob wir über Chinas Aufstieg und seine Ambitionen sprechen oder über die Ordnung der Welt und ihre neuen Machtzentren.
Ob wir über rasante Entwicklung neuer Technologien sprechen oder bisher nicht gekannte Arten der Kriegführung.
Überall spüren wir instinktiv: Etwas ganz Neues wird kommen. Und es wird die Welt, die wir kennen, sehr verändern.
Bei den Gipfeltreffen der G7Gruppe der Sieben und der NATONorth Atlantic Treaty Organization in dieser Woche haben wir inmitten des schnellen Wandels eine zuversichtliche Stimmung wahrnehmen können. „Der Westen ist wieder da“ lautete eine Überschrift. Das ist eine wichtige, gute Nachricht – und gleichzeitig wurde gerade auch mit der G7Gruppe der Sieben-Agenda und den Debatten über die NATONorth Atlantic Treaty Organization 2030 klar, dass große Veränderungen auf uns zukommen.
Auch in unserem eigenen Land werden die kommenden Wahlen eine neue politische Konstellation bringen – egal, wie das Ergebnis am Ende aussieht.
Veränderung also und damit im bestverstandenen Sinne: Aufbruch.
Für Deutschland bedeutet diese neue Welt, die kommen wird, vor allem, zwei große Aufgaben zu schultern:
Erstens:
Wir müssen unbedingt die Technologien der Zukunft meistern. Am Besten wäre es natürlich, wenn diese Technologien aus Deutschland kämen, weil sie hier entwickelt und erfunden wurden.
Den rasanten technologischen Wandel müssen wir nicht nur interessiert beobachten oder ertragen, sondern wir müssen ihn in Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt aktiv mitgestalten, gerade im Bereich der Sicherheit und Verteidigung.
Unsere Sicherheit, unser Wohlstand, unsere sozialen Systeme und die politische Gestaltungskraft werden entscheidend davon abhängen, dass Deutschland und Europa eine technologische Führungs- und Gestaltungsrolle haben. Dafür müssen wir schneller, innovativer, kreativer, mutiger und vielleicht auch ein stückweit cleverer werden.
Zweitens:
Deutschland muss seine Verantwortungsrolle in Europa annehmen. Wir müssen auch wirklich führen:
Die Bundeswehr ist einer der Orte, an dem sich für die Zukunft erweisen wird, ob wir diese beiden Aufgaben lösen können: Fortschritt aktiv gestalten und verantwortungsvoll Führen.
Ich weiß, dass es in unserem Land einige gibt, die sich damit immer noch schwer tun. Auch mit Blick auf unsere Geschichte. Denn unsere Geschichte lässt uns niemals los.
Doch längst wissen unsere Nachbarn um unsere gefestigte, gelebte Demokratie. Unsere Bindungen in die NATONorth Atlantic Treaty Organization, die EUEuropäische Union und die Vereinten Nationen reichen tief. Deutschland geht besonnen mit seinen Streitkräften um.
Wir dürfen also diese Rolle ruhigen Gewissens annehmen.
Wir müssen und werden von nun an mehr tun für die Verteidigung Europas, für unsere eigene Sicherheit und unsere Interessen. Wir müssen und werden mehr tun für die westlichen Werte, die offene Gesellschaft und die Herrschaft des Rechts.
Und wir müssen und werden mehr tun, nicht nur, weil man uns vertraut, sondern auch weil es Herausforderungen gibt, die oft direkt vor unserer eigenen Haustür liegen.
Die Sicherheit Europas ist heute stärker bedroht als noch vor zehn Jahren. Wir erleben tausende Cyberangriffe auf Deutschland – täglich!
Die Schutzmacht USA, auch unter Präsident Joe Biden, hat ihre erste Priorität nach Asien verschoben. Ich habe vor wenigen Tagen die amerikanische Pazifik-Insel Guam besucht. Da wird das spürbar, auf jedem Quadratmeter dieser Insel.
Für uns Europäer bleibt also viel Platz für mehr Eigenverantwortung.
Zum einen in der östlichen Nachbarschaft, wo Russland – mal verdeckt mal offen – Krieg führt, militärisch massiv aufrüstet und – auch hier: mal verdeckt, mal offen – seine Nachbarn, unsere Freunde und Partner, bedroht.
