Soldatinnen und Soldaten!
Sie stehen heute hier in einem friedlichen, freien und vereinten Deutschland, in einem friedlichen, freien und vereinten Europa. Das ist nicht selbstverständlich. Deshalb wollen Sie heute öffentlich geloben, dass Sie im äußersten Fall sogar Ihr Leben einsetzen werden, damit wir in Deutschland und Europa auch weiter friedlich, frei und vereint leben können.
Ich danke Ihnen für Ihren Mut!
Sie geben dieses Versprechen ab an einem historischen Datum. Der 20. Juli ist ein Tag, der mich mit staunender Demut und großer Dankbarkeit erfüllt.
Heute, am 20. Juli, verbinden wir Ihre feierliche Aufnahme in die Bundeswehr mit dem Gedenken an den Widerstand gegen das verbrecherische Regime des Nationalsozialismus.
Wir verknüpfen das Gelöbnis einer neuen Generation von Soldatinnen und Soldaten mit dem Besten, was uns die deutsche militärische Tradition an moralischer Orientierung bietet.
Staunende Demut erfasst uns angesichts der Leistung der Verschwörer:
Wir, die wir heute handeln, stehen in der Schuld dieser Männer und Frauen des 20. Juli.
Noch heute ziehen wir Kraft und Ermutigung aus ihrem Tun.
Henning von Tresckow, der führende Denker des militärischen Widerstandes, wusste um den Vorbildcharakter des Unterfangens. Er wies hellsichtig darauf hin, dass das Attentat trotz geringer Aussichten erfolgen musste:
Um den nachfolgenden Deutschen ein moralisches Fundament zu geben, von dem aus sie nach dem Ende des Terrors und des Horrors wieder aufbrechen konnten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
diese nachfolgenden Deutschen – das sind wir!
Liebe Rekrutinnen und Rekruten – das sind Sie!
Auf diesem Fundament des 20. Juli steht die Bundeswehr, der Sie jetzt beitreten. Es ist die Aufgabe dieser unserer Armee, diese Werte zu leben, zu verteidigen und zu schützen. Das ist von nun an Ihre Aufgabe! So schließt sich der Kreis, der von Tresckow und Stauffenberg zu uns und zu Ihnen führt.
Immer am 20. Juli schließen wir ihn von Neuem, wenn wir – auch im Namen des Widerstandes – junge Menschen zu Soldaten der Bundeswehr machen.
Wir alle wissen: Der Umsturzversuch des 20. Juli war nicht der einzige Akt der Auflehnung gegen Hitler und den Nationalsozialismus.
Aber es war ein eindringlicher, ambitionierter und weitreichender Versuch,
Doch er war nicht vergebens. Wir werden ihn nie vergessen. Wir machen uns ihn für Gegenwart und Zukunft zu eigen.
Liebe Rekrutinnen und Rekruten,
was bedeutet Stauffenberg heute für Ihren Dienst in der Bundeswehr?
Doch wohl vor allem dies: dass Befehl und Gehorsam nicht bedingungslos sind. Sie treten heute freiwillig in ein System von Befehl und Gehorsam ein. Dieses System ist für die Führung von Streitkräften unabdingbar.
In einer Gesellschaft, der individuelle Freiheit zu Recht als hohes Gut gilt, erscheint manchem die freiwillige Unterwerfung unter Befehl und Gehorsam überkommen und altmodisch.
Es ist von zentraler Bedeutung, dass wir wissen: Gehorsam schließt Freiheit nicht aus. Die entscheidende Instanz ist das menschliche Gewissen. Das ist die bleibende Lehre Stauffenbergs. Der Gehorsam findet die Grenze im Gewissen.
Es gibt etwas Höheres als Folge zu leisten, nämlich immer dann, wenn der Befehl den Ausführenden zum Verbrecher macht. Wenn der Befehl eine Verletzung von Menschlichkeit und Würde verlangt.
Stauffenberg konnte sich lösen aus dem Eid auf den „Führer“ Adolf Hitler, der ihn zur verbrecherischen Komplizenschaft verpflichtete. Heute mag uns diese Loslösung selbstverständlich vorkommen. Wer würde nicht Hitler die Gefolgschaft verweigern? Doch damals musste das Dilemma zwischen treuem Dienen und Gewissen, in dem die Verschwörer sich befanden, erst mühsam aufgelöst werden. Das geschah in schweren Windungen und aufwühlender Abwägung. Erst dann konnte die Tat folgen. Wir wissen aus den Aufzeichnungen der Widerständler, wie schwer das war.
Im Wissen um die Schwere der Last des Gewissens dürfen und müssen wir uns heute fragen:
Was hätte ich getan?
Was hätte ich getan angesichts der unmenschlichen Diktatur?
Was hätte ich getan während der Herrschaft des Terrors?
Was hätte ich getan inmitten eines verbrecherischen Krieges?
Was hätte ich getan angesichts des Völkermords?
Niemand von uns kann das mit vollkommener Sicherheit beantworten. Was wir aber tun können, ist dies: den Soldatinnen und Soldaten unserer Streitkräfte ausdrücklich die Möglichkeit zu eröffnen, das Gewissen zum Maßstab ihres Handelns zu machen.
Rekrutinnen und Rekruten,
zu einem Aufstand des Gewissens ist nur fähig, wer Grundwerte, moralische Überzeugungen und ethische Prinzipien verinnerlicht hat.
In der Bundeswehr vermitteln wir unseren Soldaten diese Werte durch die Ideale der Inneren Führung. Sie räumen dem Soldaten
Die Idee der Inneren Führung ist ein direktes Erbe des 20. Juli 1944.
