Die Bundesregierung hat am 14. Juni 2023 im Kabinett die erste Nationale Sicherheitsstrategie als oberstes sicherheitspolitisches Dachdokument Deutschlands beschlossen. Die Bundeswehr spielt darin eine zentrale Rolle. Minister Boris Pistorius betonte, die Wiederherstellung der Landes- und Bündnisverteidigung stehe im Vordergrund. Am Freitag darauf debattiert der Bundestag über das neue Dokument.
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Die erste Nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands steht im Zeichen der integrierten Sicherheit. Symbolisiert wurde das von dem außergewöhnlichen Bild in der Bundespressekonferenz am 14. Juni in Berlin. Dort traten anlässlich der Vorstellung des neuen Dachdokumentes neben Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock, Verteidigungsminister Boris Pistorius, Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesinnenministerin Nancy Fraeser vor die Hauptstadtpresse. Sie boten damit ein Bild der engen Ressortkooperation und Geschlossenheit.
Bundeskanzler Olaf Scholz unterstrich in der Bundespressekonferenz, Landes- und Bündnisverteidigung hätten seit dem 24. Februar 2022 ein neues Gewicht bekommen. Verteidigungsminister Boris Pistorius betonte an gleicher Stelle, die absolute Priorität der Landes- und Bündnisverteidigung. Die Bedrohungen seien angesichts Russlands Überfall auf die Ukraine real. In Verbindung damit sei er mit der Ukraine ständig im Austausch und auf dem Laufenden, was den Bedarf Kiews an Waffen, Gerät, Ausstattung und Ausrüstung in seinem Abwehrkampf gegen Russland betreffe, auch wenn nicht jeder Wunsch befriedigt werden könne. Der Bundeskanzler erklärte, die Ukraine werde so lange unterstützt, wie es nötig sei.
Der Kernauftrag der Bundeswehr ist die Landes- und Bündnisverteidigung, alle Aufgaben ordnen sich diesem Auftrag unter. Die hierfür notwendigen militärischen Fähigkeiten wird die Bundesregierung vorhalten und Fähigkeitslücken zügig schließen.Erste Nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands
Die Nationale Sicherheitsstrategie unterstreicht, dass die umfassende Befähigung der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung deutsche Staatsräson und oberste sicherheitspolitische Aufgabe sei. Dazu solle sie in allen Dimensionen – Land, Luft, See, Cyber- und Weltraum – noch resilienter werden. Es brauche eine moderne, in allen Bereichen voll ausgestattete und umfassend einsatz- und kampfbereite Bundeswehr und eine starke Reserve.
Sicherheit ist nicht zum Nulltarif zu haben: Die Bundesregierung bekennt sich in der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie dazu, langfristig im mehrjährigen Durchschnitt zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes für Verteidigungszwecke auszugeben – auch über das Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro hinaus. Es gelte, Fähigkeitslücken der Streitkräfte schnell zu schließen sowie technologische und industrielle Kapazitäten rasch zu stärken.
Pistorius bezeichnete in der Bundespressekonferenz die dauerhafte Umsetzung von zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes für den Verteidigungsetat als ehrgeizig. Er blickte in die Zukunft und sagte, wenn das Sondervermögen für die Bundeswehr eines Tages aufgebracht sei, müsse ein Pfad gefunden werden, wie aus dem Verteidigungsetat heraus Anpassungen vorgenommen werden könnten. Scholz nannte zwei Prozent für den Verteidigungsetat maßgeblich für die notwendige Ausrüstung und Ausstattung der Bundeswehr. Fragen nach „zwei Prozent plus“ im Wehretat erteilte Pistorius eine Absage und entgegnete: „Wenn wir nach höher hängenden Früchten greifen, sollten wir fest auf dem Boden stehen.“
Pistorius sprach sich anlässlich der Vorstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie für eine Neuausrichtung der Rüstungsexportpolitik Deutschlands aus. Zwar solle es bei der restriktiven Linie bleiben, aber es sei auch klar, dass Rüstungsexporte Teil des strategischen Instrumentenkastens seien.
So formuliert die Nationale Sicherheitsstrategie die Grundlage für eine verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik. Deutschlands Interessen an strategischer Kooperation auf diesem Feld werden betont. Zudem plädiert die Bundesregierung in der Strategie für eine ausgewogene Kontrollpolitik beim Rüstungsexport. Hier stehen vor allem die NATONorth Atlantic Treaty Organization- und EUEuropäische Union-Staaten im Fokus.