In der südlichen Nachbarschaft, wo sich der islamistische Terrorismus ausbreitet, auch wenn dies aktuell nicht die Nachrichten dominiert, wo das Mittelmeer Schauplatz von geopolitischen Streitereien, Migration und Schmuggel ist.
Im Verhältnis zu China, das für uns auch Partner ist und doch gleichzeitig mit Macht und Geld nach Europa drängt, um hier zur faktischen Vetomacht zu werden.
Die chinesische Führung hat gerade ganz offen erklärt, dass sie beim Kampf um Weltgeltung verstärkt auf Propaganda und Desinformation setzen will.
Schon jetzt setzt Peking seine blauen Männchen im südchinesischen Meer so ein, wie Russland es auf der Krim und in der Ostukraine mit den grünen Männchen getan hat.
Die internationale Ordnung, auf die wir bauen, steht also massiv unter Druck. Das betrifft uns Deutsche direkt. Es gibt keine Region, die weit von uns entfernt wäre. Von unseren Exporten in alle Welt, von freien Märkten und offenen Handelswegen hängen mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze in Deutschland ab.
Gerade hier in Hamburg weiß man das, wo die „Pötte“ die Elbe rauf- und runterfahren und wo im Hafen viele Millionen Container umgeschlagen werden. Ein Hafen im Übrigen, in dem auch die ambivalente Rolle Chinas als Partner und als Herausforderung ganz deutlich wird.
Und gerade weil wir so global vernetzt sind, haben ich die Entsendung einer Fregatte in den Indo-Pazifik entschieden. Stabilität, Freiheit und Sicherheit dort vor Ort gehen uns hier in Deutschland direkt an.
Deutschland und Europa haben in dieser neuen Welt, die entsteht, viel zu verlieren: Freiheit, Frieden, Wohlstand. Wir müssen und werden also mehr tun, weil das für uns von existenzieller Bedeutung ist.
Meine Damen und Herren,
wenn ich hier davon spreche, Freiheit, Frieden Wohlstand und Recht zu verteidigen, dann spreche ich als Verteidigungsministerin natürlich über das ganze Spektrum von der Diplomatie und Verhandlung bis zur Verteidigung mit militärischen Mitteln.
Da gibt es ein paar Dinge zu klären, die man in Deutschland gar nicht oft genug – und nicht offen genug – ansprechen kann.
Verteidigung, das heißt: Abschrecken mit der Androhung militärischer Gewalt, um so Raum für politische Lösungen zu schaffen.
Aber notfalls heißt es auch Anwendung militärischer Gewalt – kämpfen.
Am Dienstag war ich vor Eckernförde mit einem unserer U-Boote auf Tauchgang. Ein hochmodernes, hochkomplexes Waffensystem. Ein Waffensystem, dass abschrecken und notfalls kämpfen kann. Es gibt gute Gründe, warum wir solche Waffensysteme betreiben. Es ist wichtig, so etwas nicht nur zu wissen, sondern auch zu begreifen.
Ich sage das deswegen so deutlich, weil es ein Gebot des Anstandes gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten ist, dass wir sie nicht verleugnen, in dem wir schamvoll ihre eigentliche Aufgabe verschleiern.
Unser verantwortungsvolles, demokratisches und besonnenes Land kann sich diese Ehrlichkeit schon zumuten.
Und noch etwas gehört zu dieser Ehrlichkeit dazu: Wer Freiheit und Frieden verteidigt, der muss wissen, dass er dafür einen moralischen Preis zahlen muss. Der muss bereit sein, diesen Preis zu zahlen.
In Fragen von Krieg und Frieden, bei Fragen existenzieller Not, gibt es fast immer nur mehr oder weniger schlechte Handlungsoptionen. Eine Ideallösung ist selten zu haben.
Wer in einer solchen Situation handlungsfähig bleiben will, der muss sich auch in der moralischen Grauzone entscheiden können.
Gerade deswegen ist es so wichtig, dass die Truppe standfest ist. Nur wer Charakter hat, wer charakterliche Lauterkeit hat, der kann im harten moralischen Dilemma das Richtige tun.
