Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz (MSCMunich Security Conference), Botschafter Wolfgang Ischinger, hat neue Anstrengungen auf dem Feld der Rüstungskontrolle gefordert. Im Interview beim Besuch der Redaktion der Bundeswehr sagte er, man brauche nun einen „vorsichtigen Beginn neuer Rüstungskontrollanstrengungen“. Ischinger sagte weiter, ohne die alljährliche Unterstützung der Bundeswehr sei die Münchner Sicherheitskonferenz so nicht möglich. Dafür zeigte er sich sehr dankbar.
Die 54. Münchner Sicherheitskonferenz findet in wenigen Wochen statt – um welche Themen wird es gehen?
Es wird um die Zukunft und Handlungsfähigkeit der Europäischen Union gehen, um ihre Beziehungen zu Russland und den USA. Weiter werden wir einen Themenschwerpunkt Afrika haben und über die Sicherheit in Nordostasien sprechen. Wie in jedem Jahr erwarten wir hochrangige Gäste aus der ganzen Welt. Lassen Sie mich weiter sagen, dass die Bundeswehr die Abläufe der Münchner Sicherheitskonferenz ganz hervorragend unterstützt. Ohne die Bundeswehr wäre die Münchner Sicherheitskonferenz so nicht durchführbar. Dafür bin ich sehr dankbar.
Welche hochrangigen Teilnehmer können Sie präsentieren?
Ich gehe fest davon aus, auch in diesem Jahr Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen begrüßen zu dürfen. Weiter NATONorth Atlantic Treaty Organization-Generalsekretär Jens Stoltenberg und die Hohe Vertreterin der EUEuropäische Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, sowie EUEuropäische Union-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, UNOUnited Nations Organization-Generalsekretär António Guterres und eine sehr starke Delegation aus den USA, mit dabei etwa Verteidigungsminister James N. Mattis. Aus Russland hat sich Außenminister Sergej Lawrow angesagt. Aus dem Nahen Osten erwarten wir neben anderen hochrangigen Akteuren den ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi. Aus Afrika den ruandischen Präsidenten Paul Kagame und den Präsidenten der Republik Mali, Ibrahim Boubacar Keita.
Die Themen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gewinnen in Deutschland mehr und mehr an Bedeutung. Erwarten Sie, dass der Deutsche Bundestag künftig noch mehr darüber debattieren wird?
Der Deutsche Bundestag diskutiert schon sehr intensiv über Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Ich würde mir aber wünschen, dass im Parlament die Bereitschaft weiter wächst, bei den Entscheidungen noch stärker als bisher eine europäische und eine NATONorth Atlantic Treaty Organization-Präferenz zu schaffen. Ich meine damit, dass man darüber nachdenken sollte, für bestimmte Einsatzkräfte der Bundeswehr, die in multilateralen Verbänden dauerhaft vertreten sind, so etwas wie eine grundsätzliche Zustimmung zu erteilen. So etwa für den Einsatz der Soldaten der Bundeswehr in den NATONorth Atlantic Treaty Organization-Aufklärungsflugzeugen Awacs. Das wäre ein sehr gutes Signal an Deutschlands Partner in der Welt und würde zeigen, dass in Zukunft, wenn hoffentlich bestimmte Einheiten und Fähigkeiten europäisiert werden, auf Deutschland Verlass ist. Der Deutsche Bundestag könnte bei Bedarf derartige Beschlüsse jederzeit zurücknehmen.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat maßgeblich die Ständige strukturierte Zusammenarbeit bei der Sicherheit und Verteidigung in der EUEuropäische Union (PESCOPermanent Structured Cooperation) auf den Weg gebracht. Was sagen Sie zu dieser Initiative?
Ich begrüße PESCOPermanent Structured Cooperation sehr. Ich halte diese Initiative für einen wichtigen, richtigen und guten Schritt. Politisch wie militärisch. Darüber hinaus würde ich mir allerdings wünschen, dass noch einige ambitioniertere PESCOPermanent Structured Cooperation-Projekte hinzukommen – und dass sich einige europäische Partner noch konkreter erklären würden. So etwa, wenn es um das Erreichen des 2-Prozent-Ziels geht. Wir brauchen klare Benchmarks, verifizierbare Vergleichsmaßstäbe. Die Partner der EUEuropäische Union müssen militärisch, außen-, sicherheits- und verteidigungspolitisch noch stärker mit einer Stimme sprechen.
