Das Nomadenvolk der Tuareg ist an die harten Bedingungen des Lebens in der Wüste angepasst. Jahrhundertelang lebte es von den Karawanen des Transsaharahandels. Fast ebenso lang kämpfen die Tuareg um Autonomie.
Es war einer der schwersten Anschläge in Mali. Am 18. Januar 2017 brachte ein Selbstmordattentäter einen LkwLastkraftwagen in einer Kaserne in Gao in Nordmali zur Explosion – nur zwei Kilometer vom Camp der deutschen Soldatinnen und Soldaten entfernt. Der Attentäter riss 60 Menschen mit in den Tod, Deutsche kamen nicht zu Schaden. Unter den Opfern waren zahlreiche Soldaten des MOCMécanisme Opérationnel de Coordination-Bataillons.
MOCMécanisme Opérationnel de Coordination steht für Operativer Koordinationsmechanismus. Dabei handelt es sich um Verbände aus Regierungssoldaten, ehemaligen Tuareg- Rebellen und regierungstreuen Tuareg, die mit gemischten Patrouillen für mehr Sicherheit im Norden Malis sorgen sollen. Die MOCMécanisme Opérationnel de Coordination-Bataillone sind Bestandteil des Friedensabkommens von Bamako vom Juli 2015 zwischen der malischen Regierung und den Tuareg.
Die Vereinbarung markiert das vorläufige Ende eines jahrzehntelangen Unabhängigkeitskampfes der Tuareg gegen die malische Regierung. Höhepunkt dieses Konfliktes war der Tuareg-Aufstand von 2012, als die Befreiungsbewegung MNLAMovement nationale pour la libération de l'Azawad (Nationale Bewegung zur Befreiung des Azawad) mit ihrem Verbündeten, der islamistischen Terrororganisation Ansar Dine, den Norden Malis eroberte und den Tuareg-Staat Azawad ausrief.
Diese Allianz zerbrach wegen des Streits über die Einführung der Scharia, die die MNLAMovement nationale pour la libération de l'Azawad ablehnte. In der Folge eroberten die Islamisten der Ansar Dine und der al-Qaida im islamistischen Maghreb-Ableger MUJAOMouvement pour l'unicité et le jihad en Afrique de l'Ouest ihrerseits weite Teile Nordmalis. Als die Islamisten drohten, auf Bamako zu marschieren, intervenierte Frankreich unter einem Mandat der Vereinten Nationen und eroberte mit der Opération Serval gemeinsam mit den malischen Regierungstruppen den Norden Malis zurück.
Schon seit Langem spielen die Tuareg in der Region eine wichtige, aber widersprüchliche Rolle: Verschiedene Tuareg-Gruppen im Grenzgebiet von Algerien, Niger und Mali bilden seit jeher unterschiedliche und wechselnde Allianzen.
Warum die Lage so unübersichtlich ist und welche Rolle die islamistische Ideologie spielt, weiß Baz Lecocq. Er ist Professor für die Geschichte Afrikas an der Humboldt-Universität zu Berlin und hat sich intensiv mit der Region beschäftigt. „Mali und die anderen Staaten, in denen Tuareg leben, funktionieren anders als europäische Nationalstaaten“, stellt Lecocq klar. Die Sahara-Region sei ein großer zusammenhängender Kulturraum. In ihm lebten seit jeher unterschiedliche Araber- und Tuareg-Stämme, die mal verfeindet und mal verbündet seien. Für alle aber sei der Sahara-Handel wirtschaftlich überlebensnotwendig, sagt er: „Die oft aus der Kolonialzeit stammenden politischen Grenzen haben wenig Bedeutung.“ Aufstände der Tuareg für mehr Selbstbestimmung gab es immer wieder: früher gegen die Kolonialmacht Frankreich, später gegen die Zentralregierung von Mali.
