Die Bundeswehr hat rund 178.000 Soldaten. Die meisten leisten ihren Dienst in Deutschland. Cirka 3.500 sind im Auslandseinsatz. Ein kleiner Teil dient in „integrierten Verwendungen“. Das umfasst ausländische Dienststellen, multinationale Stäbe und Hauptquartiere auf der ganzen Welt. Hauptmann Nina Schommers ist eine von ihnen. Im ARRC in Großbritannien hat sie gleich zwei Funktionen.
„ARRC ist das Allied Rapid Reaction Corps. Das ist ein schnell verlegbares Hauptquartier der NATONorth Atlantic Treaty Organization“, erklärt Hauptmann Nina Schommers. Seit einem Jahr dient die 29-Jährige mit 17 weiteren deutschen Kameraden in diesem multinationalen Stab im Innsworth im Südwesten Großbritanniens. „Wir sind im gesamten ARRC verteilt. Man kann sagen, in allen Abteilungen sitzt ein Deutscher“, so Schommers. Neben dem Vereinigten Königreich und Deutschland beteiligen sich 19 weitere Nationen mit rund 430 Soldaten an diesem Hauptquartier.
In Deutschland gehörte Schommers dem Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr an. Ihr Aufgabengebiet sind Informationsoperationen, das heißt die Verbreitung und umgekehrt Analyse von Informationen im Einsatz. Diese Soldaten erfassen, analysieren und beurteilen die Lage in einem Operationsgebiet. Sie recherchieren, wie sich Akteure in einem entsprechenden Gebiet zu bestimmten Themen äußern. Analysieren, wie sich die Berichterstattung in den Medien gestaltet oder wie Menschen Ereignisse wahrnehmen. Als Information Operations Officer ist das auch im ARRC Schommers Hauptaufgabe.
„Wir verfolgen die digitalen Medien. Aus den Medienquellen filtern wir mittels spezieller Software heraus, was uns interessiert, Das verschafft uns ein besseres Lagebild“, sagt Schommers. Dazu werden unter anderem die lokalen Nachrichten herangezogen, aber auch Meldungen auf Twitter und Facebook ausgewertet. Beispiel Hubschrauberabsturz: „Die ersten Leute, die zufällig da sind, sehen das und fangen an, darüber zu twittern. Für uns ist dann wichtig, sehen sie Verletzte oder Tote? Bildet sich da gerade ein riesiger Mob?“, erklärt die Soldatin. „Aus solchen Informationsschnipseln bekommen wir ein detaillierteres Lagebild, als wenn wir uns nur auf unsere eigenen Informationsquellen stützen würden.“ Darauf aufbauend können die Soldaten anderer Abteilung aktiv werden.
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Neben dieser Aufgabe ist Schommers auch vorübergehend Gender Advisor. Sie berät den Kommandeur und alle Abteilungen im ARRC. Ziel ist, dass diese in ihrer Befehlsgebung möglichst viele soziale Aspekte berücksichtigen. Gender bezieht sich auf das sogenannte „soziokulturelle Geschlecht“. Es besagt, dass die Vorstellungen von geschlechtsspezifischen Rollenbildern gesellschaftlich geprägt sind. „Die Gender-Perspektive einzunehmen, bedeutet, dass man sich mit den gesellschaftlich konstruierten Geschlechtern beschäftigt. Also die Rolle der Frau, aber auch die Rolle der Männer, der Kinder, der Eltern und so weiter“, erklärt Frau Hauptmann. Das Wissen darüber soll auch militärisches Handeln beeinflussen.
