Rede des Verteidigungsministers Boris Pistorius zum 75. Jahrestag des Endes der Berlin-Blockade am 12. Mai in Berlin.
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Botschafter Horgan,
Herr Bürgermeister, lieber Herr Wegner,
Frau Präsidentin Seibeld, Herr Erzbischof Dr. Koch, die Herren Bischöfe Dr. Stäblein und Dr. Felmberg,
sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
Frau Präsidentin Selting,
Präsidentinnen und Präsidenten,
sehr geehrte Repräsentantinnen und Repräsentanten der Politik, der Bundeswehr, der Polizei, der Stiftungen, der Verbände und Vereine,
Und vor allem: sehr geehrte Veteranen der Berliner Luftbrücke,
Angehörige der Familie Halvorsen,
liebe Zeitzeuginnen und Zeitzeugen,
meine Damen und Herren,
es erfüllt mich mit Dankbarkeit und Demut, heute hier zu stehen und mit Ihnen an diesem denkwürdigen Ort das Ende der Berlin-Blockade zu feiern.
Wir erinnern uns heute an eine sehr bewegte Zeit, an unsere Geschichte und die außerordentliche Entschlossenheit und Solidarität unserer amerikanischen, britischen und französischen Verbündeten. Sie haben uns Hoffnung und Optimismus geschenkt, in einer Zeit, in der vieles unmöglich und verloren schien. Und sie haben uns gelehrt, dass es sich lohnt, für die eigenen Werte, für Solidarität und Menschlichkeit einzustehen. All das nur drei Jahre nach Ende des von Deutschland entfachten Zweiten Weltkrieges. All das nur drei Jahre, nachdem wir uns als erbitterte Feinde an der Front gegenüberstanden.
Vor vier Tagen noch, am 8. Mai, stand ich am Grab des unbekannten Soldaten am Friedhof von Arlington in Washington, D. C. Ich habe dort zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges einen Kranz niedergelegt. An dem Tag, der offiziell das Ende eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte markiert. Der 8. Mai und die Berliner Luftbrücke sind miteinander verknüpft. Sie zeigen uns das Vertrauen und den Optimismus unserer Verbündeten und sie zeigen, wie viel Menschlichkeit damals den Berlinerinnen und Berlinern entgegengebracht wurde. Nur drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Wir Deutschen und vor allem Sie, die heute hier sind, werden nicht vergessen, was unsere alliierten Freunde in der Zeit der Luftbrücke für uns getan haben. Unsere Freunde haben uns den Wert von Güte, Vergebung und Zusammenhalt gezeigt. Für diese Aufopferung, für diesen Mut gebührt Ihnen unser Dank und unsere Anerkennung. Danke, dass Sie Berlin, danke, dass Sie Deutschland nicht im Stich gelassen haben.
Wir stehen heute hier, um uns daran zu erinnern, dass Berlin im Juni 1948, kurz nach der Währungsreform und Einführung der D-Mark in den westlichen Besatzungszonen, vor eine der größten Herausforderungen seiner Geschichte gestellt wurde. Von einem auf den anderen Tag sperrten sowjetische Truppen die Zufahrtswege nach Westberlin. Die Schlinge um Westberlin wurde immer enger gezogen. Bahntrassen, Binnenschifffahrt und Straßen wurden abgesperrt oder unterbrochen und die Stromversorgung in vielen Sektoren eingestellt.
Schließlich war der Westteil Berlins abgeriegelt, fast ein Jahr lang. Die Westberliner Bürgerinnen und Bürger wurden des Lebensnotwendigen beraubt. Die Nacht zum 24. Juni 1948 stellte einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen den westlichen Partnern und der Sowjetunion dar. Spätestens hier war klar: Der Kalte Krieg hatte begonnen und die Blockade Berlins war sein erster dramatischer Höhepunkt.
