Bei der Präsentation der Studie „Tabu und Toleranz“ wurden Details des Gesetzesvorhabens zur Rehabilitierung homosexueller Soldatinnen und Soldaten vorgestellt.
Seine unehrenhafte Entlassung ist 56 Jahre her, aber Dierk Koch erinnert sich noch an jedes Detail. Als junger Marinesoldat war er eine Liaison mit einem Kameraden eingegangen. „Ich hatte diesbezüglich noch keine Erfahrungen gemacht, aber ich habe es genossen,“ sagt er. Dann gab es Streit, Koch vertraute sich einem Vorgesetzten an. Er habe nicht geahnt, was das für Folgen haben würde. „Kurze Zeit später wurde ich degradiert und unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen, damit von heute auf morgen obdachlos und mittellos.“
Kochs Schicksal ist kein Einzelfall. Das zeigt die Studie „Tabu und Toleranz. Der Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende.“ Sie wurde am 17. September im Bendlerblock präsentiert. Zahlreiche Soldatinnen und Soldaten wurden seinerzeit wegen ihrer sexuellen Orientierung ausgegrenzt, bis zum Jahr 2000 machte offen gelebte Homosexualität eine Karriere in den Streitkräften unmöglich.
Dem Unrecht, das Koch und anderen angetan wurde, soll nach den Vorstellungen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer etwas entgegengesetzt werden. Sie stellte am Abend die Eckpunkte eines Gesetzes zur Rehabilitierung homosexueller Soldatinnen und Soldaten vor rund 50 Gästen vor. Auch interessierte Bürgerinnen und Bürger waren eingeladen, Fragen via Twitter und Email zur live übertragenen Diskussionsrunde zu stellen.
Jahrzehntelang seien homosexuelle Soldaten und später auch Soldatinnen systematisch diskriminiert worden, sagt die Ministerin zum Auftakt. „Man glaubte sich im Einklang mit weiten Teilen der Bevölkerung und betrachte Homosexualität als etwas Gefährliches,“ so Kramp-Karrenbauer. „Die Haltung der Bundeswehr zur Homosexualität war falsch, auch wenn sie im Einklang mit dem damaligen Zeitgeist stand.“
Was die Studie beschreibe, müsse als beschämend bezeichnet werden, so die Ministerin. „Ich bedauere diese Praxis sehr. Bei allen denen, die darunter zu leiden hatten, bitte ich um Entschuldigung.“ Die Bundeswehr von heute sei eine andere, die Streitkräfte müssten sich der eigenen Vergangenheit schonungslos stellen. „Es ist uns nicht gleichgültig, wie damals mit den Menschen umgegangen wurde“, beteuert Kramp-Karrenbauer. „Auch wenn wir nicht jedem Schicksal gerecht werden können: Wir arbeiten das auf, und wir korrigieren das so weit wie möglich.“
Dann skizziert die Ministerin ihre Pläne für das Gesetz zur Rehabilitierung homosexueller Soldatinnen und Soldaten (SoldRehaHomG). Demnach plant das Verteidigungsministerium eine pauschale Entschädigung für alle Betroffenen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert worden sind. „Es kann sich dabei nur um eine symbolische Zahlung an alle handeln, die ihre Diskriminierung glaubhaft machen können“, so die Ministerin. Die Regelung soll sowohl für Angehörige der Bundeswehr als auch für ehemalige Angehörige der Nationalen Volksarmee gelten.
Es sollen zudem alle truppendienstgerichtlichen Urteile aufgehoben werden, die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen gefällt worden sind. Rehabilitiert werden auch jene, die entlassen oder versetzt, nicht befördert oder von bestimmten Verwendungen ausgeschlossen wurden. Berücksichtigt werden alle Benachteiligungen, die vor dem Stichtag 3. Juli 2000 erfolgten. An diesem Tag vor etwas mehr als 20 Jahren hatte die Bundeswehr ihre Diskriminierungspraxis beendet. Mit dem Rehabilitierungsgesetz „müsse man an den Rand des juristisch Machbaren gehen“, so Kramp-Karrenbauer.
Der Entwurf des Gesetzes werde in Kürze an die zuständigen Ressorts der Bundesregierung gehen, versichert die Ministerin. Danach werden Fragen aus dem Publikum und von Bürgerinnen und Bürgern, die die Veranstaltung in den sozialen Medien verfolgen, beantwortet. Neben der Ministerin und dem Zeitzeugen Dierk Koch stehen auch Generalinspekteur Eberhard Zorn und Leutnant Sven Bäring von der Interessenvertretung QueerBw Rede und Antwort. Der Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr sowie die Leiterin des Stabselements Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion im BMVgBundesministerium der Verteidigung tragen mit ihrer Expertise ebenso zur Diskussion bei.
Dierk Koch wird gefragt, ob ihn der heutige Tag mit Genugtuung erfülle. „Die Entschuldigung der Ministerin ist für mich sehr viel mehr wert und so viel wichtiger als eine finanzielle Entschädigung“, antwortet der Mann, dem durch die frühere Bundeswehr so viel Leid widerfahren ist.
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