Die Bedeutung der Bosnien-Einsätze und die Perspektive der Balkanregion diskutierten Generalleutnant a. D. Rainer Glatz und Einsatzveteran Oberstabsfeldwebel Christian Madl sowie Historiker und Journalisten bei den Gesprächen am Ehrenmal. Christian Schmidt war als Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina per Videobotschaft vertreten.
Die Bosnien-Einsätze haben die Bundeswehr über eine lange Zeit geprägt. Hier wurden die ersten umfassenden Auslandserfahrungen gesammelt. Von der Luftbrücke nach Sarajewo ab 1992 bis zum Ende der deutschen Beteiligung an der Operation EUFOREuropean Union Force Althea 2012 erstreckt sich das Engagement über verschiedene Konfliktstufen und Einsatzformen hinweg. Nun ist die Bundeswehr erneut in Bosnien und Herzegowina im Einsatz engagiert.
Seit dem 16. August 2022 ist wieder ein deutsches Einsatzkontingent bei EUFOREuropean Union Force Althea in Sarajewo stationiert. Bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten können insgesamt eingesetzt werden. Aufgrund der immer wieder auftretenden ethnischen Spannungen engagiert sich Deutschland erneut bei der EUEuropäische Union-Mission. Expertinnen und Experten befürchten, dass die Spannungen anlässlich der Wahlen in Bosnien und Herzegowina am 2. Oktober 2022 erneut eskalieren könnten.
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Vor diesem Hintergrund diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Veranstaltungsreihe Gespräche am Ehrenmal unter dem Motto „Der beinahe vergessene Einsatz – die Bundeswehr in Bosnien und Herzegowina und ihr Vermächtnis für die Gegenwart“.
Generalleutnant a. D. Rainer Glatz schilderte seine Erfahrungen in der Funktion als Sprecher des Beirates für Fragen der Inneren Führung und als ehemaliger Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr von 2009 bis 2013. Oberstabsfeldwebel Christian Madl setzte einen Impuls als erfahrener Einsatzsoldat in der Region.
Wissenschaftlich untermauert wurden diese Einsatzerfahrungen von Oberstleutnant Dr. Hans-Peter Kriemann vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) in Potsdam. Der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina und ehemalige Parlamentarische Staatssekretär bei der Verteidigungsmininisterin, Christian Schmidt, schilderte seine Perspektive auf die Situation vor Ort im Rahmen einer Videogrußbotschaft an die Anwesenden. Seine direkte Teilnahme an der Diskussion musste aus zeitlichen Gründen entfallen.
Dr. Karl-Heinz Kamp, Beauftragter für sicherheits- und verteidigungspolitische Schwerpunktthemen im Verteidigungsministerium, verwies zur Einführung darauf, dass es sich nun schon um die sechste Veranstaltung der Gespräche am Ehrenmal handelt. Er freute sich über den Zuspruch, den das Format sowohl aus den Reihen der Bundeswehr als auch vonseiten der interessierten Öffentlichkeit erhalten habe.
Für ihn ging es mit Bezug auf die Betrachtungen zu Bosnien und Herzegowina nicht nur um den Blick in die Vergangenheit, sondern vor allem darum, Schlüsse für die gegenwärtige Situation und den neuen Einsatz der Bundeswehr EUFOREuropean Union Force Althea zu ziehen.
Oberstabsfeldwebel Christian Madl war mehrmals auf dem Balkan, aber auch in Afghanistan im Einsatz. Er verglich unter anderem die verschiedenen Situationen in den Einsätzen. „Wir waren gut ausgebildet und ich fühlte mich mit dem Verband schlagkräftig.“ Bezüglich der weiteren Ausbildung und Einsätze übte Madl jedoch auch Kritik. „Eine solche Ausstattung an Kampf- und Schützenpanzern hätte ich mir in darauffolgenden Einsätzen wie in Afghanistan gewünscht.“
General a. D. Glatz nahm in seinem folgenden Statement die Multiethnizität der Region auf. Er habe den Eindruck, Bosnien und Herzegowina drifte wieder auseinander. Die einzelnen Ethnien würden durch Umzug und Abgrenzung selbst eine Trennung untereinander durchführen. Die Spannungen zwischen den Volksgruppen seien bei der Jugend zu spüren. Sein Gesamturteil: „Das Thema hat sich nicht erledigt.“
Oberstleutnant Dr. Kriemann blickte zurück auf das Entstehen des Konfliktes nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens. Für ihn steht fest, dass die Konflikte nicht einfach aus sich heraus entstanden waren, sondern von interessierten Gruppen kreiert und forciert wurden. Für ihn ist der Einsatz der Bundeswehr in Bosnien und Herzegowina mit dem Blick auf die eigenen Streitkräfte historisch bedeutsam. Es sei der erste robuste internationale Einsatz der Bundesrepublik mit Landstreitkräften gewesen. Ein Engagement, dass nicht nur auf die Partnernationen wirkte, sondern auch „hinsichtlich der soldatischen Identität“ bedeutsam war.
Ob „Show of Force“, Checkpoint oder Gesprächsaufbau: Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr waren oft Sozialarbeiter, Kämpfer und Polizist in einer Person. Ein Multirollenverständnis, bei dem die Truppe im Einsatz oft nicht auf „Entscheidungen von oben“ warten konnte, sondern oft gemäß ihres eigenen Wertekompasses handelte. Das hätte sie hervorragend gemeistert.
Daher habe Deutschland auch einen hervorragenden Ruf in der Region, was der Hohe Repräsentant, Christian Schmidt, in einer Videobotschaft unterstrich. Das wirkt sich nun auch auf das neue Mandat im Rahmen von EUFOREuropean Union Force Althea aus. Schmidt: „Dieser Vertrauensgewinn wird durch das Hissen der deutschen Fahne gestärkt.“
In die anschließende Diskussion wurden Michael Martens von der ,,Frankfurter Allgemeinen Zeitung'', Christiane Hullmann vom Auswärtigen Amt und Kapitän zur See Richard Kesten vom Verteidigungsministerium eingebunden. Kesten ist verantwortlich für den aktuellen Bundeswehreinsatz in Bosnien und Herzegowina. Für alle Beteiligten fasste Martens seinen Eindruck so zusammen: „Der Bosnieneinsatz der Bundeswehr war ein Erfolg, insbesondere im Vergleich mit Afghanistan. Auf dem Balkan ist es über Jahre hinweg friedlich geblieben.“
Die Diskussion anlässlich der Veranstaltungsreihe Gespräche am Ehrenmal hat dazu beigetragen, die gewonnenen Erfahrungen aus diesen Einsätzen zusammenzufassen und wieder in Erinnerung zu rufen.
Audio: Beiträge von Dr. Karl Heinz Kamp (ab Minute 2:00), Oberstabsfeldwebel Christian Madl (10:00), Generalleutnant a. D. Rainer Glatz (22:03), Oberstleutnant Dr. Hans-Peter Kriemann (41:40), Der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, Christian Schmidt (55:05) und in der Diskussionsrunde von Michael Martens, Christiane Hullmann und Kapitän zur See Richard Kesten (1:05:25).
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