Rede der Bundesministerin der Verteidigung Annegret Kramp-Karrenbauer anlässlich des Abschlussappells der MilEvakOp AFG und des Feierlichen Gelöbnisses am 22. September 2021 in Seedorf.
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages, sehr geehrter Herr Bürgermeister Kahrs, sehr geehrter Herr Generalinspekteur, verehrte Gäste, Soldatinnen und Soldaten!
Ich freue mich, dass wir heute hier in Seedorf zusammenkommen. Dieser Appell ist wichtig. Er ist wichtig für uns alle, denn unser Land schaut auf Sie – unser Land schaut auf uns.
Die Menschen in Deutschland haben großen Anteil genommen an der Evakuierung von Deutschen, Ortskräften und Schutzbedürftigen aus Afghanistan.
Sie alle – wir alle – haben an diesen „11 Tagen im August“ mitgefiebert mit der militärischen Evakuierungsoperation, die Sie, unsere Soldatinnen und Soldaten, erfolgreich durchgeführt haben.
Ich hoffe und ich wünsche mir, dass Sie heute stolz auf sich sind. Denn wir sind es mit Sicherheit.
Und das ist kein leichtfertiger Stolz, kein falsch verstandener. Es ist ein Stolz, dem das Bewusstsein zugrunde liegt, was Sie alles erlebt haben. Und es ist ein Stolz, dem auch das Bewusstsein zugrunde liegt, dass es immer noch Menschen in Afghanistan gibt, die wir aus diesem Land herausholen wollen.
Ganz Deutschland blickt heute voller Anerkennung und Dankbarkeit auf die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Sie, Frau Bundeskanzlerin, unterstreichen mit ihrer persönlichen Anwesenheit diese Dankbarkeit, diese Bedeutung. Und dafür möchte ich mich im Namen aller Soldatinnen und Soldaten bedanken.
Unsere Streitkräfte leisten viel für unser Land. Sie geben Sicherheit: ob in der Covid-Situation, bei der Bewältigung der Flut oder in den Einsätzen der Landes- und Bündnisverteidigung und in den internationalen Missionen.
Insbesondere dort schaffen sie Raum für politische Lösungen, für diplomatisches Wirken. Die Bundeswehr ist ein wichtiger Teil deutscher Glaubwürdigkeit in der Welt.
Die breite Anteilnahme durch die Bürgerinnen und Bürger, der feste Platz in der Mitte der Gesellschaft ist für die Bundeswehr enorm wichtig. Die Anerkennung – insbesondere die, die Sie alle in den letzten Wochen zu Recht erfahren haben – tut Ihnen, tut unseren Männern und Frauen in Uniform gut.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Soldatinnen und Soldaten, besondere Verdienste haben sich alle Soldatinnen und Soldaten und zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr erworben, die zwischen dem 16. und dem 27. August eine in unserer Geschichte einzigartige Mission erfüllt haben.
Sie führten eine robuste, gefährliche und komplexe militärische Evakuierungsoperation am Flughafen in Kabul und am Umschlagpunkt in Taschkent durch. Sie haben sich in Gefahr begeben und viele Menschenleben gerettet.
Dafür sprechen wir Ihnen heute im Namen aller Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland unseren tiefen Respekt und unseren von Herzen kommenden Dank aus. Dieser Dank gilt ausdrücklich auch den Kolleginnen und Kollegen aus dem Auswärtigen Amt und von der Bundespolizei im Team auf dem Flughafen Kabul und jenen, die im Stab der Luftlandebrigade in der Heimat, in den vielen weiteren beteiligten Dienststellen in Deutschland, im Kommando Strategische Aufklärung, im Einsatzführungskommando und auch im Bundesministerium der Verteidigung diese Operation unterstützt haben.
Unser Land ist Ihnen zu größtem Dank verpflichtet. Sie haben Deutschland professionell und vorbildhaft vertreten – vor den Augen der gesamten Weltöffentlichkeit.
5347 Menschen haben durch den Einsatz der Bundeswehr – durch Ihren Einsatz – eine Chance auf eine sichere, bessere Zukunft.