Das vorliegende Dokument unterstreicht neben dem erhöhten Finanzbedarf der Bundeswehr, dass eine leistungsfähige und verlässlich liefernde deutsch-europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie unverzichtbar sei.
Die erste Nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands basiert auf einem umfassenden Verständnis von Sicherheit. Das Dokument steht unter dem Leitmotiv „wehrhaft, resilient, nachhaltig“. Es betont Grundlegendes: In Frieden, Freiheit und Sicherheit zu leben, sei keine Selbstverständlichkeit. Gestärkte Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit sind die drei Dimensionen deutscher Sicherheitspolitik und die zentralen Parameter der Strategie.
Nachdem Russlands Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 die Sicherheitsarchitektur in Europa grundlegend beschädigt hat, geht die Bundesregierung davon aus, dass in einer zunehmend veränderten Welt die Sicherheit Deutschlands und Europas auf absehbare Zeit auch militärisch bedroht ist – eine „Zeitenwende“, wie Bundeskanzler Olaf Scholz schon am 27. Februar 2022 im Parlament betonte. In ihrer konkreten Ausgestaltung legt das Dokument deshalb vor allem die Konsequenzen aus der Zeitenwende dar.
Die erste Nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands gibt in diesem Kontext die notwendige Orientierung, wie die deutsche Sicherheitspolitik auf die Herausforderungen der Zukunft ausgerichtet werden soll. Die neue Strategie ist langfristig und global angelegt. Sie macht Vorgaben für die strategische Ausrichtung und inhaltliche Gestaltung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Gemäß dem neuen Dokument wird Deutschland militärisch noch mehr für seine und für die euroatlantische Sicherheit leisten als bisher. Deutschland unterstreicht damit seine Verlässlichkeit und entscheidet aus einer Führungsrolle heraus im engen Schulterschluss auf Augenhöhe mit den Verbündeten und Partnern.
Die Bundeswehr ist laut der Nationalen Sicherheitsstrategie der Garant für den Schutz und die Verteidigung von Frieden, Freiheit und Demokratie. Das Dokument hebt hervor, dass die Bundeswehr einen möglichen Gegner abschrecken können und deshalb umfassend kampfbereit sein muss. Eingebettet ist sie dabei in eine leistungsfähige NATONorth Atlantic Treaty Organization. Auch hierzu müsse Deutschland seinen Beitrag leisten.
Für das Bundesministerium der Verteidigung (BMVgBundesministerium der Verteidigung) und die Bundeswehr ist gemäß der Nationalen Sicherheitsstrategie das praktische Umsetzen der Zeitenwende vorrangiger Auftrag. Die Bundeswehr steht im Mittelpunkt der Daseinsvorsorge. Der Staat gibt damit den Bürgerinnen und Bürgern sein Sicherheitsversprechen für die Zukunft.
Gemäß der Nationalen Sicherheitsstrategie übernimmt die Bundeswehr bei der Landes- und Bündnisverteidigung mehr Verantwortung, so an den NATONorth Atlantic Treaty Organization-Außengrenzen, insbesondere an der Ostflanke der Allianz. Zudem ist Deutschland zentrale Drehscheibe bei der Verlegung von Truppen der NATONorth Atlantic Treaty Organization und der EUEuropäische Union. Es geht um Glaubwürdigkeit und faire Lastenteilung im Kreise der Partner und Verbündeten.
Gleichzeitig leistet die Bundeswehr weiterhin ihren Beitrag in den Einsätzen zur internationalen Krisenprävention und zum Krisenmanagement, so die erste Nationale Sicherheitsstrategie. Sie betont, dass Deutschlands Sicherheit – außer von Russland – auch von weiteren regionalen und globalen Akteuren und Krisen bedroht sei. Deutschland und Europa müssten demnach das internationale Krisenmanagement im Blick behalten und vorausschauend handeln.
Die Strategie betont, dass Deutschland in Europa eine Führungsrolle einnehme und einen substanziellen Beitrag zur Verteidigung Europas leiste. „Die Verteidigung der EUEuropäische Union und der NATONorth Atlantic Treaty Organization“, deren beider Mitglied Deutschland ist, seien komplementär aufeinander abgestimmt. Die Nationale Sicherheitsstrategie unterstreicht: Die Bundeswehr ist ein Grundpfeiler der Verteidigung Europas.