Die Schöpfer und Vordenker der Inneren Führung hatten selbst als Soldaten der Wehrmacht die Verzweiflung des Gehorsams ohne Ausweg erlebt.
Sie nannten eine Pflicht ohne Gewissen eine „verdammte Pflicht“. [Titel der Erinnerung von Alexander Stahlberg, Adjutant des Generalfeldmarschalls von Manstein].
Heute können die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr darauf vertrauen, dass ihnen eine solche Pflicht niemals auferlegt wird. Im Gegenzug kann das Land sie mit gutem Gewissen darauf verpflichten, seiner Verfassung treu zu dienen.
In dieser unausgesprochenen Vereinbarung zwischen Ihnen, liebe Rekrutinnen und Rekruten, und unserem Land, stehen Stauffenberg, Tresckow und die anderen Verschwörer des 20. Juli Pate. Ich glaube, wir dürfen sagen: Sie gehen mit sehr guten Paten in den Soldatenberuf.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
was aber, wenn das Gewissen als Instanz versagt, weil Soldatinnen und Soldaten die Werte, die dafür unabdingbar sind, nicht ausreichend verinnerlicht haben?
In den vergangenen Wochen haben wir wieder erfahren, dass nicht alle, die sich Kameradinnen und Kameraden nennen, die Grundlagen ihres Dienens und den Zweck ihres Dienstes verstanden haben.
Rechtsradikale in der Bundeswehr glauben, dass sie sich auf die soldatischen Tugenden aus der Zeit des Nationalsozialismus berufen können.
Sie sind stolz auf das, was sie für militärische „Leistungen“ der Wehrmacht oder einiger ihrer Heerführer halten.
Ich möchte das sehr deutlich sagen: Im Weltbild der Bundeswehr gibt es keine Trennung zwischen dem handwerklichen Können des Soldaten und der grundsätzlichen Einstellung, die ihn in seinem Tun antreibt.
Es mag der einfache Wehrmachtssoldat tapfer gekämpft haben. Wenn seine Tapferkeit im Dienste einer Eroberungs-, Besetzungs- und Vernichtungsideologie stand, dann war sie vergebens.
Wir erkennen sehr wohl auch die individuelle Tragik, die in dieser Wahrheit liegt.
Doch Vorbild für die Bundeswehr kann aus dieser Zeit nur sein, wer zur Umkehr in der Lage war – wie die Verschwörer des 20. Juli.
Extremisten in der Bundeswehr, die sich auf falsche Vorbilder stützen, die den Nationalsozialismus verharmlosen oder sogar glorifizieren, verraten gerade das, was sie zu ehren vorgeben. Begriffe wie Soldatentum, Kameradschaft, Ehre, Treue, Pflicht und Vaterland sind positiv. Diese Begriffe gehören uns. Soldatentum heißt tapfer zu kämpfen für die offene Gesellschaft, selbst wenn diese dem Soldatentum in Teilen bisweilen skeptisch gegenübersteht.
Kameradschaft heißt, durch Vertrauen und offenes Gespräch das menschliche Miteinander in der militärischen Gemeinschaft zu gestalten. In der Bundeswehr liegt die Ehre in der Verteidigung der Freiheit und der Demokratie. Treue bedeutet: Verfassungstreue.
Pflicht ist eben auch die Pflicht zur Wachsamkeit, damit das Gift des
unsere Bundeswehr nicht angreift.
Für das deutsche Vaterland zu kämpfen, das heißt immer, für Einigkeit und Recht und Freiheit der Bundesrepublik Deutschland und die freiheitlich-demokratische Grundordnung in einem friedlichen und vereinten Europa einzutreten. Generationen von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben dies seit 1955 verstanden.
Sie haben die Bundeswehr zu einem Teil der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland gemacht.
Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben mit dem Erbe des 20. Juli im Gepäck eine eigene stolze Tradition unserer Streitkräfte begründet. Es liegt nun an der kommenden Generation deutscher Soldaten, es liegt an Ihnen, diese Tradition fortzuschreiben.
Liebe Rekrutinnen und Rekruten,
Sie sind heute hier angetreten, um öffentlich zu geloben, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen – und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Im äußersten Fall sogar mit Ihrem Leben.
Dafür danke ich Ihnen von Herzen.
Es gebührt Ihnen der Respekt und die Anerkennung der Bürgerinnen und Bürger, denen Sie dienen wollen.
Sie treten Ihren Dienst in unserer Bundeswehr an, die seit 65 Jahren
Eins ist schon jetzt sicher: Sie werden im Verlaufe Ihrer Dienstzeit einen rasanten Wandel der sicherheitspolitischen und strategischen Lage Deutschlands und Europas erleben.
Nicht verändern hingegen wird sich das Fundament, von dem aus wir diese Herausforderungen annehmen werden.
Erlauben Sie mir, Ihnen heute einen zusätzlichen Auftrag zu erteilen, der sich über alle anderen Aufträge legt, die man Ihnen geben wird:
Richten Sie in Ihrem Denken und Handeln einen festen Platz ein für die Werte und Normen, die unser Grundgesetz definiert und verbürgt. Das Erbe Stauffenbergs lebt in diesen Werten. Wer sie verrät, verrät am Ende auch das Opfer des 20. Juli.
Soldatinnen und Soldaten,
ich wünsche Ihnen für Ihren Dienst an unserem Land, für Ihre Laufbahn und für jeden Auftrag, den man Ihnen anvertraut
frohes Gelingen, Soldatenglück und Gottes Segen.
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