Doch wie kam es, dass beim Aufstand von 2012 islamistische Ideen eine so bedeutende Rolle spielten? Laut Lecocq wurde der Islamismus nicht in den Norden Malis importiert. Den streng konservativen Islam der Wahhabiten gab es dort schon seit vielen Jahrzehnten, allerdings in einer Minderheit. Doch 2012 verband sich diese Ideologie mit Teilen der nationalistischen Tuareg-Bewegungen. Iyad ag Ghali, der Anführer der islamistischen Miliz Ansar Dine, spielte dabei eine zentrale Rolle.
Die ohnehin schwache Staatsmacht der Zentralregierung wurde im Norden Malis immer mehr durch Milizen wie Ansar Dine herausgefordert. Diese waren sowohl mit der lokalen Bevölkerung vernetzt als auch mit Islamisten in Libyen und Algerien. Durch Entführungen westlicher Bürger, Drogen- und Waffenhandel sowie den Transport von Migranten erzielten die Milizen Einnahmen in Millionenhöhe. Nach dem Ende des Krieges in Libyen kehrten zudem viele Tuareg nach Mali zurück. Teilweise brachten sie erbeutete Waffen mit.
Für den Ausbruch des Aufstands war dies jedoch nicht entscheidend, so Lecocq: „Über Waffen verfügten die Milizen schon vorher.“ Wichtiger für den Erfolg der Aufständischen seien die politische Lage in Nordmali sowie die Beziehungen der malischen Regierung zur Gesellschaft im Norden des Landes gewesen.
Zum Zeitpunkt des Aufstandes verhielten sich die Tuareg-Gruppen unterschiedlich: Während etwa die regierungstreuen Imghad-Tuareg in den Niger flüchteten, gingen die Ifoghas-Tuareg eine Allianz mit den islamistischen Milizen ein. Das Eingreifen Frankreichs Anfang 2013 führte zur Vertreibung der islamistischen Milizen und der Rückkehr vieler Tuareg an den Verhandlungstisch.
An den grundsätzlichen Zuständen hat aber auch der Friedensvertrag von 2015 nichts geändert. Lecocq ist daher skeptisch, dass die Lage schnell und dauerhaft befriedet werden kann: „So wie Mali kein einheitlicher Staat nach westlichem Maßstab ist, so sind auch die Tuareg im Norden des Landes politisch geteilt. Wie in jeder anderen Gesellschaft gibt es innerhalb der Tuareg soziale Spannungen und verschiedene politische Perspektiven für Lösungen. Dies beinhaltet auch islamisch geprägte Ideale von Frieden und Gesellschaft.“
Die Tuareg sind ein ursprünglich muslimisches Berbervolk mit rund 1,5 Millionen Mitgliedern. Sie leben in einer etwa zwei Millionen Quadratkilometer großen Region – fast sieben Mal so groß wie Deutschland – in der Sahara und im Sahel, die Teile Algeriens, Malis, Libyens, Burkina Fasos und Nigers umfasst.
Der Begriff „Tuareg“ basiert auf dem arabischen „Tawariq“ und wird meist als „die von Gott Verlassenen“ übersetzt. Die Tuareg selbst bezeichnen sich als Imuhar (Algerien, Libyen) beziehungsweise Imuschar (Mali, Niger). Die meisten Tuareg leben in Niger (ca. 900.000), gefolgt von Mali (ca. 190.000) und Algerien.
In Nordmali und in Südalgerien gibt es noch viele nomadisch lebende Tuareg. Wirtschaftlich ist ihre Situation problematisch. Früher bildeten der Transsaharahandel und die Viehzucht ihre Haupteinkommensquelle. Heute ist der Tourismus ein wichtiger Faktor, doch der ist seit 2012 fast zum Erliegen gekommen.
Als Nomaden werden nichtsesshafte Jäger-, Reiter- und Hirtenvölker bezeichnet. Sie waren oft Diskriminierungen durch sesshafte Gesellschaften und Staaten ausgesetzt. Bekannte Beispiele sind einige indigene Völker Nordamerikas und die afrikanischen San, aber auch die Samen in Nordschweden.
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