Für Deutschland und für Europa jedenfalls gilt: Wir können das! Wir können uns das mit der ganzen Kraft der Besonnenheit zutrauen. Und unsere Soldatinnen und Soldaten können das auch. Darauf vertraue ich ganz fest.
Wir können das übrigens auch deswegen, weil wir ein fester Bestandteil des Westens sind. Weil wir Teil einer Wertegemeinschaft sind, die sich korrigiert, füreinander einsteht, sich umeinander sorgt. Wer in der Westbindung steht, der muss schwere Entscheidungen niemals allein fällen.
Es mag sein, dass manche Herrscher sich ihre Macht auf Lebenszeit angeeignet haben. Sie brauchen sich nicht wählen zu lassen.
Wir im Westen haben aber einen strategischen Vorteil, denn wir haben echte Freunde, die an unserer Seite stehen.
Und noch etwas gehört zu dieser Ehrlichkeit dazu: Wer Freiheit und Frieden verteidigt, der muss wissen, dass er dafür einen moralischen Preis zahlen muss. Der muss bereit sein, diesen Preis zu zahlen.
In Fragen von Krieg und Frieden, bei Fragen existenzieller Not, gibt es fast immer nur mehr oder weniger schlechte Handlungsoptionen. Eine Ideallösung ist selten zu haben.
Wer in einer solchen Situation handlungsfähig bleiben will, der muss sich auch in der moralischen Grauzone entscheiden können.
Gerade deswegen ist es so wichtig, dass die Truppe standfest ist. Nur wer Charakter hat, wer charakterliche Lauterkeit hat, der kann im harten moralischen Dilemma das Richtige tun.
Für Deutschland und für Europa jedenfalls gilt: Wir können das! Wir können uns das mit der ganzen Kraft der Besonnenheit zutrauen. Und unsere Soldatinnen und Soldaten können das auch. Darauf vertraue ich ganz fest.
Wir können das übrigens auch deswegen, weil wir ein fester Bestandteil des Westens sind. Weil wir Teil einer Wertegemeinschaft sind, die sich korrigiert, füreinander einsteht, sich umeinander sorgt. Wer in der Westbindung steht, der muss schwere Entscheidungen niemals allein fällen.
Es mag sein, dass manche Herrscher sich ihre Macht auf Lebenszeit angeeignet haben. Sie brauchen sich nicht wählen zu lassen.
Wir im Westen haben aber einen strategischen Vorteil, denn wir haben echte Freunde, die an unserer Seite stehen.
In Brüssel war ich vor wenigen Tagen bei einem Treffen der sogenannten „Quad“. Wenn Sie neben den Amerikanern, den Franzosen und den Briten stehen, dann spüren Sie, was Wertegemeinschaft und Partnerschaft bedeutet, ganz konkret.
Für unsere Demokratie bleibt die Westbindung eine Schicksalsfrage. Im Zweifel mit dem Westen! Das bleibt unser, das bleibt mein Grundsatz.
Meine Damen und Herren,
mit diesem nüchternen Blick auf die Notwendigkeiten und dem selbstbewussten Blick auf die eigenen Qualitäten kann die Bundeswehr für Deutschland viel leisten.
Unsere Soldatinnen und Soldaten können mehr sein als nur die Verteidiger unseres Landes. Sie können im wahrsten Sinne des Wortes Zukunftsträger für Deutschland sein.
Als Zukunftsträger treiben wir in der Bundeswehr die Digitalisierung konsequent voran.
Und nutzen modernste Technologien und wir bauen uns eine moderne Führungsstruktur, die auf die Bedrohungen unserer Zeit passt, Stäbe verkleinert, Truppe stärkt und Bürokratie verringert.
Zukunftsträger zu sein heißt auch, selbstbewusst auf Heimatverbundenheit zu setzen.
Heimat ist in Zeiten der Globalisierung hochmodern. Und hochwichtig. Das Wort gehört nicht den Extremisten und den Wirrköpfen. Wir lassen die Kirche im Dorf, aber das Dorf gehört trotzdem zur Welt!
Zukunftsträger zu sein heißt deshalb auch, Freiwilligendienste zu stärken und sehr kompromisslos Extremismus zu bekämpfen und Wertebindung vorzuleben.