Mit dem Ende der Berlin-Blockade erinnern wir daher heute an einen Anlass, der uns auch nachdenklich stimmt und mit Sorge auf die Gegenwart blicken lässt. Denn heute, das ist uns allen schmerzlich bewusst, herrscht wieder Krieg in Europa. Kein kalter, sondern ein sehr heißer.
Es gibt trotzdem oder vielleicht genau deshalb viele gute Gründe, diesen Jahrestag zu feiern. 75 Jahre Ende der Berlin-Blockade ist zugleich das Symbol für die beispiellose Kraftanstrengung unserer alliierten Freunde während der Berliner Luftbrücke. Aus dem täglichen Verkehrslärm des Mehringdamms ragt hinter uns ihr Denkmal. In der mit gigantischem Aufwand und hohem Risiko betriebenen Luftbrücke wurde die abgeriegelte Stadt durch die Westalliierten versorgt. Tag und Nacht flogen Transportmaschinen von verschiedenen Flugplätzen in Westdeutschland die Flugplätze Westberlins an, einer davon Tempelhof, ebenfalls hier direkt hinter uns.
Die Maschinen transportieren in mehr als 270 000 Flügen rund 2,1 Millionen Tonnen Versorgungsgüter. Alle paar Minuten landete eine Maschine. In logistischer und militärischer Sicht ein wahres Meisterwerk. Das heraufbeschworene Kräftemessen, die Provokation Stalins wurden verstanden: Die Aufgabe der Stadt hätte eine empfindliche Niederlage im Konflikt mit dem Kommunismus bedeutet.
Westberlin wurde von unseren Verbündeten nicht aufgegeben. Die Luftbrücke wurde zu einem Symbol! Einem Symbol für die Entschlossenheit und Solidarität des Westens. Unsere Partner haben unmissverständlich demonstriert: Die freie Welt gibt nicht nach! Kooperation, Vertrauen und Solidarität sind stärker als Tyrannei und Unterdrückung.
Meine Damen und Herren,
die Berliner Luftbrücke ist nicht nur ein historisches Ereignis, sie ist auch Lehre für die Zukunft.
Ich will mich auf drei Punkte konzentrieren, die diese Lehre für mich ausmachen.
Erstens, damals wie heute gilt: Bündnisse und Kooperationen sind erfolgreich. Sie machen uns stark! Ich bin fest überzeugt: Nur gemeinsam mit unseren Partnern werden wir erfolgreich für unsere Werte wie Freiheit, Souveränität, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und die Einhaltung der regelbasierten Ordnung einstehen können. Gerade wir Deutsche haben in der Vergangenheit stark von Partnerschaften und Zusicherungen gemeinsamer Sicherheit profitiert. Ohne die engen Bündnisse mit unseren Partnern wären Meilensteine deutscher Geschichte vom Wirtschaftswunder bis zur Wiedervereinigung kaum denkbar gewesen.
Eine enge internationale Zusammenarbeit steht daher im Zentrum deutscher Verteidigungspolitik. Sie ist Herzstück unserer Bundeswehr. Wir sind stolzes und engagiertes Mitglied der Nordatlantischen Allianz. Einer NATONorth Atlantic Treaty Organization, deren Mitglieder willens sind und bereitstehen, die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks zu verteidigen. Und einer NATONorth Atlantic Treaty Organization, die bewiesen hat, dass sie sich immer wieder auf neue geopolitische Realitäten einstellen kann.
Heute, ebenfalls 75 Jahre nach seiner Gründung, ist unser Bündnis noch immer entschlossen und geeint. Unsere Partnerschaft beruht auf gegenseitigem Vertrauen und Verlässlichkeit, die durch ständigen Austausch und kontinuierliche Zusammenarbeit immer wieder neu gefestigt werden müssen. Auf meinen Reisen, wie in dieser Woche in die USA und nach Kanada, ist die tiefe Verbundenheit zwischen befreundeten Nationen stets aufs Neue spürbar. Eine Verbundenheit, die durch gemeinsame Geschichte entsteht und die weit über das Politische hinausgeht.