„Als Militär gehen wir oftmals sehr kinetisch an Operationen heran. Welche Brücken müssen wir sprengen? Wie können wir unseren Feind bekämpfen oder vernichten“, sagt Schommers. Durch dieses Vorgehen würden aber nicht nur gegnerische Kampfhandlungen unterbunden. „Wir unterbinden auch soziales Leben. Wenn wir eine Brücke sprengen, kann der feindliche Panzer nicht mehr rüber. Das können aber auch die Frauen und Kinder nicht mehr, die deshalb nicht einkaufen oder nicht zur Schule gehen können.“ Der Konflikt zieht Kreise. Das zivile Leben wird gestört. Dadurch können vor allem junge Männer immer mehr in den Konflikt hineingedrängt werden.
Die Position als Gender Advisor gibt es in der Bundeswehr nicht. Um diese Aufgabe übernehmen zu können, musste Schommers einige Lehrgänge der NATONorth Atlantic Treaty Organization besuchen. „Außerdem gibt es unfassbar viele Online-Lehrgänge, um sich weiterzubilden“, ergänzt sie. Dass sie muttersprachlich Englisch spricht, kam ihr dabei mehr als entgegen. Geboren wurde sie in Colorado Springs, USA. Ihr Vater war amerikanischer Soldat, ihre Mutter ist Deutsche.
Ein Beispiel aus dem Kosovo zeigt, wie wichtig die Kommunikation mit unterschiedlichen Menschen im Einsatz ist. „Ein Verbindungsteam ging zum Polizeichef und fragte: Was sind hier die Probleme in der Region? Und der erzählte von hoher Kriminalität und dass sie mehr Polizei bräuchten, mehr Personal, um mit der Kriminalität umzugehen“, erzählt Schommers. Das gleiche Team habe dann aber auch eine Schule aufgesucht und mit den Müttern gesprochen. „Die sagten: Das Problem ist, unsere Söhne haben keine Jobs. Sie können nirgendwo Geld verdienen, schließen sie sich Gangs an und werden kriminell.“ Ein Lagebild – zwei Perspektiven. Hier setzt die Beratung des Gender Advisor an. „Ich würde zum Kommandeur gehen und sagen: Ja, mehr Polizei schön und gut, das eigentliche Problem liegt aber darin begraben, dass die jungen Männer keine Arbeit haben.“ Jetzt obliegt es dem Kommandeur gegebenenfalls auf örtliche Behörden einzuwirken, beide Probleme anzugehen und nicht nur das Symptom zu bekämpfen.
„Das Ziel vom Gender Advising ist, dass man irgendwann keinen Gender Advisor mehr braucht. Dass es für alle verständlich geworden ist, sich mit allen Gruppen zusammenzusetzen.“
Kurz erklärt:
Das Allied Rapid Reaction Corps, kurz ARRC, ist ein schnell verlegbares multinationales Hauptquartier (HQHeadquarter) der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Seinen Sitz hat es im britischen Innsworth zwischen Birmingham und Bristol im Südwesten Großbritanniens. 21 Nationen beteiligen sich mit rund 430 Soldaten an diesem HQHeadquarter. Darunter sind auch 18 Deutsche. Als Corps-Level-Headquarter kann das ARRC Operationen verschiedener Größenordnungen führen – von der Brigade mit mehreren tausend Soldaten bis hin zur Korpsebene mit zehntausenden Soldaten. Die dazugehörige Truppe wird, abhängig vom Auftrag, dem ARRC zugeteilt. Dieses Jahr ist das ARRC als Land Component Command in Bereitschaft für die NATONorth Atlantic Treaty Organization Response Force. Je nach Auftrag kann auch nur ein kleiner Teil des ARRC ins Krisengebiet verlegen. Der andere Teil würde die Mission aus dem HQHeadquarter in England führen. Unterstellt ist dem ARRC im Falle einer Alarmierung die VJTFVery High Readiness Joint Task Force , die Very High Readiness Joint Task Force, ein schnell verlegbarer Eingreifverband der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Neben dem ARRC existieren noch acht weitere Corps-Level-Headquarter, darunter auch das Deutsch-Niederländische Korps in Münster und das Eurokorps in Straßburg. |
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