Profitiert die NATONorth Atlantic Treaty Organization von dieser neuen europäischen Initiative PESCOPermanent Structured Cooperation, oder wird sie dadurch beeinträchtigt?
Die NATONorth Atlantic Treaty Organization wird auf gar keinem Fall beeinträchtigt. Die Zeiten, in denen man beispielsweise in Washington der Meinung war, die EUEuropäische Union solle von militärischen Dingen lieber die Finger lassen, sind lange vorbei. Heute ist das anders. Eine militärisch handlungsfähige EUEuropäische Union, die ihre Fähigkeiten komplementär zu denen der NATONorth Atlantic Treaty Organization einbringt, wird in Washington sehr begrüßt.
Müssen wir uns auf einen neuen Rüstungswettlauf einstellen?
Ich denke, dieser Rüstungswettlauf hat eigentlich schon begonnen. Angesichts eines weltweiten Verlusts an Ordnung und Ordnungsmächten. Wir müssen leider einen breiten Vertrauensverlust zwischen diversen Akteuren der internationalen Staatengemeinschaft feststellen. Das halte ich für einen außerordentlich gefährlichen Zustand. Traut Amerika Russland? Traut Russland Amerika? Wem traut Nordkorea und wer traut Nordkorea? Kann der Iran auf den Bestand des Atomabkommens vertrauen? Es fehlt also in vielerlei Hinsicht an Vertrauen. Aber ohne Vertrauen kann es keine erfolgreichen Verhandlungen geben. Und damit keine Stabilität.
Hält der INFIntermediate Range Nuclear Forces-Vertrag über die Begrenzung nuklearer Mittelstreckenwaffen?
Ich hoffe, ja. Die Europäer, insbesondere die Bundesrepublik Deutschland, müssen ein vitales Interesse am Fortbestand des Vertrages haben. Weiter brauchen wir einen vorsichtigen Beginn neuer Rüstungskontrollanstrengungen. Beispielsweise sollten wir darüber nachdenken, den INFIntermediate Range Nuclear Forces-Vertrag, der ursprünglich zwischen den Vereinigten Staaten und der russischen Föderation geschlossen worden war, zu multilateralisieren. Wenn es gelingen würde, dass sich beispielsweise Indien oder China an diesen Vertrag anschlössen, wäre das ein riesiger Erfolg. Es würde auch dazu dienen, dass der INFIntermediate Range Nuclear Forces-Vertrag fortbesteht.
Zum Schluss das Thema Osteuropa. Muss die NATONorth Atlantic Treaty Organization angesichts des andauernden Ukraine-Konflikts noch mehr in Osteuropa tun?
Mit ihrer Initiative Enhanced Forward Presence hat die NATONorth Atlantic Treaty Organization zur Rückversicherung ihrer Partner vor allem psychologisch die richtigen Maßnahmen getroffen. Die Allianz unternimmt hier so viel wie nötig. Das ist das richtige Signal an Russland. Gleichzeitig brauchen wir aber zwischen der NATONorth Atlantic Treaty Organization und Russland so viel Dialog wie möglich. Diese Doppelstrategie aus dem Harmel-Bericht von 1967, der besagt, soviel Verteidigung wie nötig und so viel Dialog wie möglich, ist auch heute noch genau das richtige Rezept. Was den Dialog zwischen der NATONorth Atlantic Treaty Organization und Russland angeht, so könnte noch mehr getan werden. Wir müssen versuchen, mehr Vertrauen zu schaffen. Das gilt insbesondere zwischen den militärischen Kommandostellen. Bei der politisch-militärischen Vertrauensbildung können wir uns kein Schweigen leisten, ebenso nicht im konventionellen oder nuklearen Bereich. Hier braucht es dringend neuer Abrüstungsinitiativen. Diese sollte die Bundesregierung mit neuer großer Energie auf die Tagesordnung setzen.
Die Fragen stellten Jan Marberg und Jörg Fleischer.
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