Das beeindruckt mich tief und ich freue mich, dass bei den heutigen Feierlichkeiten sowohl deutsche Zeitzeuginnen und Zeitzeugen als auch alliierte Veteranen der Luftbrücke mit ihren Familien anwesend sind. Sie haben in einer schwierigen Zeit gehandelt, sie haben Verantwortung übernommen, ohne zu zögern.
Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt: Die Bedeutung von Verantwortung und Solidarität.
Gerade wir in Deutschland wissen, welchen Wert verlässliche Unterstützung und Solidarität haben. Wir haben dieses Versprechen noch vor dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATONorth Atlantic Treaty Organization erfahren: im Zuge der Berlin-Blockade.
Die Luftbrücke hat gezeigt, wie wichtig es ist, das Richtige zu tun. Wenn unsere Partner nur mit den Schultern gezuckt oder sich darauf berufen hätten, dass die Kosten zu hoch seien, wäre Berlin sehr wahrscheinlich am Ende gewesen. Deutschland und Europa würden heute anders aussehen. So selbstverständlich sich unsere Verbündeten damals für uns stark gemacht haben, so klar müssen auch wir uns heute für unsere internationale Ordnung, Frieden und Freiheit einsetzen.
Wir Deutsche können und dürfen nicht still sitzen, wenn autoritäre Kräfte auf der Welt souveränen Staaten und Völkern ihren Willen aufzwingen. Wir können nicht zusehen, wenn das Völkerrecht, unsere Ordnung und unsere Werte mit Füßen getreten werden. Das gilt weltweit und insbesondere in Afrika, im Nahen Osten und im Indo-Pazifik. Und das gilt vor allem in der Ukraine. Wir müssen Putin zeigen, dass wir fest an der Seite der tapferen Ukrainer und Ukrainerinnen stehen, die jeden Tag für ihre Freiheit kämpfen. Und auch für unsere.
Die Rechnung ist auch heute ganz simpel: Ein russischer Sieg über die Ukraine würde uns alle so viel teurer zu stehen kommen als unsere Unterstützung der tapferen Ukrainerinnen und Ukrainer. Sie kämpfen auch für uns gegen das aggressive und expansionistische Russland. Wir lassen die Ukrainerinnen und Ukrainer daher nicht allein. Wir unterstützen sie militärisch, finanziell und wirtschaftlich. Wir unterstützen sie so lange wie nötig. Und wir nehmen Bündnisverteidigung ernst.
Wir haben nach Beginn der russischen Invasion schnell reagiert und auf Bitten unserer NATONorth Atlantic Treaty Organization-Alliierten in kurzer Folge Streitkräfte in verschiedenen Missionen im Baltikum, Polen, der Slowakei und Rumänien eingebracht. Um Russland abzuschrecken und um unsere Bündnispartner zu unterstützen. Wir übernehmen damit Verantwortung für die Sicherheit unserer Verbündeten an der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke.
Bis 2027 werden wir eine Brigade der Bundeswehr dauerhaft in Litauen stationieren. Die Stationierung ist Ausdruck der Verantwortung, die wir im Bündnis übernehmen und ein großer Schritt für unser Land. Vor allem aber ist dieses Vorhaben ein wichtiges, starkes Zeichen an unsere Partner und Verbündeten. Und an Russland. Kollektive Sicherheit ist unsere Stärke und Deutschland ist gewillt Verantwortung zu übernehmen. So wie auch unsere Partner damals für unsere Sicherheit Verantwortung übernommen haben. Solidarität ist wichtig. Sie verändert die Welt.
Nun zu meinem dritten und letzten Punkt: Entschlossenheit lohnt sich. Vor 75 Jahren musste die Sowjetunion einsehen, dass die feste Entschlossenheit der drei Westmächte und der Westberliner Bevölkerung mit einer Blockade nicht zu brechen war. Durch den zähen Durchhaltewillen der Westberliner und die Unterstützung der Westmächte scheitert die Berlin-Blockade und wurde heute vor 75 Jahren aufgehoben. Die Berlin-Blockade lehrt, dass es zusammen möglich ist, Unmögliches möglich zu machen. Mit Entschlossenheit, dem notwendigen Willen und vor allem mit Mut.
