Die gemeinsame Entwicklung von Technologien, Fähigkeiten und Kompetenzen auf europäischer Ebene stärkt die digitale Souveränität, erklärt Generalleutnant Michael Vetter im Interview. Er ist Leiter der Abteilung Cyber/Informationstechnik (CITCyber- und Informationstechnik) und Chief Information Officer (CIOChief Information Officer) im Verteidigungsministerium.
Claudia Rödel: Herr General, hat die COVID-19Coronavirus Disease 2019-Krise die digitale Handlungsfähigkeit herausgefordert?
Generalleutnant Michael Vetter: Die Pandemie hat das Tempo des digitalen Wandels erheblich beschleunigt. Zudem hat sie die grundsätzliche Notwendigkeit unterstrichen, schnell innovative Ansätze zu finden und digitale Technologien einzusetzen. Wir haben uns zügig an die neue Arbeitsrealität in der Pandemie angepasst, indem wir Maßnahmen zur Ausweitung der Möglichkeiten für mobiles Arbeiten in der Bundeswehr ergriffen und so die Arbeitsfähigkeit aufrechterhalten haben. Gleichzeitig war und ist die Informationssicherheit zu gewährleisten. Mit dem durch die Abteilung CITCyber- und Informationstechnik aufgesetzten „Sonderprogramm Resilienz der Bundeswehr durch Digitalisierung“ wollen wir die Einsatz- und Handlungsfähigkeit der Bundeswehr auch künftig in krisenhaften Lagen nachhaltig verbessern. Erfreulicherweise ist es gelungen, Mittel aus dem Konjunkturpaket der Bundesregierung für den Bereich Cybersicherheit zu erhalten.
Fest steht: Die nationale und europäische Handlungsfähigkeit muss gerade im digitalen Raum auch durch digitale Lösungen gefestigt werden. Die Digitalisierung und die damit einhergehende Notwendigkeit zur Stärkung der digitalen Resilienz haben einen entscheidenden Einfluss auf die Streitkräfte und bestimmen zunehmend auch – unabhängig von der Corona-Pandemie – die Formen zukünftiger Konfliktaustragung.
Wie steht es um die digitale Widerstandsfähigkeit der Streitkräfte in der EUEuropäische Union?
Die Führungsfähigkeit der GSVPGemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik-Operationen und -Missionen wurde während der Pandemie jederzeit aufrechterhalten. Dabei wurden jedoch auch Defizite in den Mitgliedstaaten und EUEuropäische Union-Institutionen festgestellt. Das gilt es nun zu verbessern, um auch die EUEuropäische Union digital widerstandsfähig, also resilient, aufzustellen. Hierfür setzen wir uns im Rahmen der deutschen EUEuropäische Union-Ratspräsidentschaft ein: Unser Ziel ist es, gemeinsame Grundlagen für die Stärkung der digitalen Kompetenzen der Streitkräfte der EUEuropäische Union-Mitgliedstaaten zu schaffen sowie einen Beitrag zur strategischen Fähigkeitsentwicklung im Bereich der Cyberverteidigung zu leisten, um Chancen besser nutzen und Herausforderungen neuer Technologien gemeinsam besser begegnen zu können.
Was bedeutet Digitalisierung für die Bundeswehr und welche Chancen ergeben sich?
Unter Digitalisierung verstehen wir die gezielte Identifizierung und konsequente Ausschöpfung von Potenzialen, die sich aus digitalen Technologien wie künstlicher Intelligenz, 5G und Augmented Reality ergeben. Digitalisierung umfasst dabei mehr als den Aspekt der technischen Innovation. Sie betrifft die gesamte Denk- und Handlungsweise der Bundeswehr auf allen Ebenen. Die Digitalisierung ermöglicht eine robuste und reaktionsschnelle gemeinsame Anstrengung auf einem zukünftigen Gefechtsfeld. Wir müssen das enorme Potenzial der Digitalisierung nutzen, damit unsere Streitkräfte ihren Auftrag in einem Umfeld erfüllen können, das durch eine hohe Informationsdichte gekennzeichnet ist und schnelle Reaktionsfähigkeit erfordert. Digitalisierung ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit der Streitkräfte.
Welche Herausforderungen ergeben sich aus der Digitalisierung, insbesondere durch die zunehmende Relevanz von Technologien im Kontext geopolitischer Spannungen?
Wer Digitalisierung ernst meint, muss sich auch über die eigene digitale Souveränität Gedanken machen. Digitale Souveränität bedeutet, über die notwendigen Fähigkeiten Kontrolle und „Bewegungsfreiheit“ im Cyber- und Informationsbereich zu haben, um den verfassungsmäßigen Auftrag sicher, unabhängig und frei vom Einfluss Dritter zu erfüllen. Unsere digitale Souveränität können wir nur durch die gemeinsame Entwicklung von Technologien, Fähigkeiten und Kompetenzen auf europäischer Ebene erreichen. Dies stärkt nicht nur die Interoperabilität der europäischen Streitkräfte, sondern verbessert auch die Fähigkeit, bei Operationen und Missionen der GSVPGemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu handeln und auf künftige Krisen zu reagieren. Insgesamt trägt dies auch zur Stärkung der europäischen Säule der NATONorth Atlantic Treaty Organization bei.
Vielen Dank, Herr General.
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