Es heißt nicht zuletzt, den Menschen und ihren Fähigkeiten zu vertrauen und ihnen ihre Freiheit immer wieder zuzumuten.
Die Bundeswehr ist in all diesen Bereichen Wissensträger, oftmals Vorreiter. Sie ist damit eine der Kräfte, die dieses Land fit machen für die Zeitenwende.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe Sie am Anfang dieser Rede dazu aufgerufen, schwierigen Fragen nicht aus dem Weg zu gehen und will das selbst auch nicht tun. Lassen Sie mich daher noch eine weitere wichtige Zukunftsfrage ansprechen.
Ein Anzeichen der heute erwähnten Zeitenwende war die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland unter massivem Bruch des Völkerrechts im Jahre 2014.
Dieser Angriff steht nicht allein. Flankiert wird er bis heute vom Krieg in der Ostukraine. Also dem Versuch, durch Destabilisierung den ukrainischen Staat zu beschneiden und in ständiger Unsicherheit zu halten.
Hinzu kommt die sehr gezielte Hochrüstung Russlands an seiner Grenze zum Westen. Mit riesigen Manövern in Grenznähe, neu aufgestellten Großverbänden und ständigen Nadelstichen zur See und im Luftraum.
Die Raketentechnologie und die Modernisierung der russischen Atomwaffen haben das Augenmerk wieder auf die Frage der nuklearen Abschreckung gerichtet.
Uns erinnert das daran, wie sehr unsere Sicherheit und politische Handlungsfreiheit von der amerikanischen Sicherheitsgarantie abhängen. Nukleare Abschreckung ist ein Kernstück der Sicherheitsgarantien der NATONorth Atlantic Treaty Organization.
Deswegen ist auch das Thema nukleare Teilhabe in der NATONorth Atlantic Treaty Organization so wichtig. Unser Land wird dazu in der nächsten Legislaturperiode eine wichtige Entscheidung treffen muss. Sollen wir in der nuklearen Teilhabe bleiben?
Ich habe mich sehr klar in dieser Frage positioniert. Deutschland muss unbedingt weiter teilhaben, und es muss zügig die Systeme in der Nachfolge des TORNADO beschaffen, die das möglich machen. Einen Vorschlag dazu habe ich im vergangenen Jahr vorgelegt.
Lassen Sie mich das sehr klar und deutlich sagen: Deutschland setzt sich seit vielen Jahren intensiv für Rüstungskontrolle und Abrüstung ein, und das wird auch in Zukunft immer so bleiben und bleiben müssen. Wir wollen weniger, am Ende keine Atomwaffen in Europa und in der Welt.
Aber wir sind nicht naiv. So lange es Atomwaffen gibt in den Händen von Staaten, die
offen in Frage stellen, ja, offen bekämpfen, muss die NATONorth Atlantic Treaty Organization zur nuklearen Abschreckung fähig sein. Und dazu gehört auch die nukleare Teilhabe.
Sie gewährt ausgewählten Staaten, die selbst über keine Atomwaffen verfügen, ein Mitspracherecht an den Einsatzplanungen der Vereinigten Staaten.
Und sie gibt diesen Staaten ein wichtiges Privileg: nämlich am anspruchsvollsten Teil der Bündnissolidarität, der nuklearen Abschreckung, teilzunehmen.
Ein einseitiger Verzicht darauf wäre sinnlos und schädlich. Er vermindert unseren Einfluss, wo wir unbedingt Einfluss wahren müssen. Er schwächt die Abschreckung. Er unterminiert Bündnissolidarität. Und er fördert das Misstrauen gegen Deutschland bei seinen Verbündeten.
Deutschland will keine Atommacht sein. Aber es bleibt abhängig von der Abschreckungskraft der Nuklearwaffen seiner Verbündeten.
Das sind die Realitäten, denen wir 2021 ins Auge sehen müssen. Wir müssen sie beim Namen nennen. Das ist entscheidend um den Frieden zu erhalten. Es reicht nicht aus, den Frieden nur zu wollen, was so mancher offenbar denkt. Man muss den Frieden auch erringen und wahren und dazu bereit sein, das dafür Nötige zu tun.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
das bringt mich zum nächsten heiklen Punkt. Auch er wird uns Reife und Besonnenheit abverlangen: der Verteidigungshaushalt.