Für mich als Verteidigungsminister ist es die dringlichste Aufgabe in dieser schwierigen Zeit, Antworten auf die umfassenden und anhaltenden Bedrohungen unserer Freiheit und Sicherheit zu geben. Sie alle wissen genauso gut wie ich: Das Ringen um diese Antworten erfordert viel Arbeit, Durchhaltevermögen, Kompromisse und auch kreative Lösungen. Vor dieser und ähnlichen Herausforderungen stehen viele von uns. Aber dabei hilft es, sich in Erinnerung zu rufen, worum es uns allen geht. Und sich auf der Suche nach Lösungen nicht entmutigen zu lassen, sondern entschlossen voranzuschreiten.
Meine Damen und Herren,
ich danke der Senatskanzlei Berlin herzlich für die Einladung zur heutigen Veranstaltung. Ich bin mit Erzählungen über die Berlin-Blockade, drohender Hungersnot und Kälte, aber auch von der Luftbrücke, von 20 Tonnen Süßigkeiten, die für Kinder abgeworfen wurden und Fotos von den Rosinenbombern aufgewachsen. So wie Generationen anderer Deutscher.
Für mich wie für so viele andere auch sind das mehr als nur nostalgische Erinnerungen. Diese Bilder und Geschichten stehen für Mut und Zusammenhalt. Sie stehen für gemeinsame Stärke als souveräne Nationen auf dem festen Fundament gemeinsamer Werte von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten. Ich sage das ganz bewusst im Hinblick auf ein weiteres wichtiges deutsches Jubiläum, das wir gemeinsam in diesem Monat feiern: 75 Jahre Grundgesetz.
Während Westberlin unter der sowjetischen Blockade litt und die Sowjetunion versuchte, die westlichen Alliierten aus Berlin heraus zu drängen, tagte der Parlamentarische Rat und verkündete nur kurz nach dem Ende der Blockade das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Dieses Jubiläum bedeutet daher auch 75 Jahre Frieden und 75 Jahre persönliche und politische Freiheit und wir werden es in zwei Wochen mit einem Demokratiefest feiern. Das in einer Zeit, in der unsere Demokratie mehr denn je jeden Tag neu verteidigt und beschützt werden muss.
Wenn politisch Aktive, Wahlkampfhelfer, Plakatierer, Politikerinnen und Politiker demokratischer Parteien verbal und körperlich attackiert werden, dann stirbt Demokratie von unten. Wenn unsere freiheitliche Grundordnung auf islamistischen Demonstrationen angegriffen wird, dann ist das unerträglich. Dem muss der Rechtsstaat einen Riegel vorschieben. Hier sind auch wir jeden Tag gefordert, für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat einzutreten und Zeichen zu setzen: für Vielfalt, für Toleranz, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Jede und jeder Einzelne ist gefordert, Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit die Stirn zu bieten und zu sagen: Stopp. Wir wehren uns.
75 Jahre Ende der Berlin-Blockade stehen für Momente des Erinnerns, der Zuversicht und der Freude. In dieser Zeit großer Herausforderungen dient das Ende der Berlin-Blockade aber auch als Appell und Ermutigung. Aus unserer Geschichte erwachsen Verpflichtungen für das Hier und Jetzt. Und für unsere Zukunft.
Wir als Deutsche tragen eine Verantwortung für unsere Demokratie, für unsere eigene und die Sicherheit und Freiheit unserer Verbündeten. Und die müssen wir ernst nehmen. In Gedenken an die Menschen, die vor 75 Jahren die Blockade Berlins durchbrochen haben. Für die Rettung Tausender Menschen, für ihre und unsere Freiheit und Sicherheit.
Vielen Dank!
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