Wir denken heute aber auch an die, die noch in Afghanistan sind und die unsere diplomatische und politische Hilfe brauchen, um das Land zu verlassen. Für sie werden wir weiterhin alles tun, was in unserer Kraft steht.
Unsere Soldatinnen und Soldaten haben während der Evakuierungsoperation in Kabul Unfassbares gesehen und Unglaubliches geleistet.
Denn die Umstände dieser „11 Tage im August“ waren extrem:
Das alles passierte unter ständiger, großer Gefahr. In Kabul wurde gekämpft, wurde geschossen, auch deutsche Fallschirmjäger haben das Feuer erwidert.
Nicht zu vergessen: der verheerende Anschlag am Flughafen. Gottlob gab es in diesen denkwürdigen „11 Tagen im August“ keine deutschen Gefallenen.
Doch, wenn wir heute zu Recht die Soldatinnen und Soldaten der Kabuler Luftbrücke ehren, dann erinnern wir uns auch besonders an diejenigen, die aus Afghanistan nicht mehr zurückgekehrt sind.
Wir denken an die 13 tapferen gefallenen US-amerikanischen Kameradinnen und Kameraden. Wir denken an unsere 59 Gefallenen und Getöteten in 20 Jahren Afghanistan-Einsatz.
Und wir denken an die, die Verwundungen davongetragen haben, auch solche, die man nicht sehen kann.
Uns ist sehr bewusst, dass extreme Operationen psychische Belastungen mit sich bringen. Das ist Teil der Verantwortung, die wir alle in der Regierung und im Parlament zu tragen haben, wenn wir die Bundeswehr in ihre Einsätze schicken.
Wir müssen und wir werden uns sorgfältig darum kümmern. Unsere Fürsorge hat bereits während des Einsatzes begonnen und sie wird weitergehen.
Heute ist ein Tag der Ehrung für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Doch es ist auch ein Tag, ihren Partnerinnen und Partner, ihren Eltern, ihren Kindern, ihren Familien und ihren Freunden zu gedenken und zu danken. Sie alle haben mitgezittert. Ihre Familien und Freunde waren in Sorge um Sie, sie haben auf Lebenszeichen und Nachricht von Ihnen gewartet, sie haben ständig die Nachrichten auf allen Kanälen verfolgt. Allen Familien der Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr in 20 Jahren Afghanistan und in allen Auslandseinsätzen der Bundeswehr ging das so.
Und auch heute machen sich Familien Sorgen um ihre Soldatinnen und Soldaten, wenn wir an die Bundeswehr im Einsatz in Mali, im Irak, im Kosovo, im Mittelmeer, im Baltikum, im Indopazifik und an anderen Orten denken.
Soldatinnen und Soldaten, Ihre Familien und Freunde werden nicht aufhören, sich um Sie Sorgen zu machen, aber sie werden auch nicht aufhören, stolz auf Sie zu sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Soldatinnen und Soldaten, der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist jetzt Vergangenheit. Die Bundeswehr hat in Afghanistan gekämpft, sie hat alle Aufträge des Parlaments erfüllt.
Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan war richtig. Und Peter Struck hatte recht: Unsere Sicherheit ist auch am Hindukusch verteidigt worden in den letzten Jahren und Jahrzehnten.
Es war für unsere eigene Sicherheit wichtig, dass Afghanistan kein sicherer Rückzugsort für den islamistischen Terrorismus bleibt. Und nach den Anschlägen des 11. September standen wir als Bündnispartner der Vereinigten Staaten in der Pflicht. Wir konnten als Alliierte nicht abseitsstehen – und wir wollten es auch nicht.
Jetzt werden wir den Prozess einer abschließenden Aufarbeitung und Bilanz beginnen – ganz offen und ehrlich.
Wir müssen aus dem Afghanistan-Einsatz und seinem Ende lernen – für die Bundeswehr, für die Handlungsfähigkeit Deutschlands und Europas, für realistische Zielsetzungen künftiger Einsätze. Das sind wir nicht nur den Gefallenen und Getöteten und ihren Hinterbliebenen schuldig; nicht nur denjenigen, die in den vergangenen 20 Jahren ihren Kopf in Afghanistan hingehalten haben.
