Finnland ist seit knapp einem Jahr Mitglied der Nordatlantischen Allianz. Mit rund 1.350 km hat das Land von allen NATONorth Atlantic Treaty Organization-Staaten die längste Grenze zu Russland. Verteidigungsminister Boris Pistorius informierte sich bei seinem Besuch in Helsinki insbesondere über den finnischen Verteidigungsansatz der „Total Defense“.
Die deutsche Delegation war am Vorabend in der finnischen Hauptstadt angekommen. Zuvor hatte sie Schweden und Norwegen besucht. Am Freitagvormittag ging es ins finnische Verteidigungsministerium, wo Boris Pistorius von seinem Amtskollegen Antti Häkkänen mit militärischen Ehren empfangen wurde.
Die Minister sprachen über die Zusammenarbeit in Rüstungs- und Beschaffungsfragen sowie über jene in Europa und der NATONorth Atlantic Treaty Organization. In allen Bereichen wollen die Länder künftig stärker kooperieren. Ein weiterer Gesprächspunkt war die umfangreiche Unterstützung der Ukraine durch beide Länder. Wie Deutschland unterstützt auch Finnland das angegriffene Land nach Kräften. Wehrmaterial im Wert von drei Milliarden Euro wurde bereits abgegeben.
Russland sei seit langem eine Gefahr für Europas Sicherheit, sagte Häkkänen im Anschluss vor der Presse. „Russland gewinnt an militärischer Stärke – und es wird von anderen Ländern unterstützt“, mahnte er. Einigkeit sei deshalb von entscheidender Bedeutung, so Finnlands Verteidigungsminister.
„Finnland ist ein starker und verlässlicher Partner im Norden und trägt seit dem April 2023 eine Menge bei“, sagte Boris Pistorius mit Blick auf den finnischen NATONorth Atlantic Treaty Organization-Beitritt vor elf Monaten. Es habe seine Wachsamkeit gegenüber Russland nie aufgegeben, lobte der Verteidigungsminister. „Ich habe den größten Respekt davor, was Finnland unternimmt, um seine Grenze zu schützen.“ Insbesondere der ganzheitliche Ansatz der finnischen Landesverteidigung gebe ihm wichtige Impulse, so Pistorius. „Davon können wir viel lernen.“
Finnland war ebenso wie Schweden lange bündnisfrei. Nach der russischen Vollinvasion in der Ukraine vollzog das Land einen sicherheitspolitischen Kurswechsel und trat der NATONorth Atlantic Treaty Organization bei. Finnland besitzt nur eine kleine Berufsarmee, setzt aber in der Landesverteidigung auf einen ganzheitlichen Ansatz.
Dafür hat das skandinavische Land sein Reservistenwesen so organisiert, dass im Konfliktfall rund 280.000 Finninnen und Finnen zu den Waffen gerufen werden können. Alle Reservistinnen und Reservisten sind angehalten, ihre militärischen Kenntnisse alle ein bis zwei Jahre aufzufrischen. Auch bietet der Staat Verteidigungskurse für Zivilistinnen und Zivilisten an. Die Nachfrage ist groß. Es gilt eine allgemeine Wehrpflicht, die abhängig vom militärischem Wissenstand zwischen sechs und zwölf Monaten dauert. Finnland bildet 25.000 Wehrpflichtige im Jahr militärisch aus, daneben werden 35.000 Männer und Frauen zu Reserveübungen herangezogen.
Frauen können selbst entscheiden, ob sie zu den Streitkräften wollen. Es besteht auch die Möglichkeit, Zivildienst zu leisten – aber vier von fünf finnischen Wehrpflichtigen entscheiden sich für den Dienst an der Waffe. Die Bereitschaft zur Landesverteidigung ist ebenso groß wie das Ansehen der Streitkräfte in der finnischen Bevölkerung.
Ein Netzwerk von Bunkerschutzanlagen für die Bürgerinnen und Bürger gehört ebenfalls zum System der Totalverteidigung. Sie sind so angelegt, dass sie sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke genutzt werden können. Pistorius und Häkkänen besuchten eine der größten: die Schutzanlage Merihaka mitten in Helsinki. Die 2003 gebaute Anlage bietet 6.000 Menschen Schutz vor Angriffen und wird in Friedenszeiten als Sportstätte und Tiefgarage genutzt. Sogar einen Kinderspielplatz gibt es in den unterirdischen Hallen.
Letzter Programmpunkt der Verteidigungsminister war eine Diskussion mit dem Generalstabslehrgang der finnischen Streitkräfte. „Russlands gegenwärtiges Regime ist die größte Bedrohung für Finnland“, stellte Häkkänen zum Auftakt an der Militärhochschule in Helsinki klar.
Auch wenn Finnland gut auf Sicherheitsrisiken vorbereitet sei, habe man immer gewusst, dass die Verteidigung im Fall eines russischen Angriffs nicht ausreichen würde, so Häkkänen. Dies sei durch den NATONorth Atlantic Treaty Organization-Beitritt anders geworden: „Als NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mitglied werden wir von unseren Partnern geschützt und schützen im Gegenzug die Anderen.“ Finnland setze darauf, dass Deutschland Verantwortung im Norden Europas übernehmen werde, so der Verteidigungsminister.
Deutschland habe das Ziel, sich insbesondere im Ostseeraum stärker zu engagieren, entgegnete Pistorius vor dem Führungsnachwuchs der finnischen Streitkräfte. „Eure Sicherheit ist unsere Sicherheit.“ Nach dem Überfall auf die Ukraine sei das Bewusstsein der deutschen Bevölkerung, dass die Zeit der Friedensdividende vorbei ist, deutlich gestiegen.
Manche Menschen in Deutschland müssten allerdings noch ihre Komfortzone verlassen, sagte der Minister. „Verteidigung ist eine Pflicht für jeden Mann und jede Frau. Diese Geisteshaltung muss sich durchsetzen“, so Pistorius. Finnland sei dabei ein Vorbild, wenn es um die Zusammenarbeit und den Zusammenhalt zwischen Streitkräften und Zivilgesellschaft gehe.
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