Die erste Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik legt Deutschlands Rolle in Zeiten zunehmender Multipolarität und wachsender systemischer Rivalität dar. Sie hebt Deutschlands Funktion als Mitgestalter der internationalen Ordnung hervor – mit klaren Prinzipien: Sie bekennt sich zur wertebasierten Ordnung. Bündnisse und Partnerschaften seien von unschätzbarem Wert. Die Strategie nennt in diesem Kontext besonders das transatlantische Band, die enge Partnerschaft mit Frankreich und den Zusammenhalt der europäischen Demokratien.
Weiter betont die Bundesregierung in der Strategie, dass es globale strategische Wertepartnerschaften zu stärken gelte, auch in anderen wichtigen Weltregionen wie etwa dem Indo-Pazifik. Der Indo-Pazifik wird in dem Dokument als eine Schlüsselregion für Deutschland angesehen. Es liege im Interesse der Wirtschaftsnation Deutschland, dort die regelbasierte internationale Ordnung aufrechtzuerhalten.
Das Dokument zeigt zudem die vielfältigen sicherheitspolitischen Herausforderungen auf. Diese gehen weit über klassische verteidigungspolitische Aspekte hinaus. So thematisiert die Nationale Sicherheitsstrategie etwa die Abwehr von Risiken im Cyberraum und die Entwicklungszusammenarbeit sowie die Implikationen von Energie-, Wirtschafts- und Klimaaspekten für die Sicherheit.
So verankert die erste Nationale Sicherheitsstrategie die Klimakrise als Sicherheitsthema ebenso wie die globale Ernährungssicherheit. Darüber hinaus wird die Prävention und die schnelle Reaktion auf Pandemien als unverzichtbar für die Sicherheit angesehen.
Im Innern soll das neue Dokument zur Stärkung der Resilienz bei Krisen- und Katastrophen beitragen – insbesondere durch die gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern, Kommunen, Wirtschaft, Zivilverteidigung, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz sowie der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe.
Die Strategie buchstabiert bewusst nicht alle Fragen im Detail aus, sondern ermöglicht den Ressorts, gemeinsam vereinbarte Ziele in ihrer Verantwortung umzusetzen.
Leitmotiv der Nationalen Sicherheitsstrategie ist die Integrierte Sicherheit. Das bedeutet, dass die Verteidigung Deutschlands mehr als eine militärische Aufgabe ist. Die Bundesregierung verfolgte deshalb bei der Erstellung der neuen Strategie einen umfassenden Ansatz: Sie entstand ressort- und ebenenübergreifend. Es geht um das Zusammenwirken aller relevanten Akteure, Mittel und Instrumente. Damit soll die Sicherheit Deutschlands umfassend erhalten und gegen Bedrohungen von außen gestärkt werden.
Die Bundesregierung setzt auf den intensiven Austausch mit dem Parlament, den Ländern, mit Wissenschaft, Thinktanks, Verbänden, Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen. Darüber hinaus waren die Verbündeten und Partner aus EUEuropäische Union und NATONorth Atlantic Treaty Organization eng eingebunden. So flossen Aspekte aus dem Strategischen Kompass der EUEuropäische Union und dem Strategischen Konzept der NATONorth Atlantic Treaty Organization in die Nationale Sicherheitsstrategie mit ein.
Das Auswärtige Amt war federführend bei der Formulierung der ersten nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands. Das Verteidigungsministerium wirkte umfassend mit. So flossen beispielsweise wertvolle Erfahrungen aus dem Weißbuchprozess 2015/16 in die Entstehung des Dokumentes mit ein.
Insgesamt ist die Nationale Sicherheitsstrategie die neue umfassende Grundlage für die Umsetzung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesregierung. Basis dafür ist der Koalitionsvertrag. Dieser sieht vor, dass die Bundesregierung eine solche Strategie vorlegt. Das ist mit dem Beschluss des Bundeskabinetts nunmehr geschehen.
Besonders nachdem Russlands Überfall auf die Ukraine die Sicherheitsarchitektur in Europa grundlegend verändert hat, wurde die erste Nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands auch von der breiten Öffentlichkeit mit großem Interesse erwartet. Denn die Auswirkungen der Zeitenwende betreffen nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern alle Bürgerinnen und Bürger. Es geht darum, dass die Menschen im Lande insgesamt die Grundorientierung der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands mittragen. Es gilt, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass alle zur Sicherheit des Landes beitragen können. Das stellt eine fundamentale Weiterentwicklung der strategischen Kultur in Deutschland dar.
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