Das sind wir insbesondere auch denjenigen schuldig, die wir in Zukunft in Einsätze schicken.
Wir müssen uns als gesamte Gesellschaft mit den schwierigen Realitäten der internationalen Politik auseinandersetzen – und mit der deutschen und europäischen Rolle darin.
Nur dadurch werden wir in der Lage sein, die Aufgaben für Sicherheit und Verteidigung in der Zukunft zu gestalten.
Mit dem Blick in diese Zukunft geben 100 Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr heute hier ihr Versprechen ab, unserem Land treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.
Mit ihrem Gelöbnis verpflichten sich unsere jungen Soldatinnen und Soldaten nicht nur in besonderer Weise auf unser Gemeinwesen.
Sie alle bringen damit auch eine Zuversicht und eine Hoffnung auf eine gute Zukunft zum Ausdruck, die wir mit Einsatz, Mut und Tatkraft erringen wollen.
Es ist die gemeinsame Aufgabe von Politik und Gesellschaft, diesen jungen Menschen, die Deutschland dienen wollen, die besten Bedingungen für ihren Dienst zu schaffen.
Wir würdigen heute die Leistungsfähigkeit unserer Bundeswehr. Gleichzeitig haben wir zuletzt gesehen, was die Bundeswehr und die Europäer gemeinsam erst noch können müssen, wenn wir in der Zukunft bestehen wollen.
Die Operation wurde nicht nur durch Fallschirmjäger, Spezialkräfte, Piloten, Sanitäter und Logistiker ermöglicht. Ohne Satellitenaufklärung, strategischen Lufttransport, Luftbetankung, Fähigkeiten zur Luftabwehr, auch bewaffnete Drohnen anderer Nationen, vor allem Amerikas, hätte diese Operation für Deutschland niemals stattgefunden.
Wer will, dass wir künftig mehr selbst können, muss tief in die Tasche greifen und moderne Ausrüstung beschaffen. Der muss Deutschland und seinen jungen Soldatinnen und Soldaten eine Perspektive geben – die Perspektive, unser Land auch in Zukunft schützen zu können und seinen Menschen in allen Notfällen zur Seite zu stehen. Mit wirklich allem, was man dafür braucht.
Mit den Eckpunkten für die Bundeswehr der Zukunft wollen wir die Bundeswehr noch einsatzbereiter und fitter für kommende Aufgaben machen.
Wir haben diese Eckpunkte so weit vorangetrieben, dass die Umsetzung konkreter Schritte mit Beginn der neuen Legislaturperiode sofort beginnen kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Soldatinnen und Soldaten, wir stehen heute hier in einer Zeit der Weichenstellungen für Europa, für den Westen, für die Welt.
Dass Europa mehr kann, stärker zusammenwächst, sich stärker integriert, gerade auch militärisch – das ist eine noble Vision. Für die Europäische Union ist es jetzt wichtig, dass die Mitgliedsstaaten den Willen aufbringen, der EUEuropäische Union echte Handlungsfähigkeit für die eigene Sicherheit zu verleihen.
Aus den Hauptstädten Europas müssen der Wille, die Kraft und auch die Macht kommen, Europa und den europäischen Pfeiler in der NATONorth Atlantic Treaty Organization zu einem Akteur zu machen, der auf Augenhöhe mit anderen operiert.
Ich finde, dass ein starkes Europa zur Zukunft der Rekrutinnen und Rekruten gehören muss, die hier und heute ihr feierliches Gelöbnis ablegen.
Rekrutinnen und Rekruten, Ich wende mich direkt an Sie.
Sie haben sich dafür entschieden, unserem Land zu dienen. Sie wollen unsere Heimat schützen. Ich danke Ihnen dafür von ganzem Herzen!
Sicherheit, Wohlstand und politische Ordnung in Deutschland und Europa werden heute immer wieder herausgefordert. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie sich für die aktive Verteidigung unserer Werte und Interessen entschieden haben. Für unser Land, für Europa und für unsere Bündnisse und Partner hängt viel davon ab.
Ich wünschen Ihnen allzeit Soldatenglück und Gottes Segen.
Vielen Dank.
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