Seitdem Russland 2014 die Zeitenwende in der europäischen Sicherheitspolitik erzwungen hat, sind die Verteidigungsausgaben in Deutschland kontinuierlich gestiegen.
Im kommenden Jahr, 2022, werden wir das erste Mal über 50 Mrd. Euro liegen. Traditionell ist der Verteidigungshaushalt der zweitgrößte Einzelposten im Bundeshaushalt.
Für viele Menschen ist das, in ihren eigenen Worten, „obszön“ viel Geld.
Doch das ist eine Fehlwahrnehmung, aus mehreren Gründen:
Der Haushalt wird also weiter steigen müssen, wenn wir sicher bleiben wollen. Und wenn die Bundeswehr Zukunftsträger für Deutschland sein soll.
Für mich ist klar: Der Verteidigungshaushalt ist ein Fürsorgehaushalt!
Er ist der „Haushalt für das Leben in Frieden und Freiheit“.
Er sichert die Rechte künftiger Generationen. Er ist ein Anzeichen dafür, ob wir es mit dem Recht auf Zukunft, das heute oft beschworen wird, wirklich ernst meinen.
Wir sollten uns angewöhnen, vom Verteidigungshaushalt als zentrale Zukunfts-Investition zu sprechen. Dies müssen wir fest im Blick behalten. Denn schon bald wird um Koalitionsverträge und Finanzplanungen gerungen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die neue strategische Rolle Deutschlands wird einen Mentalitätswandel erfordern. Wir müssen ab jetzt unsere Führungsrolle annehmen. Wir müssen ehrlicher debattieren. Wir müssen uns endlich moralisch schwierigen Fragen stellen. Und vor allem müssen wir ohne Scheu Geld in unsere Zukunft investieren.
Noch etwas kommt hinzu, das mir persönlich sehr wichtig ist. Die neue strategische Rolle findet ihr Gegenstück auch in der Wertschätzung, der Anerkennung für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.
Mein Eindruck ist: Die Bevölkerung weiß sehr wohl, dass sie sich auf ihre Soldatinnen und Soldaten verlassen kann. Beim Einsatzwillen, bei der Verfassungstreue, bei der Bereitschaft zu dienen.
Das sollte noch viel mehr und noch öffentlicher gezeigt werden. Genau dafür schaffen wir die passenden Anlässe.
Mit dem kostenfreien Bahnfahren in Uniform und mit den vielen öffentlichen Gelöbnissen im ganzen Land haben wir erste Schritte gemacht – mit großem Erfolg!
Soldatinnen und Soldaten in Uniform haben seit Jahresbeginn 2020 eine Million Fahrten mit der Bahn in Uniform unternommen.
Das heißt übersetzt nichts anderes als eine Millionen Gelegenheiten, sich zu begegnen, Fragen zu beantworten, zu Diskussionen zu führen und Wertschätzung zu erfahren und entgegenzunehmen.
Plötzlich waren die Menschen in der Bundeswehr wieder sichtbarer und Teil des Stadtbilds. Die öffentlichen Gelöbnisse waren auf den Titelseiten und auch zur besten Sendezeit im Fernsehen.
Und es wird noch mehr kommen.
Mein Appell an Sie alle: Gehen Sie raus, suchen Sie den Kontakt. Vertreten Sie offensiv die Bundeswehr in der Öffentlichkeit.
Die besten Botschafter der deutschen Streitkräfte, meine Damen und Herren, das sind Sie!
Meine Damen und Herren,
die Zukunft ist offen. Nicht alles, aber manches haben wir selbst in der Hand.
Für diese Zukunft wünsche ich mir eine starke, eine standfeste und eine stolze Bundeswehr.
Sie alle hier sind in besonderem Maße dazu berufen, dabei mitzutun, Verantwortung zu tragen: Mit Ehrlichkeit, Besonnenheit und Selbstvertrauen.
Ich wünsche Ihnen dafür in Ihrer zukünftigen Laufbahn viel Soldatenglück und Gottes Segen. Vielen Dank!
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